Wiener Festwochen: Mozarts „Requiem“ als Untermalung einer esoterischen Bilderwelt (1.4.2022)
Foto: Pascal Victor
Schon klar: Mozarts „Requiem“ benötigt in seiner geistigen Reinheit keine optische Übersetzung in eine überlegt kalkuliert gestaltete Zeitgeist-Bilderwelt. Aber auch: Entsprochen werden soll im heutigen Kultur-Konsum dem Verlangen eines wohl etwas elitärerem Publikum nach künstlerischen Produkten auf anspruchsvollem Niveau. Romeo Castellucci, Jahrgang 1960, hat sich als ein diesbezüglich exzellenter Gestalter als Regie-Guru zu etablieren vermocht. Wiederholt war er seit 1990 mit seinen Inszenierungen bei den Wiener Festwochen zu Gast. Mit der für das Festival d‘Aix-en-Provence 2019 einstudierten szenischen Fassung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ ist er zu vier Voraufführung der heurigen Festwochen – Eröffnung 13. Mai am Rathausplatz, bis 18. Juni – in das Wiener Museumsquartier gekommen. Und er hat dieser in den letzten Jahren an mangelndem Publikumsinteresse leidenden Veranstaltungsreihe zu einer ungemein stark akklamierten Wiederbelebung verholfen.
Natürlich, Requiem, es geht hier um das Mysterium des Sterben, des Vergehens. Mit spekulativem Fingerspitzengefühl reiht Castellucci Episode an Episode über die Folge der etwas erweiterten Musiknummern. Auf eine esoterische Ebene gerückt. Manches ist originell erfunden wie der in die Länge gezogene Prolog zu einem gregorianischen „Christus factus est“-Choral mit der herum trödelnden, dann sterbend langsam im Bett einsinkenden älteren Frau. Oder er setzt gezielt auf optische Reize, verblüfft mit rasch wechselnden Kostümierungen. So manch unvermittelt folgende Bildwirkungen lassen Staunen. Dazu ständig kleinere Prozessionen, sich wiederholende sehr ähnliche einfache Reigentänze des Chores, dazu ein kleinwenig freudvolles Gehüpfe und Geschunkel. Auch eine leidende Christus-Figur ist da irgendwo am Rande zu entdecken, ebenfalls mal ein Autowrack, bisschen obligate Nacktheit im Dunkeln, das hoffnungsfreudige Pflanzen von Bäumen, ein Kind als Kultobjekt. Und unerbittlich projiziert werden die Namen aus vom Erdboden verschwundener Kreaturen und Pflanzenarten der Frühzeit und Gegenwart, von versunkenen Orten, verschollenen Gemälden, zerstäubten Religionen, gerade zerbombter Städte und …. Dieser gründliche Katalog des Aussterbens der Natur, des Verwelkens scheint nicht wirklich so ganz stimmig auf die Musik zu passen, lenkt die Gedanken von dieser ab, doch vertiefende Stimmungen wie reizvolle Effekte bleiben haftet.
Ja, aber ohne …. aber ohne Orchester, ohne die singenden, sich wiegenden, akkurat auf- und abmarschierenden Akteure auf der Bühne? Ja, das ist großartig, wie Dirigent Raphael Pichon und sein Pygmalion-Orchester (auch klar: Originalklang ist angestrebt) und emotionaler Chor, beheimatet an der Oper von Bordeaux, sich alle den geforderten Intensitäten dieses Ästhetik-Spektakels hingeben können. Musikalisch in der Aussage: Mozart eindringlich und perfekt. Diese herbei gezauberte Mystik in solch kunstvoll arrangierter Szenerie mag sich als ganz schön positiv für den gehobenen heimischen Kulturbetrieb erweisen – die Wiener Festwochen können mit diesem Coproduction-Gastspiel nach längerer Zeit wieder einen vollen Publikumserfolg verbuchen.
Meinhard Rüdenauer