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WIEN / Kasino: DOSENFLEISCH

18.09.2015 | KRITIKEN, Theater

Dosenfleisch Szene breit
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
DOSENFLEISCH von Ferdinand Schmalz
Uraufführung am 13. Juni 2015 bei den Autorentheatertagen Berlin
Wiener Premiere am 18. September 2015

Wenn das ein „echtes“ Stück wäre, also das, was man früher – in Dinosaurier-Zeiten – unter einem Theaterstück verstanden hat, dann würde man sich in eine nihilistische Camus-Welt versetzt fühlen. Eine einsame kleine Autobahnstation, hoch über gefährlichen Kurven, wo immer wieder tödliche Unfälle passieren. Zwei rätselhafte Frauen – hat die eine von ihnen die frühere Besitzerin des Ladens umgebracht und in den Kühlschrank gesteckt? Ist die andere ein „untotes“ Unfallopfer, und die beiden bilden nun ein mörderisches Duo Infernal? Ist der Versicherungsagent, der geradezu lüstern von den Bildern der Unfallopfer spricht und gierig auf die Strecke blickt in der Hoffnung auf ein Live-Erlebnis, ihr nächstes Opfer? Offenbar. Und welche Rolle spielt der Fernfahrer, den es auch hierher verschlägt und der so etwas wie das „Lied der Straße“ singt, immer den weißen Mittelstreifen entlang…?

Dosenfleisch_FridaLovisaHamann_DorotheeHartinger

Aber nein, es ist kein Stück und kein Krimi, vielmehr bedient der 30jährige Ferdinand Schmalz als Graz bereits schon zum zweiten Mal ganz virtuos den Zeitgeist dessen, was als gegenwärtiges Theater ja doch immer wieder ratlos macht (wenn man die Nerven hat, es einzugestehen), und mischt Absurdes mit jenen Sprachspielereien, die ja doch immer nur Jelinek- und Schwab-Klone sind, wenn aus Doppeldeutigkeiten scheinbare Tiefsinnigkeiten oder scheinbarer Witz erwachsen soll.

Man gibt sich tiefgründig-philosophisch, das „Dosenfleisch“ ist nicht nur das reale, das nach dem Lastwagenunfall über die Autobahn kollert und alles (inklusive der Scheiben der nachkommenden Autos) verschmiert, wenn die Büchsen, über die hinweggefahren wird, platzen: „die ladung hat sich selbst entladen, verteilt da auf der autobahn ein meer aus dosenfleisch“, erfährt man. „Dosenfleisch“ ist auch, das sollen wir begreifen, darüber hinaus die Metapher für den Mensch von heute, nicht nur in der Auto-Blechdose, wohl auch in der seines eigenen Geistes. der erst durch den Unfall zum Leben erweckt wird, „wenn man erst weiß und wirklich weiß am eignen leib dass das beschissne kleinkarierte leben dass es mit einem schlag vorbei sein kann.“ Wo da die Grenze zwischen tiefer Erkenntnis und Banalität verläuft, soll jeder für sich entscheiden.

Solche Texte lobt die Theaterkritik als „Vollwertkost“, und Schmalz ist ja nicht von ungefähr zum Nachwuchsautor des Jahres 2014 von „Theater heute“ gekrönt worden. Die gegenwärtige Aufführung von „dosenfleisch“, die das Burgtheater im Kasino zeigt (auch sein Erstling „am beispiel der butter“ ist bereits an diesem Haus präsentiert worden), hatte nun bereits ihre Premiere Berlin und wird in Wien nachgespielt. Mit viel Lärm – Percussionistin Katharina Ernst beginnt und endet den eineinviertelstündigen Abend mit einem wahren Schlagzeug-Furioso, für das sie mehr persönlichen Beifall verdient hätte, und haut auch zwischendurch, wenn auch diskreter, sozusagen unterstreichend auf die Pauke: Ist doch schön, wenn Wichtiges betont wird, das Publikum mag ja sonst in der Sprachsuppe geistig untergehen. Wo doch so viele philosophische Erkenntnisse mit nach Haus zu nehmen sind… oder?

Dosenfleisch Gasmasken xx

Das Autobahnstück (es fällt ein, dass Schmalz sich die „Raststätte“ als Motiv vielleicht von der Jelinek geholt hat?) wird von Carina Riedl inszeniert, exzentrisch genug, um klar zu machen, was man ohnedies weiß: Dies ist nicht real, dies ist ein Gleichnis. Zum Beispiel die Gasmaskenszene zwischendurch, zu der man sich vermutlich ausdenken kann, was man will. Vor den beiden Damen, der mörderischen Dorothee Hartinger und der rätselhaften Frida-Lovisa Hamann, kann man sich ohne weiteres fürchten. Tino Hillebrand, der als Versicherungsvertreter (irgendwie hat er Rollen in den Schuhen, so wie er über die Bühne gleitet?) auf zittrige Albernheit gestimmt ist, bekommt mehr Möglichkeiten als Daniel Jesch, dessen Fernfahrer im Hintergrund bleibt.

Dosenfleisch Finale xx

Am Ende legen alle Kriegsbemalung auf und kriechen zu mystischem Licht in den Zuschauerraum – eine Todesfuge? Vermutlich. Danach hat man die aufopfernden Darsteller und die famose Dame am Schlagzeug ebenso beklatscht wie das Leading Team und den Autor. Obwohl man manchmal nur Bahnhof verstanden hat. Oder, exakter, in diesem Fall: Autobahn.

Renate Wagner

 

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