WIEN/Musikverein, Brahms-Saal: Concentus Musicus, Elisabeth Kulman mit Bach, Händel
(Matinée am 11.12. 2016 – Karl Masek)
Copyright: Joachim Baumann
Am 5.12. 2015 (und drei Monate vor seinem Ableben) gab Nikolaus Harnoncourt der Öffentlichkeit den Rückzug von all seinen künstlerischen Aktivitäten bekannt. In einem Offenen Brief schrieb er von einer „tiefen Beziehung“ zwischen Ausübenden und dem Publikum und einer „… glücklichen Entdeckergemeinschaft. Da wird wohl vieles bleiben…“
Dem Concentus Musicus war der Gründer so etwas wie ein Übervater. Bald war klar: Mit dem Orchester wird es weiter gehen. „Im Wissen um sein Erbe neue Wege beschreiten“, so eine Aussendung.
Der Zyklus Concentus Musicus wurde für die Saison 2016/17 (vorsichtshalber?) in den Brahms-Saal verlegt. Binnen kürzester Zeit waren die vier geplanten Konzerte mehrfach überbucht. So entschloss man sich kurzfristig, das Angebot zu verdoppeln – und ab 2017/18 wird wieder im Großen Musikvereinssaal gespielt!
Beide aktuellen Konzerte (Samstag Abend und die Sonntag-Matinée): waren ausverkauft. Man spielte ein Programm, ähnlich wie es der „Übervater“ in den Anfängen der fünfziger Jahre programmiert hätte.
Ouverture Nr. 1 C-Dur, BWV 1066 von Johann Sebastian Bach; die Kantate „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“, BWV 170 (mit Elisabeth Kulman) – und nach der Pause von Georg Friedrich Händel aus dem Oratorium „Jephtha“ HWV 70 Rezitativ und Arie der Storgè – ebenfalls mit Elisabeth Kulman – umrahmt von „Prelude g-Moll HWV 572“ und „Triosonate g-Moll HWV 393“ und als Finale das „Concerto grosso d-Moll, op.3/5, HWV 316.
An diesem Vormittag war klar: Das Meisterensemble ist sich der musikalischen Wurzeln voll bewusst. Will aber nicht bloß Nachlassverwalter-Funktion ausüben. Aufrecht das Postulat (in Harnoncourts Lieblingsausdrücken bei Proben): Musik muss Dringlichkeit, muss Urgenz haben, um den Ausdruck jeder Note muss man kämpfen als ginge es ums Leben. Neuer Weg scheint mir dabei zu sein, im musikalischen Ablauf mehr Klangbogenhaftes, natürlicheren Fluss der Musik, gelegentlich auch einen ruhigeren Puls und entspannteren Atem bei aller nötigen Akzentuiertheit zuzulassen.
Wirklich musikantisch war’s da schon bei Bachs C-Dur-Ouverture: Elegant Gavotte und Menuet, temperamentvoll bewegt der Forlano-Rhythmus, ungeduldig voran stürmend die Bourée mit dem hinreißend perlenden Bläser-Trio (Hans Peter Westermann, Heri Choi, Eleanor Fröhlich – 2x Oboe, 1x Fagott).
Süperb gespielt die Triosonate mit Basso continuo (Erich Höbarth, Andrea Bischof, Violine, Matthias Bartolomey, Cello, und Stefan Gottfried, Wolfgang Glüxam, B.C. Schier entfesselt das abschließende Concerto grosso mit herrlich leichtfüßigen Abstufungen bis in den ppp-Bereich.
Tiefe Beziehung zwischen Podium und Auditorium, glückliche Entdeckergemeinschaft: Das bleibt. Nikolaus Harnoncourt wäre zwar nicht zufrieden gewesen: Das war er nach seinen eigenen Aussagen nie. Vermutlich aber ziemlich glücklich mit dem musikalischen Ergebnis dieses Vormittags.
Elisabeth Kulman beschritt ebenfalls neue Wege, ging aus Krisen (2004/05 Fachwechsel vom Sopran in die Mezzo/Alt-Region) gestärkt hervor; überwand mit eiserner Disziplin und dem unbedingen Glauben an sich selbst einen schweren Bühnenunfall 2013 (eine Kehlkopfverletzung hätte leicht das Karriere-Aus bedeuten können). Sie gab 2015 den Rücktritt von ihrer Opern-Bühnentätigkeit bekannt, um neu gewonnene Freiheit mit unkonventionellen Projekten wie dem Soloprogramm „La femme c’est moi“ (von „Carmen“ bis zu den Beatles) oder „Mussorgsky Dis-Covered“ mit einem internationalen Jazzquartett zu bestreiten. Um sich sonst auf Liederabende, Konzerte und konzertante Opernaufführungen zu konzentrieren.
Sie setzt ihren farbenreich timbrierten Mezzosopran betörend, ausdrucksvoll, wunderbar abschattiert, ein, beweist (auch) bei Barockmusik unfehlbare Stilsicherheit. Die Bach-Solokantate hat spirituellen Atem. Rezitativ und Arie der unglücklichen Händel’schen Storgè („Scenes of horror, scenes of woe“ – „Schreckensbilder, groß und bleich…“), die prophetisch Unheil für ihren Mann, den Feldherrn Jephtha, voraussieht, hat glutvolle Dramatik bis in Kontraalt-Tiefen. Virtuos meistert sie die vielen Intervallsprünge.
Stark akklamiert, diese Matinée. Bravorufe. Das Publikum wird dem „Concentus“ und seiner kollektiven Leitung, dem Cembalisten Stefan Gottfried und den beiden Violinist/innen Erich Höbarth und Andrea Bischof, in hellen Scharen auch wieder in den Großen Saal folgen…
Karl Masek