Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Musikverein: ANNA BOLENA

04.01.2013 | Oper

WIEN / Musikverein:
ANNA BOLENA von Gaetano Donzietti
Konzertante Aufführung zum 45-jährigen Bühnenjubiläum von Edita Gruberova
3. Jänner 2013

Keinesfalls hat Edita Gruberova den Opernbühnen adieu gesagt: Operabase verrät die Termine bis Ende der Spielzeit, die Lucreza Borgia in München und Berlin, die Elisabetta in „Roberto Devereux“ in Madrid, also ihre großen Donzietti-Rollen. Und die Bellini’sche „Straniera“, die sie eben konzertant erobert hat (Wien kommt am 8. und 18. Februar in den Genuss dieses Ereignisses), wird Zürich im Juni für sie szenisch herausbringen (wie in den guten, alten Zeiten), mit ihrem Leib- und Magenregisseur Christoph Loy und Fabio Luisi.

Nicht schlecht für eine 66jährige, die dennoch nichts dem Zufall überlässt und weiß, dass die Uhr tickt. Wenn sie die Welt auf ihr 45-jähriges (!) Bühnenjubiläum aufmerksam machen will (am 18. Februar 1968 betrat die 21jährige als Rossinis Rosina erstmals im heimatlichen Bratislava die Opernbretter), muss sie es selbst tun. Die Operndirektoren stehen ja doch nicht mehr so Habtacht wie früher, wo die Primadonna den Spielplan mitbestimmen konnte. Also lässt die Gruberova in München und Wien konzertant eine Rolle hören, die sie an der Staatsoper nie singen durfte – die Anna Bolena von Donizetti, die Premiere gehörte damals der Netrebko, man hatte nur die Freundlichkeit, sie damit nach Tokio zu schicken. Gut, nun konnten ihre Wiener Fans das Ereignis nachholen. Und die Straniera, von der es heißt, sie sei nahezu unsingbar (außer für die Größenordnung Gruberova), kommt auch noch im Musikverein.

Im „Merker“-Forum haben Aufmerksame gegoogelt – die teuerste Karte im Wiener Musikverein kostete tatsächlich 250 Euro, das sind gut 50 mehr, als man in der Staatsoper bei Normalpreisen maximal für eine szenische Aufführung zahlt. Wie fest verankert ein Star im Publikum ist, beweist sich (gerade in Zeiten wie diesen, wo man den Hunderter – der kein Schilling-Hunderter mehr ist und auch kein Mark-Hunderter – zögerlicher ausgibt) bei solchen Anlässen: Der Musikverein war erstaunlich voll, das Publikum drängte sich geradezu. Dass ein Großteil davon silberhaarig war – sie waren mit der Gruberova jung, sie lassen sie nicht im Stich, wenn alle miteinander in die Jahre gekommen sind.

Zumal Edita Gruberova, die schon seit längster Zeit einfach unverändert aussieht, ja diese verrinnende Zeit beinahe Lügen straft. Sie reitet mit der Anna Bolena, die wahrlich eine Hochdramatische ist, stimmliche Fortissimo-Attacken in höchsten Höhen, mit denen sie gar nicht anders kann als umjubelt in die Zielgerade einzugaloppieren. Dabei wohnt bei ihr der liebe Gott immer im interpretatorischen Detail – da macht sie Erstaunliches mit der Färbung der Stimme im Zeichen der Gestaltung (etwa die Fahlheit, wenn sie aus einer Ohnmacht erwacht), da wird zarte Sehnsucht oder fassungslose Empörung gleich plastisch, da spinnt sie immer noch ihre Piani, perlt ihre Koloraturen, zelebriert die Übergänge, Schwelltöne, raffinierten Brüche in der Gesangslinie. Und die Schlussszene, die nicht so melodiös einprägsam ist wie jene der Lucia di Lammermoor, aber zwischen Wahnsinn und Triumph eines der stärksten Stücke, das Donzietti je schrieb, war einfach fulminant interpretiert.

Sicher, weit mehr als im Vergleich die Netrebko lässt die Gruberova den Zuschauer / Zuhörer beim Virtuosen-Handwerk dabei sein, zelebriert, was sie kann – und dann merkt man natürlich auch, wenn die Stimme (die ja auch bei aller Schonung mit dem Menschen mitaltert) nicht mehr jeden Ton erwischt (das passiert gar nicht in der Höhe, meist zwischendurch, wo dann etwas kurz auslässt), und dass sie insofern Qualität verloren hat, als die Schärfe nun doch sehr ins Ohr schneidet. Aber die Fans halten’s für legitime Dramatik (ist es vielleicht auch) und jubeln noch lauter…

Die Gruberova hat die Anna Bolena so oft gesungen, dass sie hier neben ihrem Tenorpartner die einzige ist, die auf der Konzertbühne keine Noten braucht und auch hier ihre Figur spielt bzw. den Partner anspielt. José Bros war oft genug ihr Tenorheld Percy , um hier ebenfalls auswendig zu verfahren. Er steht mit seinem hellen, kräftigen Tenor voll in den Schuhen der Rolle, wenngleich sein nasales Timbre nicht jedermanns Sache ist (und die extremen Höhen der Partie, wenn voll ausgeschrieen, auch nicht immer glücklich klingen), und ein Gestalter wie die Gruberova ist er auch nicht. Aber wo ist der junge Pavarotti, den sich die Sutherland einst schnappte und stimmlichen ihren idealen Liebhaber fand?

Sona Ganassi ist in der (doch ziemlich undankbaren) Rolle der Giovanna mehr dramatischer Sopran mit satter Tiefe als der Mezzo, der Anna kontrastieren würde – da wurde manchmal ähnliche Schärfe laut. Hagar Sharvit ließ als Smeton einen warmen, schönen Mezzo hören (an den Höhen wäre noch zu arbeiten) – und ist es zu viel verlangt, einen „Mann“ im Hosenanzug zu singen, statt im bunten Abendkleid (zumal die beiden anderen Damen ganz in Dunkel erschienen, es sollte auch eine Kleidungs- und Farbdramaturgie der „Kostüme“ bei konzertanten Aufführungen geben – und die Gruberova wäre mit Rot auch besser bedient als mit Schwarz).

Der beste Herr des Abends war der schäbige König, vom fülligen Riccardo Zanellato mit wirklich schönem Bass strömend gesungen. Daniel Kotlinski als Annas Bruder und Andrew Lepri Meyer als der wackere Hofschranze Hervey hielten gutes Niveau.

So wie der Münchner Opernchor, geleitet von Andrea Hermann, und das Münchner Opernorchester, wenn Pietro Rizzo am Pult auch ohne weitere Feinheit donnernd aufspielen ließ. Aber es ist ja eine hochdramatische Oper…

Drei Stunden und vierzig Minuten dauerte das Werk (dabei musste man keinerlei Kulissen umbauen!), dann warf die Gruberova, die nicht nur geistig, sondern auch körperlich Unglaubliches geleistet hatte, ihren letzten Spitzenton wie ein Brandfackel in den Goldenen Saal. Das Publikum riss es auf Anhieb zu Standing Ovations aus den Sitzen (und sicher nicht aus Erleichterung, dass es endlich aus war). Des „Merkers“ Peter Dusek erwies sich, wie so oft, als Rosenkavalier, indem er zur Rampe eilte, um der Primadonna eine langstielige Rose zu überreichen. Die Gruberova-Fans wollten ihren Jubel gar nicht beenden. Und der Kritiker weiß, dass all seine Einwände kleinlich und nichtig sind, und beugt vor der außerordentlichen Leistung bewundernd sein Haupt.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken