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WIEN/ Musikverein: WIENER VIRTUOSEN mit Daniel Ottensamer & Thomas Hampson

Ein Ausflug in die Stratosphäre mit Mozart, Mahler, Dvořák

25.02.2019 | Konzert/Liederabende

WIEN / Musikverein: WIENER VIRTUOSEN mit Daniel Ottensamer & Thomas Hampson

Ein Ausflug in die Stratosphäre mit Mozart, Mahler, Dvořák

24.2. 2019 – Karl Masek

Die Wiener Virtuosen: Eine Gruppe von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, die sich zu einem außerordentlichen Kammermusik-Ensemble zusammengefunden hat, um in flexiblen Besetzungen (ausgehend von einem Streicher- bzw. Bläserquintett) ein großes Spektrum an Werken aufführen zu können.

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Daniel Ottensamer. Foto: Julia Stix

Zeit für das Erinnerungsblatt: Ernst Ottensamer, der im Sommer 2017 so früh verstorbene langjährige Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker, war Gründer der Formation. In seinem Sinne geht „das musikalische Leben“ weiter. Sohn Daniel Ottensamer, Erzmusiker wie der Vater (und mit den „Klarinetten-Genen“ ebenfalls Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker) hat das „Staffelholz“ übernommen und leitet die Wiener Virtuosen.

Seit etlichen Jahren haben sie einen eigenen Konzertzyklus im Musikverein (Brahms-Saal, bei größerer Besetzung auch im Großen Saal). Diesmal war wieder der Goldene Saal an der Reihe. Er war so gut wie ausverkauft. Kein Wunder, versprach das exquisite Programm mit Mozart, Mahler und Dvořák musikalische Höhenflüge, und es hatte mit dem ausgewiesenen Mahler-Fachmann Thomas Hampson ein zusätzliches publikumswirksames „Zugpferd“.

Doch der Reihe nach. Man beginnt mit W.A. Mozarts Konzert für Klarinette und Orchester in A-Dur, KV 622. Vom ersten Takt an entspanntes Musizieren unter Freunden, die einander blind verstehen. Hell die Farben, warm durchströmtes Klangbild bietet dieser Kopfsatz. Man kommt der Perfektion, ja der Vollkommenheit, sehr nahe. Dabei absolute Natürlichkeit, so wie ein Schneekristall oder ein Tautropfen unter der Lupe betrachtet oder eine Blüte unmittelbar nach dem Aufknospen. Und erst der „Ausflug in die Stratosphäre“, wenn Mozart im D-Dur-Adagio zu genialer Einfachheit findet, im samtenen Dialog der Klarinette mit dem Ensemble, mit dem Publikum – und „mit sich selbst“! „Amadeus“ reizt den Tonumfang des Instruments  und die Vielfalt der Valeurs so gekonnt aus, als würden zwei verschiedene Klarinetten ein Frage-Antwort-Spiel veranstalten. Alle Floskeln, alle Förmlichkeiten, all die verspielten Schnörkelhaftigkeiten,  bleiben beiseite, weil die „zwei Klarinetten“, aber auch die anderen musikalischen Gesprächspartner, voneinander alles wissen. Und das Auditorium hat auch verstanden und ist eines Sinnes. Doch ganz so entrückt darf das Werk nicht enden. Runter von der Stratosphäre! Zurück zu A-Dur! Mozart setzt einen Schlusspunkt von tänzerischem Schwung – ein gut gelauntes Rondo-Allegro! Daniel Ottensamer spielt Mozart so, dass es besser, authentischer, schöner, … kaum denkbar ist. Dabei angenehm relaxed, unsentimental, mit positivster Körpersprache. Der Vorbild-Vater, so denke ich, wäre zufrieden gewesen. Das Publikum applaudiert nach Rückkehr auf die Erde begeistert. Vier Hervorrufe.

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Thomas Hampson. Copyright: Dario Acosta

Dann kommt Thomas Hampson. Gustav Mahler ist ihm eine besondere Herzensangelegenheit. Er erstellt selbst eine Fassung für Kammerorchester (was ihn als fabelhaften musikalischen Gesamtkünstler ausweist!) von Liedern aus „Des Knaben Wunderhorn“. Dem Mahler-Enthusiasten Hampson sind natürlich all die Passagen der „Wunderhorn“-Symphonien in Fleisch und Blut übergegangen. Von der naiv-romantischen Gefühlswelt der Literaten  Clemens Brentano und Achim von Armin – für Mahler waren das die seltenen Fälle von „Lyrik aus erster Hand“, später ließ er fast nur noch Friedrich Rückert gelten! –  bis zur eigenen Musiksprache, die weit in die Zukunft weist.

Hampson gibt bei 4 der 24 von Mahler komponierten „Wunderhorn“-Lieder mehr als eine Ahnung von Mahlers kompositorischer Gefühlswelt, die stark von den Kindheitseindrücken in Iglau mit den allgegenwärtigen Militärsignalen geprägt war. Mit „Lied des Verfolgten im Turm“ liefert er mit perfekter Textbezogenheit und gekonnter Färbung der Stimme ein ergreifendes Psychogramm beim Dialog eines Gefangenen, der dem Schicksal mit den bekannten Worten „Die Gedanken sind frei…!“ trotzt und dem vor dem Kerker klagenden Mädchen. „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ hat alle Prägnanz, witzige Rhetorik und Deklamationskunst. Schön, die „Himmlischen Freuden“, die in der 4. Symphonie einem Sopran (manchmal auch einer Knabenstimme) vorbehalten bleiben, einmal von einer kernigen Baritonstimme samt Höhenpracht zu hören. Das „Urlicht“, in der  2. Symphonie von vielen Mezzosopranen und Altistinnen geadelt, bekommt in Hampsons Interpretation ganz neue Klangschattierungen.

Der Jubel signalisierte: dieses Mahler-Projekt ruft nach Fortsetzung. Es gäbe noch 20 Wunderhornlieder. Auf „Revelge“, „Tamborg’sell“, „Der Schildwache Nachtlied“ oder „Lob des hohen Verstandes“ z.B. würde man mit Ungeduld warten!

Höhenflüge bis hinauf in die Hohe Tatra („Darf des Falken Schwinge Tatrahöh’n umrauschen“) weiters bei Antonin Dvořáks siebenteiligem Liederzyklus  „Zigeunerweisen“, op.55. Auch hier optimale Verschmelzung von Wort und Ton. Diese Orchesterfassung (von Sylvie Bodorová) ist ebenfalls subtil instrumentiert und gut gelungen. Hampson, an diesem Abend in stimmlicher Hochform, setzt hier einen temperamentvollen Schlusspunkt. Das Publikum akklamiert den Abend herzlich, bekommt eine Zugabe. Man kehrt zu Mahler zurück; „Bald gras ich am Neckar, bald gras ich am Rhein“, ebenfalls eines der „Wunderhorn“-Lieder.

Dazwischen die 5-sätzige Serenade für Streichorchester, E-Dur,op.22  aus dem Jahre 1875. Eine seltene, umso wertvollere Begegnung mit einem Kleinod der Kammermusik des 19.Jhts. Die Wiener Virtuosen spielen so, als hätte jede/r Einzelne  böhmische Musikgene von den Urgroßeltern mitbekommen. Dabei kommen die Philharmoniker/innen mittlerweile aus beinahe allen Kontinenten! Fein ziseliert der „böhmische Walzer“ im 2. Satz, verträumt das weit ausholende „Larghetto“ (4. Satz), saftig-musikantisch das drängende Finale mit seinen scharf punktierten Rhythmen.

Es war kein spektakuläres Konzert-Event der Art, wenn Shootingstars Feuerwerke abschießen, die kurz zu dröhnenden Ovationen führen, die man aber oft bald vergessen hat. Es waren dafür mehr als 2 Stunden eines Konzerts, das zum Besten zählt, was in dieser Musikvereinssaison bisher zu hören war. Kein Dirigent „störte“! Nachhaltiger Erinnerungswert nach dem Motto: „Weißt du noch, damals die Wiener Virtuosen ?“  Die Wr. Philharmoniker verabschieden sich voneinander üblicherweise mit Handschlag. Wenn etliche einander noch auf dem Podium umarmen, ist das ein untrügliches Zeichen: Auch für sie war der Abend ein besonderer.

Chapeau!

Karl Masek

 

 

 

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