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WIEN/ Neue Oper Wien in der Kammeroper: PUNCH AND JUDY

04.06.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Neue Oper Wien in der Kammeroper PUNCH AND JUDY 3.6.2014 (Premiere am 22.5.2014)

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Copyright: Armin Bardel/ Neue Oper Wien

Sir Harrison Birtwistle feiert nun seinen 80. Geburtstag und rechtzeitig zu diesem Ereignis produzierte die Neue Oper Wien in ihrem Quartier in der Kammeroper seinen abendfüllenden Einakter „Punch and Judy“, den der Komponist im Untertitel „A Tragical Comedy or a Comical Tragedy“ nannte, und damit schon einen Hinweis auf jene Gattung der Tragikomödie, wie sie im Frankreich des 17. Jhd. gebräuchlich war, lieferte. Die Uraufführung seiner ersten Oper fand am 8. Juni 1968 in Aldeburgh im Rahmen von Benjamin Brittens Musikfestival statt und sorgte ob seiner blutigen Handlung und seiner expressiven Musik für einen riesigen Skandal. Kolportiert wird, dass Britten das Theater noch während der Aufführung verließ.

Der gewalttätige Punch und seine Gattin Judy sind Figuren des englischen Puppentheaters. Von ihren zahlreichen Abenteuern verwendete Librettist Stephen Pruslin vier Episoden, die er in ein Potpourri artiges Libretto kleidete. Birtwistle steuerte eine turbulente Musik dazu, die ihre Nähe zu  Strawinskys „L’histoire du soldat“, Carl Orff, Bach’schen Chorälen und  barocken Tanzsuiten nicht verleugnen kann.  

In Wien konnte man bereits zwei weitere Werke des englischen Komponisten erleben. 1996 die deutsche Fassung von „The Second Mrs. Kong“ im Jugendstiltheater Am Steinhof und 2011 „The IO Passion“ in der Kammeroper. „Punch and Judy“ wiederum wurde bereits 1991 im Rahmen von Wien Modern aufgeführt.

Die handelnden Figuren in „Punch and Judy“ entsprechen in etwa dem deutschen Kaspertheater. Es gibt aber auch in anderen Kulturen ähnliche Figuren, etwa Guignol in Frankreich, Mester Jackel in Dänemark, Jan Klaassen in den Niederlanden, Pulcinella aus der Commedia dell’arte in Italien oder Petruschka in Russland.

Sir Harrison dürfte in der Auswahl seines Opernstoffes möglicherweise auch von Antonin Artauds „Theater der Grausamkeit“ beeinflusst worden sein.

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Copyright: Armin Bardel/ Neue Oper Wien

Regisseur Leonard Prinsloo folgt diesem Credo und präsentiert eine durchchoreographierte absurde Rocky Horror Picture Show mit einem Serienmörder Punch ähnlich le Roi Ubu. Monika Bieglers Ausstattung orientierte sich an englischen Horrorfilmen und so sehen wir einen Keller, in den ein großes Abflussrohr mündet, Rohre und eine riesige Leiter. Das ganze erinnert etwas an Dr. Frankensteins Laboratorium. Auf drei Fernsehschirmen rechts und zwei links der Bühne werden am Beginn der Oper noch fallweise Nahaufnahmen der Sänger gezeigt, später folgen abstrakte Videoprojektionen (Bernd Preiml).  

Dem abgrundbösen Punch von Richard Rittelmann wurde eine  furchterregende Punkfrisur verpasst. Till von Orlowsky kommentierte mit markigem Bariton als, dem altgriechischen Drama entlehnter Choregos das Geschehen. Er trat auch als Henker Jack Ketch auf. Johannes Schwendinger verkörperte den Doctor und Lorin Wey den Lawyer in unterschiedlichen Kostümen. Judy und Fortune Teller wurden von der dem Ensemble der Volksoper angehörenden Manuela Leonhartsberger mit gewaltigem Mezzosopran dargeboten. Als Pretty Polly und am Ende der Oper als Witch sorgte die Koreanerin Jennifer Yoon für ein unverdientes Happy End für den Serienkiller Punch. Durch das Geschehen hüpfte noch wenig aufschlussreich die Tänzerin Evamaria Mayer anstelle der drei Mime Dancers, wie sie von Birtwistle eigentlich vorgesehen waren.

Während die vier Szenen von den Künstlern kaleidoskopartig vorgeführt werden, drängen sich dem Besucher zwangsläufig Paralellen auf. So denkt man bei der ersten Rätselszene unweigerlich an Turandot oder Orffs „Die Kluge“; die zweite Rätselszene zwischen Punch und dem Choregos erinnert wiederum entfernt an die Wissenswette zwischen dem Wanderer und Mime in Wagners Siegfried. Pretty Polly erinnert in ihrem Bewegungsductus und den Koloraturen bei ihrem ersten Auftritt an Hoffmanns Olympia. Judy, Doctor und Laywer dürfen dann manchmal auch als Krokodil, Hase und Hund verkleidet auftreten, allesamt Figuren wie sie auch im Kasperletheater unserer Kindheit (der Urania Puppenbühne) erschienen waren. Und Choreogos wird von Punch am Ende der Oper nur erwürgt, während die Musik ihn – wie vorgesehen – zersägt.

Walter Kobéra hat mit dem Amadeus Ensemble-Wien die an Klängen und Geräuschen so überreiche Musik Birtwistles mit jenem drive umgesetzt, der den Zuhörer schier hypnotisieren konnte. Judy, Doctor und Lawyer dürfen da schon mit Trommel, zwei Becken und einer Flöte assistieren. Das alles wirkt trotz der „blutrünstigen“ Story so komisch wie natürlich und das Entsetzen, das hier, wie bei den „Pradler Ritterspielen“, genüsslich zelebriert wird, gefällt uns ohne jegliches Schamgefühl entstehen zu lassen. So funktionieren wir eben, die „Bestie Mensch“.

Von einer Handvoll an Besuchern, die das Theater vorzeitig verlassen hatten, abgesehen, spendete der verbliebene Teil des Publikums allen Mitwirkenden verdienten Applaus.                                     

 Harald Lacina

 

 

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