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WIEN – LONDON / UCI – ROH im Kino: MACBETH

05.04.2018 | KRITIKEN, Oper

 

WIEN – LONDON / ROH im Kino:
MACBETH von Giuseppe Verdi
Live Übertragung im UCI Handelskai
4.
April 2018

Beschwingt von einem Gläschen Sekt oder Sekt Orange schloß man sich der nicht unbeträchtlichen Menge von Wiener Opernfreunden an, die ins UCI Handelskai gepilgert waren, um Anna Netrebko „live“ als Lady Macbeth zu hören. Live aus zweiter Hand natürlich, denn man war ja nicht unmittelbar in Covent Garden in London, aber, wie die Moderatorin richtig sagte, mit den besten Sitzen – nicht nur, weil man im Kino wirklich komfortabler sitzt als in der Oper je, sondern weil auch die Übertragungs- und Schnitttechnik wirklich hohes Niveau bietet. Man ist mitten drin und so nahe dran, wie einem auch der stärkste Operngucker Anna Netrebko nicht heranholen könnte…

Anständigerweise muss man aber mit dem Lob beginnen, dass das ROH (Royal Opera House) Covent Garden eine ganz vorzügliche „Macbeth“-Inszenierung von Phyllida Lloyd besitzt, die nicht nur eine sichere Hand für Film („The Iron Lady“, der Thatcher-Film mit Meryl Streep) und Theater besitzt, sondern auch für Oper. Dabei stammt die Produktion aus dem Jahre 2002, ist also das, was man „alt“ nennt. Sie basiert aber auf einer so zeitlosen Umsetzung des Werks, dass Fragen nach alt und neu obsolet sind, weil die ewige Forderung nach dem „heutig“ hier durch „gültig“ ersetzt ist. Hier wird Shakespeares Magie geboten, durch das psychologische Bad der Verdi’schen Musik-Charakteristik gezogen.

Entscheidender Movens der Handlung sind die Hexen, mit roten Kopftüchern und schwarzen Strichen über den Augen dem berühmten Selbstbildnis der Frida Kahlo nachgestaltet und wirklich dämonisch, auch in der choreographischen Führung des Chors, der nie in irgendein Gewühl aufgeht. Diese Hexen bringen das Böse zum Vorschein, werden aber auch immer wieder geschickt in die Handlung „eingestrickt“ – sie transportieren den Brief von Macbeth zur Lady, sie retten Banquos Sohn (um Macbeths Untergang sicher zu stellen), und wenn Malcolm auch am Ende nicht gierig die Krone an sich reißt, sondern sie von Macduff zögernd annimmt, so schwingen sich die Hexen doch auf jenen goldenen Käfig, der immer wieder im Zentrum des Geschehens auftauchte – der Käfig der Macht, im Kleinen findet man darin die Krone, im Großen wird darin ebenso repräsentiert wie gekämpft und gestorben…

Ein symbolistisches Bühnenbild (Anthony Ward), das sehr schnell verwandelt werden kann, macht die Geschichte nicht realistisch, überhöht sie aber „to the point“, immer mit viel Gold, wenn es um die Königswürde geht, mit Verschränkung von Szenen (während die Flüchtlinge ihren berühmten Chor singen, der im Vergleich zu jenem von „Nabucco“ so still und traurig ist, liegt die Lady schlafend auf ihrem Bett), mit dazu gedichteten Figuren (wobei man die vielen Kinder, die während der eigentlich für das Ballett gedachten Musik auf die Bühne gebracht werden, nicht brauchen würde). Alles in allen greift das Geschehen fugenlos ineinander und führt – mit wenigen Abstrichen – von einer überzeugenden Idee zur nächsten, Machtrausch und Tanz in den Untergang verbindend.

Antonio Pappano, als der Verdi-Liebhaber vorgestellt (er wird nächste Spielzeit die „Forza“ mit Jonas Kaufmann und Anna Netrebko mit ihrer ersten Leonore dirigieren), nimmt den „Macbeth“ breit und schwelgerisch, düster und dämonisch, man kann Verdi packender (und auch etwas schneller) machen, aber Musik und Szene passen ideal zusammen.

Für Anna Netrebko ist beim derzeitigen Zustand ihrer Stimme die Lady Macbeth wohl die ideale Rolle. Die dunkel-gutturale Mittellage kommt dieser Partie (die oft von Mezzos gesungen wird) absolut entgegen, nur dass sie natürlich alle Sopranhöhen schmettern kann, alle Triller locker bedienen und den Spitzenton am Ende der Wahnsinnsszene nicht kippen muss. Ihre Aussage, sie wolle die Lady „so menschlich machen wie möglich“, ist nett gedacht, aber natürlich nicht möglich, denn es gibt so gut wie keine positiven Züge in der Figur. Sie treibt ihren Mann von Anfang an (darstellerisch und gesanglich) mit Dynamik und Dramatik zum Bösen, sie hetzt den Zauderer, verspottet den Ängstlichen, und selbst die flackernde Wahnsinnsszene gibt nichts von Schwäche preis. Das ist schon eine Leistung, die gesehen zu haben man froh ist und die man unter „ereignishaft“ im Gedächtnis ablegen wird.

Das gelingt dem Macbeth von Željko Lučić nicht, obwohl er darstellerisch sehr gut geführt ist und sichtbar von der Unsicherheit des nicht geborenen Verbrechers zur gewissenlosen Rücksichtslosigkeit des Machtmenschen „wächst“. Aber er ist als Persönlichkeit weder schillernd noch faszinierend, und brav und ordentlich gesungen, ist dann auch nicht wirklich gut genug.

Wir sind für den Banquo echte schwarze Bässe und ältere Herren gewöhnt – Ildebrando D’Arcangelo bewegt sich da auf einer anderen Ebene, kann von seinem Bassbariton den Bass ohne weiteres abrufen (und die baritonalen Höhen fallen ihm leicht), ist gleich zu Beginn eine Art jüngerer Gefährte zu Macbeth und nach seinem Tod eine unheimlich stille Erscheinung. Es geht auch so.

Yusif Eyvazov erkennt man immer, die Stimme wird einfach nicht schöner, wie gut, dass Macduff nicht viel zu singen hat – und wird bezüglich Stimmqualität von Konu Kim als Malcolm, der noch weniger zu singen hat, mühelos in die Tasche gesteckt.

Was den Chor betrifft, so sind wir wohl vom Staatsopernchor verwöhnt – hier hörte man öfter, als es einem lieb war, Unebenheiten. Aber wie die Damen die Hexen dargestellt haben, damit machten sie alles wett.

Das war ein toller Abend aus Covent Garden. Oper im Kino hat ihre Qualitäten, abgesehen davon, dass man es schließlich sonst gar nicht zu sehen bekäme!

Renate Wagner

 

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