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WIEN/ Museumsquartier: MOZARTS REQUIEM / Bühnenversion von Romeo Castellucci/ Requiem für die Erde – oder doch: Mozart auf der Gartenmesse?

WIEN/ Museumsquartier: Requiem für die Erde – oder doch: Mozart auf der Gartenmesse? 1.4.2022

Mit seinem oft spiegelglatten bis sterilen, dabei prophetisch hintergründelnden Theater verzückt Romeo Castellucci die einen und befremdet die anderen; tiefe Aura und Ödnis liegen bei ihm eng aneinander. Der Verfasser hat noch eine ihm bekannte Person im Ohr, die sich nach „Democracy in America“ (2017 bei den Wiener Festwochen im Volkstheater) vor Ergriffenheit fast abwandte, denn: „Das ist so ein großer Künstler.“ Selbst ihr und anderen Jüngern, deren Gefolgschaft bestens zum prätentiösen Namen von Castelluccis Truppe („Socìetas Raffaello Sanzio“) passt, dürfte jedoch auffallen, dass seine Bühnenversion von Mozarts „Requiem“, bereits 2019 beim Festival d’Aix-en-Provence und nun hier als Prolog zu den Festwochen in der Halle E des Museumsquartiers, kein großer Wurf ist.

In abstraktem Nebeneinander zwischen Szenerie und Bühnenwand packt Castellucci diesmal fast plump das große Ganze an, indem er per Projektion in Stichworten eine Geschichte der Auslöschung auf unserem Planeten zuspielt: ein Aufmarsch zahlloser Namen von Tierarten, Vorläufern des Menschen, Völkern, Sprachen, Religionen und Gebäuden, die es nicht mehr gibt. Zuletzt, das die einzig spannende Volte, öffnet er ins „Verheißungsvoll-Ungeheure“, indem unter der Überschrift „Das Sterben heute“ einerseits den Fakten des bereits Unwiderruflichen der Prozesscharakter des Ausblicks gegenübersteht, um die Möglichkeit der Veränderung doch noch als Flamme weiterzureichen (,Ihr könnt etwas dagegen tun‘), andererseits aber auch, ob gewollt oder nicht, die Inflation des Begriffs „Sterben“ aufgezeigt wird, was sogar für manches Schmunzeln im Publikum sorgt („Das Sterben des Museumsquartiers“).

Stark wirken an diesem Abend die Zäsuren in der Mitte und am Schluss, wenn nach dem „Lacrymosa“ plötzlich alle Darsteller und Pflanzen umkippen, was auch auf den ,Körper‘ des „Requiem“ wie auf den seines Schöpfers verweist („Hier endet das Werk des Meisters“), und wenn die Akteure am Ende den weißen Stoff von den Bühnenwänden ziehen, wo das Datum des Tages („1. April 2022“) erscheint, sich damit notdürftig bedecken und in Gruppen zusammenkauern, ehe ihre Spielfläche in die Höhe fährt und aller Staub, alle Farbe abfällt, bis nur noch Spuren übrig sind. Doch was sagt es über eine Darbietung aus, wenn sich jene Stellen als gelungen einprägen, an denen die Regie plakativ aus dem selbst gesetzten System aussteigt? Richtig: Der Rest erreicht diese Kraft bei Weitem nicht, auch nicht ex negativo. Wie so gern webt Castellucci seine Bezüge aus einem beiläufigen Keim: Eine Frau legt sich in ihrer Wohnung, in der gerade noch der Fernseher lief (und Herbert Kickls Stimme zu hören war), ins Bett, um zu sterben. Solche Einzelheit ist ihm Anlass genug, ein Kollektiv aufzufahren, das in einem kurzen Leichenbegängnis das Bett wegträgt. Tut leid, da macht er es sich zu einfach. Natürlich drängt sich auf, anhand eines Todesfalls zu mahnen: So geht es allen und allem, immer schon; aber die Vermittlung ist hier so dünn, dass nicht nur jeder, der das Wunder des Schlusses von Kubricks „2001: A Space Odyssey“ oder die Kollektivierung von Siegfrieds Tod in Chéreaus Bayreuther „Ring“ kennt, sagen wird, dass das Verhältnis von Teil und Ganzem hier flach bleibt, ja gar nicht vorhanden wäre, wenn die Musik nicht das wirkte, was sie auch gut ohne Castellucci kann. Und da geht es schon los, zu Mozarts „Introitus“: jenes brave bis peinliche Hopsen, das zum tänzerischen Grundzug des Abends wird. Ob neben Bäumchen und aufgeschütteter Erde, ob in trachtenähnlicher Kleidung: Oft ist die Choreographie so, dass man sich unter Hobbits wähnt; darüber helfen auch drei Greise, die nackt um ein Feuer stehen, um dann ins Dunkel davon zu tappen, und die wohl anmutigen Kinder, ein singender Bub (Izaak Benjamin Reynolds) und ein Mädchen, das seinen Körper für allerlei Puder, Farbe und Kostüm herhalten muss, nicht hinweg.

Requiem - Wiener Festwochen
© Pascal Victor_Art Com Press_Festival d’Aix-en-Provence

Kaum auszudenken, dies liefe mit schwacher Musik! Raphaël Pichons Chor „Pygmalion“ lässt sich von keiner Positur beirren und singt (am Ende sogar im Liegen) auratisch, kraftvoll und stets fein abgestimmt (beklemmend intensiv die Folge von Achtelnoten und Pausen am Beginn des „Lacrymosa“), während Pichon selbst im Graben sein Orchester schlank und flink bis rasant, aber nie überzogen oder aufgepeitscht führt. Unter den vier Solisten fehlt höchstens dem Bass Nahuel di Pierro die für seinen Part erwünschte (freilich auch heiklere) Fülle, Sandrine Piau (Sopran), Sara Mingardo (Alt) und Anicio Zorzi Giustiniani (Tenor) machen ihre Sache der Gesamtleistung angemessen. Auch die Erweiterung der „Requiem“-Partitur um gregorianische Choräle („Christus factus est“ und „In paradisum) und andere Mozart-Stücke (so „Replevit me“, „Miserere“, „Ne pulvis et cinis“, „O Gottes Lamm“ und eine Chorfassung des herrlichen Adagio aus der „Gran Partita“ KV 361) ist stimmig – vielleicht fehlt uns zur Beurteilung dessen aber auch die nötige Grammatik.

Gregor Schima

 

 

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