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WIEN/ Musikverein: Gastspiel der ST. PETERSBURGER PHILHARMONIKER mit Max BRUCH und Dmitrij SCHOSTAKOWITSCH

Der Geschmack von Schokolade, Blut – und die Wichtigkeit von Jewtuschenkos Gedichten

10.10.2018 | Konzert/Liederabende

WIEN / Musikverein: Gastspiel der ST. PETERSBURGER PHILHARMONIKER mit Max BRUCH und Dmitrij SCHOSTAKOWITSCH (Symphonie Nr. 13, „BabijJar“)

Der Geschmack von Schokolade, Blut – und die Wichtigkeit von Jewtuschenkos Gedichten

9.10. 2018 – Karl Masek


Yuri Temirkanov. Copyright: Stephan Trierenberg

Für drei Konzerte war Yuri Temirkanov mit „seinen“ St. Petersburger Philharmonikern im Goldenen Saal des Musikvereins zu Gast. Seit 30 Jahren ist der mittlerweile 80-jährige Temirkanov Chefdirigent dieses Meisterorchesters. Eine lebende Legende. Nur sein Vorgänger, Jewgenij Mrawinskij, stand noch  20 Jahre länger dem Klangkörper vor.

Der letzte Abend begann mit dem Violinkonzert g-Moll, op. 26, von Max Bruch. (1838-1920). Uraufführung 1866, mit dem berühmten Geiger Joseph Joachim. Ein Werk, fast mit Wunschkonzert-Charakter. Der Kopfsatz mit rhapsodisch-träumerischem Tonfall.. Herzstück das „Adagio“, melodienselig, innig, kantabel. Von effektvoller Virtuosität das Schluss-Allegro. Ein dankbares Stück, absolut „geigerisch“ inspiriert. Ein Standardstück für alle großen Violinist/innen.Ein „Publikumsstück“.


Julia Fischer. Copyright: Felix Broede

Julia Fischer scheint das Werk besonders zu lieben. Sie spielt es oft – und es gibt auch davon eine CD mit ihr, Temirkanov und den „Petersburgern“. Die deutsche Violinistin, Jg 1983, spielt seit ihrem 4. Lebensjahr Geige, aber lange Zeit mit ebensolcher Passion auch Klavier, also musikalisch eine Zweifach-Hochbegabung! Bevor sie sich endgültig für die Geige entschloss, kam es schon mal vor, dass sie im selben Konzert Edvard Griegs Klavierkonzert (alles andere als ein „Lercherl“!) u n d ein Violinkonzert spielte. Solche Husarenstücke leistet sie (sich) mittlerweile nicht mehr …

Eine Musikerin von großem Format ist sie, das merkt man schon mit den ersten Takten, und keine bloße Virtuosin. Edler, warmer Ton, gefühlvoll die Kantilenen, perfekt die Läufe, von unfehlbar sicherer Intonation die Doppelgriffe. Stimmig die Chemie zwischen Dirigent, Orchester und Solistin. Wie sie kommuniziert und die zahlreichen Effekte mit mollig-süßem Ton anreichert: Das war wie der Geschmack edelster Schokolade. Mit Nougat!

 Ja, und dann die Zugabe: Wie „Zähneputzen nach dem Naschen“. Wie komme ich auf d i e s e n Vergleich? Julia Fischer hat einmal auf eine Interviewfrage sinngemäß geantwortet, als Kind sei für sie das Geigespielen so alltäglich und natürlich gewesen wie Zähneputzen. Leichte, kreiselnde, entspannte, drucklose Bewegung der rechten Hand beim Spiel. Alles absolut mühelos und entspannt. Ovationen!

Nach der Pause Dmitrij Schostakowitschs Symphonie Nr. 13, op. 113 für Bass-Solo, Männerchor(Bass) und Orchester nach Gedichten von Jewgenij Jewtuschenko (1932 – 2017), entstanden in den Jahren 1961 und 1962. Schostakowitsch komponierte seine „13.“ auf der Grundlage des im September 1961 erschienenen Gedichts „BabijJar“. Es handelt sich dabei um eine Schlucht in der Nähe von Kiew, in der am 29. September 1941 ungefähr 34 000 Juden durch ein SS-Kommando ermordet wurden. Im ersten der fünf Symphoniesätze: der Geschmack von Blut, beklemmende Schilderungen des Geschehens durch den Bass-Solisten. Eindringlich und mit allen Schattierungen des (Mit)Leides: der St. Petersburger Bass Petr Migunov. Der hervorragende Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde (perfekt einstudiert von Johannes Prinz) sang und gestaltete die Jewtuschenko-Texte geradezu beängstigend authentisch, mit perfekt anmutenden russischen Klangfarben und einem Idiom, als wäre das Singen von Schostakowitsch (und Mussorgsky!) des Chores „täglich‘ Brot“.

Schostakowitsch war von der Kraft und Dringlichkeit der Sprache des 29-jährigen Jewtuschenko elektrisiert. Antisemitismus (der der Nazis und der der Russen!) wird gebrandmarkt, die Affäre Dreyfus (1895) wird ebenso gestreift wie das Schicksal der Anne Frank und die Judenpogrome 1906 in Bialystok (Polen).

 Dazu Schostakowitsch: „…Darum ist Jewtuschenkos Gedicht ‚BabijJar‘ so unendlich wichtig. Und ich war glücklich, dass es ein junger Dichter war, der es schrieb. Das Gedicht hat mich erschüttert. Viele wussten zwar von ‚BabijJar‘. Aber es bedurfte dieses Gedichtes, um‘BabijJar‘ wieder ins Bewusstsein zu heben… Die Erinnerung sollte getilgt werden. Erst versuchten es die deutschen Okkupanten, später die ukrainischen Funktionäre. Dass es nicht vergessen wird, hat die Kunst vermocht. Erst, nachdem die Menschen das Gedicht gelesen hatten, brach das Schweigen…“

In jedem Takt ist die innere Bewegung Schostakowitschs zu spüren, wenn er „Es steht kein Denkmal über ‚BabijJar‘, die steile Schlucht mahnt uns als stummes Zeichen …“ in Töne und Klänge voll existenzieller Dringlichkeit setzt. Das Konzertpublikum der UA 1962 hat die Botschaft verstanden und mit gewaltigen Ovationen aufgenommen. Doch in der “Prawda“ stand: „Das Konzert hat stattgefunden“… Hinweise auf das Massaker sollten künftig gestrichen werden, Textänderungen wurden „nahegelegt“.  Die beiden Autoren akzeptierten widerwillig…

Vier weitere Gedichte Jewtuschenkos hat Schostakowitsch vertont: „Der Witz“, „Im Laden“, „Ängste“, „Karrieren“. Hier werden die Zustände in der Heimat mit dichterischen Metaphern angeprangert und mit musikalischer Schärfe gezeigt: Die allgegenwärtige Angst vor Denunziantentum; die armen Frauen beim Schlangestehen vor ärmlichen Läden; der Druck der Staatsgewalt, aber auch deren Angst vor Witz und Satire; schließlich die „wahren Karrieren“, gespeist von aufrichtigen Lebensläufen samt historischen Vorbildern, wie etwa Tolstoi.

Yuri Temirkanov  beeindruckt tief. Mit kleiner, völlig unprätentiöser Gestik lässt er all die Hoffnungs- und Ausweglosigkeit, Angst, die brütende Nachdenklichkeit, die bei Schostakowitsch in allen Largo- und Adagiosätzen Platz greift, aber auch die grelle Satirik, den beißenden Spott, den Hang zu bewusst zugespitzter Klangbrutalität und Vulgarität, die „Lust am Banalen“ Klang werden. Man hat den Eindruck, Schostakowitsch muss beim Komponieren oft bitterlich geweint, aber dann auch wieder herzlich gelacht haben! Ein abgeklärtes, weises Dirigat eines Zeitzeugen gilt es da zu bestaunen.

Selbst, wer mit Schostakowitsch und seinen Werken, seiner Art Musik zu machen, nicht so klarkommt, wird zugeben müssen: Er war ein absoluter Meister der Instrumentationskunst! Und gerade in der „13.“ gibt es eine Unzahl inspiriertester Momente und verblüffendster Klangfinessen. Wie er Reibeklänge der tiefsten Instrumente zaubert, z.B. wenn Basstuba, Große Trommel und Tamtam zugleich klanglich rumoren, oder wenn der letztlich doch optimistische Schluss im 5. Satz mit schwerelosem Streicherakkord in B-Dur und Celestatupfern und Glockenton entschwebt: Das hat klangmagische Dimension.

Die St. Petersburger Philharmoniker sind mit ihrem „Übervater“ Temirkanov künstlerisch so verwoben, man versteht einander sozusagen blind. Resultate sind (so wie Dienstag) Interpretationen aus einem Guss.

Stürmischer Beifall mündete sehr bald in verdiente Ovationen für den Solisten Petr Migunov, den Chor, das Orchester und – vor allem für Temirkanov.

Auf bald im Musikverein!

Karl Masek

 

 

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