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WIEN/Konzerthaus: Abschiedskonzert des Ensembles „die reihe“ bei WIEN MODERN

Eine Ära geht zu Ende

04.11.2019 | Konzert/Liederabende


Friedrich Cerha, Gertraud Cerha, HK-Gruber, Kurt Schwertsik. c: Markus Sepperer

WIEN/Konzerthaus: Abschiedskonzert des Ensembles „die reihe“ bei WIEN MODERN

Eine Ära geht zu Ende

3.11. 2019 – Karl Masek

Das Ensemble für Neue Musik, „die reihe“, wurde 1958 von Friedrich Cerha (damals 32) und Kurt Schwertsik (damals 23) gegründet.

Vor dem Konzert saßen im überfüllten Wotruba-Saal des Wiener Konzerthauses die beiden Gründer, gemeinsam mit Gertraud Cerha und „Nali“ Gruber, der im jugendlichen Alter von 17 Jahren als Kontrabassist zum Ensemble gestoßen war, und erzählten von den Anfängen vor 60 Jahren und über die Entwicklungen bis hin zu „Wien Modern“. Eine Zeitreise für das Auditorium, bestehend aus auffallend vielen „älteren Semestern“, die das Ensemble offensichtlich über den Großteil dieser Zeit treu begleitet hatte. Das Archiv der Zeitgenossen der Donau-Universität Krems stellte informatives Bild- und Tonmaterial zur Verfügung. Gundula Wilscher moderierte mit profunder Kompetenz. Schön zu erleben, wie die Avantgardisten von einst (das Ehepaar Cerha mittlerweile 93 bzw. 91 Jahre alt und Schwertsik ist auch schon 85!) brillant, geistsprühend, schlagfertig und humorvoll diese Zeit beleuchteten.

Ende der 50er Jahre war das kulturpolitische Umfeld Österreichs bzw. Wiens immer noch geprägt vom „Heimat-und-Scholle“-Denken des Ständestaates der Ersten Republik. Damalige „Meinungsmacher“ saßen schon wieder oder noch immer an den Schalthebeln – von der Musikhochschule über den Rundfunk bis zu den Konzertveranstaltern. Die Möglichkeit, zeitgenössische Musik, ja selbst die„Klassische Moderne“, kennenzulernen, blieb durch diesen Konservativismus stark eingeschränkt.

Dies wollten Cerha und  Schwertsik ändern. Sie scharten befreundete Musiker um sich, die sich zum Ziel setzten, die Aufbruchsstimmung, welche die Hochburg der damaligen Avantgarde, die Darmstädter Ferienkurse, ausstrahlte, auch nach Wien zu bringen. Allerdings ohne die apodiktische Dogmatik, die damals von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono ausging, kopieren zu wollen. Vielfalt war angesagt. Man wollte bewusst „Löcher schließen“, die sich seit der Spätromantik aufgetan hatten. Man brachte „Personalienkonzerte“ von John Cage, Edgar Varése. Selbst Leoš Janáček war mit seinen Instrumentalwerken damals noch weitgehend unbekannt. Die Zweite Wiener Schule und vor allem die Musik Anton Weberns wurde vom Ensemble forciert.

Der damalige Intendant des Konzerthauses, Egon Seefehlner, gab den „jungen Innovativen“ im Februar 1959 die Chance, mit Konzerten im Schubert-Saal zu beginnen. Bald übersiedelte man in den größeren Mozart-Saal. Anfangs von Skandalen und Tumulten begleitet, wie etwa die Zeitung „Neues Österreich“ am 21.11. 1959 nach dem Cage-Klavierkonzert titelte.

Nun, mehr als 6 Jahrzehnte später, das Adieu. Beziehungsvoll beim Festival WIEN MODERN und in eben diesem Mozart-Saal des Konzerthauses zelebriert, wo alles begann.

In dieser langen Zeit hat „die reihe“ naturgemäß Entwicklungen durchgemacht, Metamorphosen durchlaufen.  Zurück zu den Wurzeln, den Ausgangspunkten der „Moderne“, im Falle der Tonsprache des Kurt Schwertsik und des „Nali“ Gruber zurück zur Tonalität. Und Friedrich Cerha hat sich in seinem umfangreichen Gesamtwerk sowieso nie irgendwelchen „-ismen“ unterworfen.

Logisch der zusammengestellte Querschnitt dieses Abschiedsprogramms, dirigiert von HK Gruber und Christian Muthspiel. Die für das Programm ausgewählten Werke wurden allesamt erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Bühne gebracht.

Die neue Klangwelt des in Paris geborenenEdgar(d) Varése (1883-1965) war geprägt voneiner Vielzahl dissonanter Akkorde und einer komplexen rhythmischen Polyphonie. Sie erschließt sich dem Ohr des Hörers nicht so ohne weiteres. (Übrigens: als „die reihe“ Varése spielte – den das traditionelle Konzertpublikum gar nicht mochte -, war auch die Zeit des Chansonniers Georg Kreisler, der in seinem bitterbösen Lied „Der Musikkritiker“ sang: …“ Hindemith, Strawinksy und Varese, die sind gut – doch ich bin beese…“)

Anton Weberns aphoristisch-kurze „Sechs Stücke op.6“ (1909) waren auch Teil des berühmten Skandalkonzerts von 1913 im Großen Musikvereinssaal. Heutige Ohren können da nichts Skandalöses mehr entdecken. Eher feingliedrige Transparenz im Bereich fragiler Pianissimo-Klänge.

Friedrich Cerhas „Bruchstück, geträumt“, WV 156 für Ensemble aus dem Jahr 2009 ist eines seiner idealtypischen Alterswerke. Abgeklärt, ausgehend von musikalischen Vorstellungen, die der Komponist mit Bedachtsamkeit lange „mit sich herumträgt“, bevor sie „Klang“ werden. Die Dynamik geht selten über das pianissimo hinaus. „Die Musik tastet sich wie blind voran, das Stück ist ein hohes Lob der Langsamkeit, seltsamer Fremdkörper in unserer hektischen Welt…“ sagt Cerha über sein Stück. Und es dockt, so kommt es mir vor, ganz zart bei Gustav Mahler an, dessen „Der-Welt-abhanden-gekommen-Sein“, dem schier endlosen morendo im letzten Satz seiner „Neunten“ oder dem „Ewig, ewig…“ aus dem „Lied von der Erde“. Betörend schöne, schwerelose, luftige, ja stratosphärische und unwirkliche Klänge. So wie man bei Mahler Luft und Landschaft vom Attersse bis Toblach zu spüren meint, so ist es bei Cerha wohl die nächtliche Luft und Landschaft des Dunkelsteiner Waldes und von Maria Langegg…

Erdiger, überwiegend in tonalen Gefilden bleibend Kurt Schwertsiks „4 Kinder-Toten-Lieder op. 79b für Bläser und Schlagzeug“ (1998/2019). Sozusagen „Lieder ohne Worte“. Inspirationsquelle waren die „hinterhältige, brutale Poesie“ in Gedichten von Konrad Bayer (1932-1964),  Literat der „Wiener Gruppe“, der durch Freitod endete.

Als bejubelter „Kehraus“ schließlich die „Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester, Banjo, Schlagzeug und Klavier“ (1928 von Kurt Weill. Hier war der Charismatiker am Pult, „Nali“ Gruber, in seinem Element. Und die Musik des jungen Weill für das gleichnamige Brecht-Stück hat nichts von ihrer Frische, ihrem subversivem Witz und der schwülen Erotik des Zeitgeistsounds der wilden 20er Jahre verloren. Ja, und in den oft als so „miefig“ bezeichneten 50er Jahren, in den Anfangsjahren „der reihe“, hatten natürlich auch die „Kalten Krieger“ unter den Kritikern das Sagen. Darunter fallen auch die Jahre des Brecht-Boykotts, den die damals sakrosankten Kritiker Friedrich Torberg und Hans Weigel apodiktisch ausgerufen hatten. 2019 mit der „Dreigroschenmusik“ hat man späte, subtile Rache geübt. Vielleicht haben die beiden im „ewigen Schlaf“ für 22 Minuten unruhige Träume gehabt…

Ein Konzert als musikalische Zeitreise, berührend und, ja: nostalgisch. Eine Ära geht zu Ende. Stehende Ovationen.

Karl Masek

 

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