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WIEN/ Konzerthaus: WIEN MODERN 33 – Das Eröffnungskonzert an der Kippe zum 2. Lockdown

„Stimmung“ lautet heuer das Motto für ein Festival im Ausnahmezustand

31.10.2020 | Konzert/Liederabende

WIEN MODERN 33: Das Eröffnungskonzert an der Kippe zum 2. Lockdown

Konzerthaus: „Stimmung“ lautet heuer das Motto für ein Festival im Ausnahmezustand

30.10. 2020 – Karl Masek

Kunst & Kultur, Festivals im Ausnahmezustand! Monatelanger Lockdown bereits in diesem Frühjahr. Viele  Kultureinrichtungen  wissen schon jetzt nicht mehr, wie (und ob) es weiter geht. All die Hindernisse unter den Bedingungen einer Pandemie, all die Unabwägbarkeiten, die in immer kürzeren Zeitabständen auf die Kulturschaffenden; die Organisatoren,… einprasseln, wenn sich  Verordnungen im Wochentakt verändern, verschärfen: Eine schier unendlich lange To-do-Liste hat sich in den letzten Monaten ergeben. Ein bis ins letzte Detail ausgetüfteltes Sicherheits- und Präventionskonzept hat man ausgearbeitet.


Intendant Bernhard Günther. Copyright: nafezrerhuf.jpg.

Der künstlerische Leiter des Festivals, Bernhard Günther, musste wohl schon im Vorfeld  Nerven wie Drahtseile haben, eine durch nichts zu erschütternde Zuversicht, einen durch nichts zu erschütternden Enthusiasmus, eine durch nichts zu erschütternde Leidenschaft,  um von der Durchführung „WIEN MODERN 33“ überzeugt zu sein.

Am 29.10. wurde in Deutschland ein Lockdown, ein drastisches Herunterfahren des öffentlichen Lebens samt Verbot  aller kulturellen Veranstaltungen, jedenfalls bis Ende November, verkündet, um die Corona- Ansteckungszahlen nicht weiter unkontrolliert ausufern zu lassen. All jene, die perfekt ausgeklügelte Hygienekonzepte und Sicherheitsmaßnahmen vorsahen, fühlen sich nun begreiflicherweise verschaukelt und in einen Topf geworfen mit verantwortungslosen Party-Abfeierern, die sich um keine Sicherheitsmaßnahmen scher(t)en und so tun als gäbe es keine Pandemie.   „Zu Allerseelen verstummen die Kultur-Seelen in Deutschland“, zitiert die Salzburger Kulturzeitung im Internet, „Drehpunkt Kultur“, Postings von Kulturschaffenden.  

Wenn WIEN MODERN 33 in Zeiten wie diesen eröffnet, hat das heurige Motto „Stimmung“, viel mit „Mut der Verzweiflung“, “Flucht nach vorne“ zu tun. Und alles wartet darauf, ob Österreich (diesbezügliche Pressekonferenz am 31.10.) mit den Maßnahmen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Tschechien,…, gleichzieht. Sogar von nächtlichen Ausgangssperren soll die Rede sein …

Klar, dass auch der künstlerische Leiter von Wien Modern das Wort ergriff u.a. mit dem Statement, dass eine Gesellschaft, die Kunst für entbehrlich hält, sich viel rascher als man glaubt, verändert. Es gelte, klare Weichenstellungen vorzunehmen. „Sollte die Entwicklung der Pandemie weitere Weichenstellungen notwendig machen, setzen wir alle Hebel in Bewegung  und halten Sie über alle Änderungen auf dem Laufenden“. Wer Bernhard Günther kennt, weiß, er wird all sein Kreativpotenzial, seine Hartnäckigkeit, sein Organisationsgeschick dafür aufbringen.


Paul Skrepek, Andreas Platzer, Die Maschine. Copyright: Markus Sepperer

Am 30.10.: Das Festivalthema sorgt auch für Gelegenheit, einen Blick auf das weite Feld des experimentellen Instrumentenbaus zu werfen. Paul Skrepek (Konstrukteur & Musiker) und Andreas Platzer (Maschinist & Musiker), Instrumentenbauer, haben ihre gesammelten Werkstücke ins Konzerthaus gehievt.

Das Eröffnungskonzert wartet mit 4 Orchesterwerken auf, die besondere „Stimmungsnuancen“, das verfeinerte „Hineinhören“ in musikalische Strukturen gemeinsam haben.

Die aus Houston, Texas, stammende Pauline Oliveros (1932-2016) ersucht in The Tuning Meditation“ aus dem Jahr 1971, sich …“genau auf eine*n Mitspieler*n einzustimmen oder einen anderen Ton beizusteuern, den niemand anderer erklingen lässt“. Kurz gesagt, um besonders sensibles „Aufeinander-Hören“ geht es, und um das jeweilige Fortfahren geht es, das naturgemäß aus verschiedensten Optionen bestehen kann, zwischen denen man hin- und herwechselt.  Im speziellen Fall entsteht durch die Fähigkeit der Orchestermitglieder, Töne aufeinander einzustimmen,  eine gut zehnminütige Klangwolke, die naturgemäß immer anders klingen wird. Metrische Vorgaben gibt es nicht – und ein Dirigent hat dabei nichts verloren. Spannend, weil auch das Publikum dazu angehalten ist, in Stimmungen „hinein zu hören“ und erkennt, was Musik mit feinen Zwischentönen „macht“. Eine feine Konzentrationsübung!

Dirigent Leo Hussain, zuletzt mit „Salome“ am Theater an der Wien zu Gast, betrat erst beim Violakonzert  („Filz“, für Viola solo, vier Klarinetten und Streichorchester, 2013/14) des Deutschen Enno Poppe, Jahrgang 1969, das Podium. In diesem sehr dialogischen, sehr „gesprächigen“ Werk wird der Viola ein dunkel getönter, weicher, „warmer“ Filz-Klangteppich unterlegt. „Wie eine Fußbodenheizung“, so der Komponist über sein Opus. Es ist ein dreisätziges Werk. Der rasche dramatische Mittelteil mit sich stetig steigernden Erregungskurven und abenteuerlich wirkenden Glissando-Kunststücken wird umrahmt von 2 langsamen Sätzen, die der Bratsche viel Gelegenheit zu glänzender und süffiger  Rhetorik geben.


Tabea Zimmermann. Foto: Marco Borggreve

 Tabea Zimmermann stand im Großen Konzerthaussaal im Zentrum des Eröffnungskonzertes. Die weltberühmte Bratschistin (Ernst-von-Siemens-Musikpreisträgerin des Jahres 2020)  musste für das Konzert das Violaspielen nach eigener Aussage völlig neu lernen. Sie hat eine staunenswerte Vielfalt an Klangvaleurs und „Stimmungen“ zur Verfügung, von heiter und hörbar gut gelaunt bis zu aufbrausend und ziemlich cholerisch.

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, von Leo Hussain souverän durch das unterhaltsame Gesprächslabyrinth gesteuert, war auch hier voll auf der Höhe, was Dialogbereitschaft und orchestrale Streitkultur betraf. Die 4 Karinettisten warteten mit klanglichen Kabinettstückchen auf.

Nach der Pause 2 Uraufführungen. Beide Auftragswerke von Wien Modern wurden noch  während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 geschrieben. Subtile Klangräume erschließt der gebürtige Kolumbianer und Wahlösterreicher  Germán Toro Pérez, Jahrgang 1964, mit „Trazos II“ für großes Orchester.  Der Erich-Urbanner-Schüler arbeitet dabei mit einer Technik der Vierteltonabstände, was ihm einen besonderen Reichtum an Zwischentönen ermöglicht. 2 Harfen im Vierteltonabstand wirken mit. 2 Klaviere, viel beschäftigte Querflöten und ein originell eingesetztes Schlagzeug liefern ein vielfältiges, stellenweise exotisch anmutendes, insgesamt sehr sinnliches Farbenspektrum.

Ein großformatiges Werk von Hugues Dufourt (Lyoner des Geburtsjahrgangs 1943) beschloss das Eröffnungskonzert. Les deux soules d’apres Monet heißt die Uraufführung, inspiriert vom Kolossalgemälde des Claude Monet mit der Wasserlandschaft der 2 Weiden. Das musikalische Geschehen verfolgt wie Monets Bild die Illusion eines endlosen Ganzen, einer Welle ohne Horizont und Ufer.

Dementsprechend statisch bleibt die Klangwelt des Hugues Dufourt. Eine endlos scheinende Aneinanderreihung von Klangflächen, Wellenbewegungen und Streichertremoli. Von einer Starrheit und Gleichförmigkeit, an der das Ohr bald das Interesse verliert. Da gibt es  keine musikalische Entwicklung, keinerlei klangliche Inspiration, es geht, salopp gesagt, 25 Minuten lang rein gar nichts weiter.

Ein enttäuschender Schluss eines sonst hoch ambitioniert zusammengestellten und gut besuchten  „Konzerts für Hörer“.

57 Uraufführungen sind für „Wien Modern 33“ angekündigt. 28 österreichische Erstaufführungen. Insgesamt 104 Veranstaltungen bis 29.11. in 9 Wiener Gemeindebezirken. Viele außergewöhnliche, originelle Formate. Musiktheaterpremieren, Nachwuchsarbeit mit Kindern und Jugendlichen der „Jungen Musik“ auf neuem Niveau: das alles wurde minutiös geplant.

Sollte das alles dem befürchteten Lockdown zum Opfer fallen, bliebe fast nur der Ausruf:

ES LEBE „WIEN MODERN 34“ IM HERBST 2021!

Karl Masek

 

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