WIEN / Musikverein: Saisoneröffnungskonzert der WIENER SYMPHONIKER mit PHILIPPE JORDAN und JOHANNES BRAHMS
Abschiede – und eine neue Konzertmeisterin
25.9. 2019 – Karl Masek
Abschied Nummer 1: Thomas Angyan, seit 1988 Intendant des Musikvereins und damit der am längsten amtierende in der Geschichte dieses traditionsreichen Hauses, lässt seinen Vertrag 2020 nach 32 Jahren auslaufen. Man kann ruhig von einer großen Ära sprechen, in der sich beispiellose Änderungen, Weiterentwicklungen, Innovationen, … ereignet haben. Von der ungeahnten Erweiterung des Programmangebotes über eine vorbildliche Kinder- und Jugendarbeit, die „neues Publikum“ brachte und bringt – bis hin zu der Etablierung der „Neuen Säle“, wo man geschickt Synergie-Effekte im Zuge der Bauarbeiten am Wiener Karlsplatz nutzte.
Philippe Jordan. Foto: Jean Francoise Leclerque
Abschied Nummer 2: Philippe Jordan, seit 2014 Chefdirigent der Wiener Symphoniker, tritt ebenfalls seine letzte Saison in dieser Funktion an, um im September 2020 an die Wiener Staatsoper zu wechseln. Der 45-Jährige hat in nunmehr bald 6 Jahren mit dem Orchester künstlerische Höhenflüge absolviert und dem Publikum Spitzenkonzerte in großer Zahl beschert. Seine Programmzyklen hatten Konzept, Sinnhaftigkeit und logischen Aufbau, waren niemals als Gemischtwarenhandel angelegt. Und die Chemie zwischen dem Chef und seinem Orchester stimmte in besonderem Maße, so war in all diesen Jahren der Eindruck.
Sophie Heinrich. Foto: Wiener Symphoniker
Die Zeiten sind im Fluss, das Leben geht weiter, und so tut sich auch im Orchester Bedeutsames. Nun haben (nach den Wiener Philharmonikern) auch die Symphoniker eine Konzertmeisterin – was nicht nur ein künstlerisches Signal ist. Sophie Heinrich ist ihr Name. Sie gewann das Probespiel in der Vorsaison, nachdem der langjährige Konzertmeister Florian Zwiauer nunmehr im Ruhestand ist und die Stelle im Mai 2019 vakant wurde. Die in Augsburg geborene Violinistin weist einschlägige Erfahrung auf: Konzertmeisterin u.a. an der Bayerischen Staatsoper (dort begegneten einander Heinrich und Jordan anlässlich der „Arabella“-Produktion 2015), zuletzt an der Komischen Oper Berlin.
Sophie Heinrich führte sich anlässlich dieser Saisoneröffnung prächtig (und stürmisch akklamiert) ein. Mit besonderen Führungsqualitäten – und mit einem herrlichen, innig gespielten Solo in Brahms‘ „Erster“.
Logisch die zyklische Programmwahl. Alle 4 Symphonien des Johannes Brahms. In chronologischer Reihenfolge in 2 Konzerten. Die 3. und 4. Symphonie folgt am 28.9/29.9.
Jordan gab der Symphonie Nr. 1 c-Moll, op.68 vom ersten Moment des obsessiv pochenden Orgelpunkts in der Pauke bis zum berühmten Hornthema und dem triumphalen Choral des Schluss-Satzes vorwärts drängende, soghafte Wirkung. All das „Durchkomponierte“ und „ineinander Verschränkte“ geriet zu suggestiver Intensität. Die grüblerische und „erdenschwere“ Musiksprache des Norddeutschen bekam in Jordans Lesart nicht auch noch das „Draufsetzen“ auf die Akzente verpasst. Effekte wurden nicht zusätzlich „buchstabiert“. Großer Jubel schon zur Pause.
In der Symphonie Nr. 2 D-Dur, op.73, die Brahms wesentlich lockerer „von der Hand ging“, kamen zur herben, oft zerklüfteten Tonsprache in „Beethovens Zehnter“ all die goldenen,
milden Herbstfarben der Wörthersee-Landschaft. 1877 wurde das Werk in Pörtschach begonnen – und schon im Jahr darauf gab es eine Menge erfolgreicher Aufführungen. Der berüchtigte und betont konservative Eduard Hanslick ließ sich zu einer besonders positiven Kritik hinreißen: „Die Sinfonie leuchtet in gesunder Frische und Klarheit,…., und zeigt neue Gedanken und doch nirgends die leidige Tendenz, Neues im Sinne von Unerhörtem hervorbringen zu wollen!“
Jordan lässt aber auch die nachdenklichen, dunklen, wetterwendischen Farben in dieser Brahmsschen „Pastorale“ zu ihrem Recht kommen. Da werden mit Nachdruck – und physischer Verausgabung seitens des Dirigenten, wie man das allenfalls sonst noch von Mariss Jansons oder Carlos Kleiber erlebt hat – Klangwogen hochgepeitscht. Aber auch eine apart-graziöse, bei Brahms ganz selten vorkommende Verspieltheit im 3. Satz („Allegretto grazioso“!) wurde lustvoll ausgekostet. Bei alldem die Wiener Symphoniker in Hochform. Fabelhaft der Gesamtklang, durchwegs herrlich die Instrumentalsoli (von der Oboe über die Flöte und Klarinette bis hin zum 1. Horn. An solchen Abenden sind die Wiener Symphoniker Weltklasse!
Die übermütig wirbelnde Stretta des Schluss-Satzes mündete in begeisterte Ovationen des Publikums. Im ausverkauften Konzert war diesmal auch viel Prominenz am Ort – an der Spitze Altbundespräsident Dr. Heinz Fischer.
Heute Abend nochmal das Konzert mit demselben Programm. Auch wenn dieses Konzert ausverkauft sein sollte: Irgendjemand winkt immer mit Karten!
Karl Masek