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WIEN/ Museumsquartier: ORFEO ED EURIDICE. Premiere

11.05.2014 | KRITIKEN, Oper

  WIEN/ Museumsquartier: Eine Wachkoma-Patientin als stumme Euridice. Premiere am 11.5.2013

 Bekanntermaßen weist das Personal von Glucks „azione drammatica“ in drei Akten drei Personen auf. Orfeo, Euridice und Amor. Romeo Castellucci, Regisseur und Ausstatter in Personalunion, splittete nun in Zusammenarbeit mit den Dramaturgen Piersandra Di Matteo und Christian Longchamp die Figur der Euridice auf, wobei  Christiane Karg dabei die Gesangspartie der Euridice übernahm.

Festwochen Orfeo
Foto: Wiener Festwochen

Das Konzept ist schlüssig, geht es doch im Topos des thrakischen Sängers  Orpheus und seiner Gattin, der Quellnymphe Euridice, um die existenziellen Fragen von Tod und Leben und den Übergang in das Schattenreich, das Überschreiten jener Grenze zwischen Leben und Tod mit der Möglichkeit der unversehrten Rückkehr.

Die reale zweite Euridice sprengt nun durch ihre eigene Geschichte und den starken visuellen Eindrücken den kargen Bühnenraum der Oper auf, sodass die wunderbare Musik Glucks manchmal regelrecht Gefahr lief, zu einer Art filmischen Begleitmusik für die auf der Leinwand parallel vorgeführte Geschichte wurde.

Während Orfeo allein auf der dekorationslosen Bühne mit einem Mikrofon singt, werden auf einer riesigen Leinwand der Halle E des Wiener Museumsquartiers nun die einzelnen Stationen der Wachkomapatientin Karin Anna Giselbrecht, der zweiten Euridice, erzählt. Geboren in Bregenz/Vorarlberg am 3. April 1989, fiel sie infolge eines Herzstillstandes in Bratislava, ausgelöst durch das Long-QT-Syndrom, am 15. Februar 2011 in ein Wachkoma.

Im zweiten Akt wird Orfeos Gang in die Unterwelt filmisch mit der Anreise zum Geriatriezentrum Am Wienerwald übersetzt. Mit Zustimmung der Eltern und des ärztlichen Leiters der Klinik verfolgte die Patientin über Kopfhörer die Aufführung. Die Kamera näherte sich dabei langsam dem Pavillon IX und schließlich dem Krankenzimmer, wobei sensibel auf eine allzu scharfe Einstellung der Linse verzichtet wurde.

Im dritten Akt ist Orfeo am Krankenbett von Euridice angekommen. Die Sängerin der Euridice steht hinter der transparent gewordenen Leinwand. Sensibel wandert die Kamera entlang des Betts, schwenkt auf ein medizinisches Gerät, das den Herzrhythmus der Patientin anzeigt, und schließlich in die weit geöffneten Augen der stummen Euridice, deren flackernde Pupillen scheinbar aufmerksam die durch die Musik ausgedrückten Emotionen widerspiegeln.

Das Licht verlischt und auch Orfeo entschwindet dem Auge des Betrachters in der Finsternis des Todes. Amor hat mit Orfeos herzergreifendem Klagegesang Mitleid und führt ihm Euridice in einer projizierten Landschaftsidylle zu. Glucks Oper endet hier, der anderen, stummen Euridice werden noch die Kopfhörer abgenommen und eine Hand streichelt ihr noch über das Haar. Diese starken emotional erschütternden Bilder mündeten in eine schwer lastende drückende Stille, aus der sich nur allmählich zaghafter befreiender Applaus hervor wagte, der sich dann aber zu einem großen Jubel und Bravoruf für alle Beteiligten steigerte.

Der musikalische Eindruck tritt vor diesen starken optischen Bildern fast in den Hintergrund. Hervorzuheben sind aber ein stimmlich großartig disponierter Bejun Mehta als Orfeo, wenn man davon absehen will, dass seine Stimme durch die Tonanlage fallweise übersteuert klang, und eine eindringliche Christiane Karg als Euridice. Laurenz Sartena, ein Wiener Sängerknabe, hatte naturgemäß für die Rolle von Amor eine noch zu wenig tragende Stimme.

Gewohnt gut sang aus dem Orchestergraben der erfolgsverwöhnte Arnold Schoenberg Chor. Jérémie Rhorer hatte es am Pult des Baroque Orchestra Gent schwer, der filmischen Adaptierung der tragischen Geschichte um die zweite Euridice durch starke musikalische Akzente Paroli zu bieten. Dennoch war es eine großartige Eröffnungsproduktion der diesjährigen  Wiener Festwochen.            

Harald Lacina

 

 

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