Apostol Milenkov als „Holländer“. Foto: Marcus Haimerl
WIEN/ Krypta der Peterskirche: Oper in der Krypta: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ – 26. 4. 2017
Opernerlebnisse sind nicht an große Häuser gebunden. Nicht nur sog. „Provinztheater“ offerieren sie ebenso wie die Metropolen, sondern manchmal auch kleine Räume in großen Städten. Die Krypta der Peterskirche im Zentrum der Wiener Innenstadt (Petersplatz, gleich um die Ecke vom Graben) ist seit 2014 Schauplatz für eine Besonderheit: „eine neue Opernbühne, die es ermöglicht, Ihnen auf ungewöhnlich intensive und berührende Art und Weise bekannte, aber auch unbekannte Opernwerke hautnah zu zeigen“, wie die Intendantin Dorothee Stanglmayr es verlockend zum Ausdruck bringt.
Angeregt durch den mehrfach dort mitwirkenden bulgarischen Bassbariton Apostol Milenkov, der sich zugleich als Regisseur und Titelheld zur Verfügung stellte, assistiert vom „Steuermann“ Sergio-Tallo-Torres, der sich eifrig um die Umbauten in der Pause und während der Aufführung bemühte, gab es hier Wagner im Kleinformat. Und das hat funkioniert!
„Stehtheater“ kann ungemein faszinierend sein – wenn die richtigen Leute dastehen. Für große Aktion ist auf der kleinen Bühne ja kaum Platz. Natürlich auch weder für einen Chor noch für ein Orchester. Aber dem ward abgeholfen: Beides wurde mehr als effizient vertreten durch eine zarte Italo-Koreanerin, Rugiada Lee, am Flügel, die mit nicht nur raumfüllendem Klang (was ja leicht machbar ist), sondern mit einer musikdramatischen Kompetenz ohnegleichen Wagner so aufregend präsentierte, wie er es komponiert hat. Man lauschte der Ouvertüre, die ja schon das ganze Drama vorwegnimmt, ebenso gebannt wie den hiemit aus der linken Ecke des Saales ertönenden Chorszenen im 3. Akt und den großen Szenen der Hautpersonen, die nicht nur in diesen „Orchesterklang“ liebevoll eingebettet ihre Stimmen ertönen ließen, sondern auch eine leidenschaftliche Unterstützung für ihre Rollengestaltung erhielten.
Als szenischen Hintergrund gab es oberhalb der Mittelbühne Projektionen eines bewegten Meeres mit oder ohne geheimnisvolles Schiff zu sehen. Da hätte etwas mehr Abwechslung, angepasst an die jeweiligen Vorgänge in der Musik. nicht geschadet.
Auf ganz persönliche Art faszinierten die beiden Hauptpersonen. Nachdem der Fliegende Holländer seit Jahrhunderten im Unruhezustand die Weltmeere durchsegelt hat, bedeutet die Landung, die ihm nur alle 7 Jahre gewährt wird, gewiss ein inneres Ruheerlebnis. Wagner lässt ihn ja auch ganz ruhig auftreten (::“kommt an das Land“). Den damit verbundenen Selbstbesinnungs-Monolog vermochte Apostol Milenkov mit nur wenigen Gesten sozusagen im Stand glaubhaft zu machen. Der groß gewachsene, schwarz gewandete Sänger vermittelte das Mysterium dieser Figur allein durch die Stimme und – natürich – das Wissen darum, was er hier sang, mit entsprechend markanter Diktion. Er ist kein Schmeichelbass, wie man ihn etwa für Sarastro oder die großen Verdi-Rollen erwarten würde, sondern ein kräftiger Bassbariton mt exzellenter Höhe, aber – vor allem – mit einer sonoren Tiefe, die für Hintergründiges geradezu prädestiniert erscheint, und hier wohl am faszinierendsten im piano-Einsatz („Dich frage ich…“,, „Wie aus der Ferne…“) Das Faszinosum dieser Figur blieb bis zum Ende präsent. (Milenkov hat ja in Sofia auch schon den Wotan gesungen und würde vom Stimmvolumen her gewiss auch als Holländer weit größere Räumlichkeiten füllen.)
Magdalena Renwart. Foto: Herta Haider
Innerlich immer schon, aber ab dem 2. Akt auch sicht- und hörbar zeigte sich die Senta, Magdalena Renwart (eine Tirolerin mit viel Italien-Hintergrund) allen Herausforderungen in Stimme und Darstellung gewachsen. Mit warmem, höhensicherem Sopran konnte sie die jeweilige Gefühlslage der Dalandstochter vermitteln, erfreute im Umgang mit der realen Umgebung im Vaterhaus durch charmant-mädchenhaftes Verhalten und ließ glauben, dass ihre leidenschaftliche Hinneigung zu dem verdammten Seefahrer auch der letzten Konsequenz standhalten kann. Sie verschwand nach der ekstatischen Versicherung „Hier steh ich, treu dir bis zum Tod“ im dunklen Hintergrund. Dann aber – zum anschließenden Erlösungs-Motiv vom Pianoforte – trat das vereinte Paar aus besagtem Hintergr wieder auf die Bühne und ging Hand in Hand durch den Mittelgang der Zuschauerreihen vom Schauplatz ab. Eine wunderbar „erlösende“ Idee, die trotzdem noch ein offenes Ende lässt, für den ewig umstrittenen Schluss der Oper.
Muratcan Atam, Magdalena Renwart. Foto: Herta Haider
Zwei bemerkenswerte Tenöre ergänzten das Ensemble. Ein junger türkischer Erik, Muratcan Atam, physisch dem Typ „Spieltenor“ zuordenbar , aber vokal mit beachtlicher Strahlkraft der gut sitzenden Stimme, mit der er die schwierige Partie klaglos bewältigte, wohl für Größeres bestimmt. Wir dürfen neugierig sein… „Unser“ (Kunstsalon)-Spanier Sergio Tallo-Torres beschwor mit viel Animo den Südwind, der ihn zu seinem Mädel bringen soll. Mit fast schon raumsprengendem Mezzo nahm sich die (uns ebenfalls bekannte) Puertoricanerin Celia Sottomayor ihrer Aufgaben als Mary an. Nicht ganz so passend zum alten Haudegen Daland: der einspringende Sebastian Peissl, der wie Sentas jüngerer Bruder aussah und noch recht anfängerhaft aufs Vokale konzentriert, die humorige Zwiespältigkeit der Daland-Figur nicht vermitteln konnte. Er ist ja noch in Ausbildung begriffen und man kann noch nicht sagen, in welches Rollenfach der junge Bassbariton sich entwickeln wird.
Eine reizende Idee als Chor-Ersatz: 5 kleine Mädchen durften stricken und dabei das „gute Rädchen“ summen und brummen lassen.
Der ausverkaufte Saal der Krypta vereinte eine Menge „Alt-Wagnerianer“, die das ungewohnte „Event“ ihres Lieblingskomponisten lang und laut bejubelten.
Sieglinde Pfabigan