Fotos: Metropolitan Opera
WIEN / NEW YORK / Die Met im Kino:
LES CONTES D’HOFFMANN von Jacques Offenbach
Live Übertragung: 31. Jänner 2015
Eine durchaus bemerkenswerte Inszenierung. Ein sehr guter Dirigent. Und ein herausragender Haupt- und Titelrolleninterpret: Das machte „Les contes d’Hoffmann“ an der Metropolitan Opera zu einem bemerkenswerten Abend. Hätte es beim Rest der Besetzung nicht den einen oder anderen Einwand gegeben, es wäre ein ganz besonderer geworden.
Die Inszenierung zuerst. In New York wacht wohl die Sponsor-Neubauer-Familie (sie müssen viele Millionen spenden dafür, dass der Met-Moderator sie bei jeder Gelegenheit erwähnt) darüber, dass für ihr Geld nichts „Verrücktes“ passiert. Der Zwang, die Werke erkennbar zu halten und dennoch in Ästhetik und Zugang nicht gänzlich von gestern zu sein, spornt viele Regisseure zweifellos an. Der „Hoffmann“ des Bartlett Sher entfesselt in drei weitgehend unterschiedlichen Bühnenbildern von Michael Yeargan verschiedene Welten: Bei Spalanzani fühlt man sich wie in der Pariser Halbwelt, und wo die Musik „operettig“ wird, greift auch Choreograph Dou Dou Huang diesbezüglich ein. Das Absurde des Geschehens spiegelt sich etwa an den Schirmen mit den großen Augen, die sich immer wieder in das Geschehen drehen.
Bei Antonia gibt es fast keine Ausstattung, aber eine Regie, die so dicht die Dämonen eines Kafka beschwört, dass man die Unheimlichkeit dieses Akts selten so intensiv empfunden hat. In Venedig ist man dann in den Kostümen (Catherine Zuber) im 18. Jahrhundert, aber immer sollen es sichtlich die Menschen aus Luthers Keller sein, die hier quasi in Hoffmanns Kopf durcheinander purzeln. Ebenso wie sich die Figuren nicht auf ihre Akte beschränken, sondern auch bei anderen Gelegenheiten „vorbeischauen“ – etwa die Olympias, die es in vielfacher Ausführung gibt.
In einem solchen Fall ist das Chaotische einer Inszenierung Programm, wobei immer wieder die Musikalität der Bewegungsregie auffällt – inklusive der watschelnden Klein-Zack-Figuren… bis Hoffmann am Ende selbst hilflos als solcher über die Bühne hampert.
Yves Abel, der Frankokanadier, der auch immer wieder in der Wiener Staatsoper vorbeischaut, erreichte Stellen besonderer Intensität (im zweiten Akt beispielsweise) und gliederte die Offenbach’schen Klangmassen intelligent nach Stil und Wertigkeit, die Offenbach-Sauce, die man schon so oft, zu oft gehört hat, fand nicht statt.
Für Vittorio Grigolo, der den Hoffmann erstmals 2010 in Zürich ausprobiert hat, schon damals mit viel Erfolg, ist er jetzt, mit 38, ganz fraglos die ideale Rolle. Er hat die Kraft, die Technik, den tenoralen Schmelz, die Sicherheit (nicht einer der Spitzentöne klang auch nur anfechtbar), er hat die Bühnenerscheinung, und er warft sich mit nie endendem Elan in den immer wieder Liebenden und Leidenden.
Leider gab es an diesem Abend nichts vergleichsweise Herausragendes, wenn auch zwei Damen sehr gefielen, die übrigens beide aus dem Nachwuchsprogramm der Met kommen und von hier aus schon in die Welt gegangen sind. Wir haben Kate Lindsey in Wien (wenn auch als Einspringerin) als sehr sympathischen Komponisten kennen gelernt – ihr Nicklausse ist auch deshalb so bemerkenswert, weil ihn der Regisseur nicht als den getreuen Gesellen von Hoffmann, sondern als schillernde, gewissermaßen fragwürdige Figur darstellt: Immer wieder scheint er sich doch tatsächlich an den Bösewicht heranzumachen und Hilfsdienste zu leisten? Die Stimme von Kate Lindsey ist eher hell und leicht als dunkel und pastos, aber sie ist eine äußerst starke Bühnenpersönlichkeit.
Und Erin Morley, die Gilda in „unserem“ Unglücks-Rigoletto, war eine großartige, wenn auch konventionell steife Olympia-Puppe, die Koloraturen, Triller und noch freiwillige Ausritte in weitere Höhen virtuos bewältigte. Dass ihr Schlußton, ein „e flat“, ganz am Ende zum Quietscher geriet, gab sie im Pausengespräch mit Deborah Voigt selbst zu, erklärte es allerdings zur „Pointe“. (Wenn sie den Ton sauber erwischt hätte, wäre sie vermutlich – auch ohne Pointe – heilfroh gewesen…).
Wie die Russin Hibla Gerzmava alle drei Frauenrollen hätte singen sollen (die Met hatte es ursprünglich angekündigt), scheint unvorstellbar, nicht nur weil man sie nie in das Puppengewand hätte pressen können. Ihr schöner leuchtender Sopran kapituliert vor den Forte-Spitzentönen, die ein einziges Tremolo ergeben. Die in unseren Breiten wenig bekannte Britin Christine Rice verfügt über einen Mezzo mit Stahlkern, erinnerte ein wenig an die junge Christa Ludwig und ließ keinen Zweifel an ihren männermordenden Intentionen. Als weitere Dame warf sich Olesya Petrova als Antonias Mutter mehr kraftvoll als schön ins Geschehen.
Wenn die „vier Bösewichte“ von Thomas Hampson verkörpert werden, hat man es mit einer eleganten Erscheinung ohne viel Lust zur Verwandlung zu tun, die Herren glichen einander alle (und sollten doch eigentlich nur durch ihr „Ha ha!“ kenntlich werden, das nicht sehr dämonisch gelang). Die Stimme von Hampson ist schon sehr fahl, in der Tiefe kaum vorhanden, im übrigen musste der Anschein von Kraft mit aller Gewalt erzeugt werden.
Witzig war Tony Stevenson in den Diener-Rollen, vor allem die Gesangs- und Tanzkünste des Franz ließ er sich nicht abhandeln, das war ein gelungenes Solo. Ehrenwert die restlichen Nebenrollen, wobei David Crawford als Schlemil vor allem focht – und man in der zweiten Pause erfuhr, dass auch an der Met üblich ist, was man in europäischen Theatern vorschreibt: Dass nämlich Fechtszenen unmittelbar vor dem jeweiligen Akt noch einmal geprobt werden müssen – damit nicht jemand ein Detail vergisst und mit einer falschen Bewegung alles kaputt macht…
Es war ein „Hoffmann“, den man nicht hätte missen mögen, auch wenn einem ein paar bessere Besetzungen hier und da eingefallen wären.
Heiner Wesemann