WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
CATCH ME IF YOU CAN – DAS MUSICAL
Buch: Terrence McNally
Musik: Marc Shaiman
Europäische Erstaufführung
Premiere: 24. Oktober 2013,
besucht wurde die Vorstellung am 3. November 2013 nachmittags
Zuerst der erste Eindruck von den „neuen“ Kammerspielen, und der ist nicht unbedingt gut. Gewiss, das alte Haus war verbaut und verstaubt, aber der Foyerbereich des neuen – nun „Kammerspiele der Josefstadt“ – ist äußerst kahl, kühl und vor allem ungemütlich. Es gibt schließlich auch ältere Leute hier, und wer etwa eine Viertelstunde vor der Öffnung der Saaltüren hier ist, muss sowohl im Balkonfoyer (auf dem man eintritt) wie im Parterrefoyer (zu dem man hinuntergeht) stehen. Nicht das kleinste Plätzchen, um sich hinzusetzen. Wenn man etwas vom Buffet konsumiert, muss man es stehend an kleinen, hohen runden Tischchen tun.
Der Zuschauerraum wirkt etwas angenehmer, mit rotem Samt und in Weiß/Gold ist das wärmer und anheimelnder, wenn sich auch die nun von einer Seite zur anderen durchgehenden Reihen nicht bewähren: Nicht, weil das Publikum jetzt nicht „in der Mitte einziehen und sich bewundern lassen kann“ (wie Direktor Föttinger meinte), denn das ist mit Sicherheit niemandes Sorge. Aber wenn nun durchschnittlich 22 Sitze von zwei Seiten zugänglich sind, müssen, wenn die Besucher in der Mitte in der Regel zuletzt kommen (das ist nun mal so), an die zehn Leute aufstehen. Das alles wird noch unbequemer durch die Tatsache, dass die Reihen alles andere als großzügig geschnitten sind und auch mittelgroße Menschen hier nicht über halbwegs komfortablen Beinplatz verfügen…
Die beängstigende Schlange vor der Damentoilette unten in der Pause legt den Schluss nahe, dass man trotz Neubaus nicht darauf geachtet hat, hier ausreichend Vorsorge zu treffen. Zusätzliche Toiletten gibt es im Pausenraum ganz oben, die sollen auch für Behinderte sein – wie die dann vom Parkett zwei Stock hochsteigen sollen, fragt man sich (ist da um drei Ecken irgendwo ein Lift?). Dort oben, weil offenbar Geheimtipp, musste man nur ein paar Minuten warten: Dafür funktionierte das Wasser bei den Waschmuscheln nicht… Übrigens: Die Toiletten sind nirgends als solche gekennzeichnet. Offenbar haben Verzweifelte alle Türen geöffnet, bis sie die richtigen fanden, und die anderen folgten.
Wenn, wie die Billeteure meinen, die sich täglich Massen von Klagen anhören müssen, auch nur ein Bruchteil der Empörten Briefe schreibt, müsste die Josefstadt-Direktion unter der Beschwerdenflut in die Knie gehen.
Nein, das klappt noch gar nicht mit den neuen Kammerspielen (die ihre Kasse auf die gegenüberliegende Seite ihrer Sackgasse ausgelagert haben), abgesehen davon, dass sie einfach hässlich sind: Da ist noch einiges zu adjustieren.
Auch der Spielplan, denn die Eröffnungspremiere erwies sich als wahre Kläglichkeit. Wenn es stimmt, dass „Natürlich blond“ die schlechtest verkaufte Produktion in ganz Wien ist, verdiente „Catch Me If You Can – Das Musical“ dasselbe Schicksal, handelt es sich doch um einen ähnlichen Fall von „Wie vermusicalisiere ich sinnloserweise einen Film zu infantil-blöder Unterhaltung“.
Wobei der Film von Steven Spielberg einst, vor gut einem Jahrzehnte, einigermaßen lustig war – mit einem noch „Titanic“-hübschen Leonardo DiCaprio und einem köstlich-skurrilen Tom Hanks so hoch besetzt, dass nichts schief gehen konnte, auch wenn die Hochstapler-Story schon auf der Leinwand dünn war, egal, ob sie (natürlich ausgeschmückt) auf einer „wahren Begebenheit“ beruht…
Auf der Bühne der Kammerspiele wird sie lang, lang und noch länger, an die drei Stunden, was wohl auch darauf zurück zu führen ist, dass man einen „echten“ Autor beauftragt hat. Und dieser Terrence McNally (Musikfreunden bekannt durch seine beiden Callas-Stücke „Meisterklasse“ und „Lissaboner Traviata“ sowie den Text zu dem Musical „Kuss der Spinnenfrau“) kann an Szenen mit „Human Interest“ gar nicht genug bekommen. Wir sollen begreifen, wie damals, in den harmlosen Sixties, Hochstapler Frank Abagnale Jr. zu dem wurde, was er dann war – Scheckbetrüger, Hansdampf in allen Gassen als vorgeblicher Pilot, Arzt und Anwalt. Weil Papi nämlich schon so ein windiger Hund und Angeber war, und der hoffnungsvollen Jugend im Parkett wird beispielmäßig gesagt: Zieht Euch gut und richtig an und spielt Selbstbewusstsein vor, dann werdet ihr es schon schaffen. Na, vielleicht… Dazu gibt es Kitsch und Sentimentalität im Dutzend billiger. Zur Pause fällt der Vorhang über tränenreicher Weihnachtsstimmung der Einsamen.
Im übrigen wurde das Musical – die völlig routiniert-nichtssagende Musik stammt von Marc Shaiman – vermutlich nur auf die Bühne gebracht, weil die tanzende Girl-Group (singen können sie wirklich nicht, aber sie zeigen tolle Figuren, wackeln mit dem Po und schwingen die Beine) hier erst als Stewardessen, dann als Krankenschwestern auftreten kann, und das scheint auf die Männerwelt besonderen Reiz auszuüben. Also, abwechselnd entweder Familienszene oder Szene, wo der Held ins Publikum plaudert oder Szene mit dem albernen FBI-Beamten, der ihn sucht – und dann wieder Gesang und Tanz. Gekonnt, natürlich, denn Choreograph Simon Eichenberger und Regisseur Werner Sobotka verstehen ihren Job. Und doch unsagbar öde.
Das rettet auch die Tatsache nicht, dass man für Rasmus Borkowski, der in der Josefstadt bisher in Nebenrollen aufgefallen ist, endlich eine Aufgabe gefunden hat, in der er sein Talent ausspielen kann. Er ist privat 33, sieht zehn Jahre jünger aus und macht den Hochstapler, der eigentlich noch ein Teenager war, glaubhaft. Er ist ein exzellenter Schauspieler, Sänger und Tänzer, vor allem aber ein großartiger Sprecher (wann kann man solches von heutigen jungen Schauspielern schon sagen). Er ist zwar nicht ganz Leonardo DiCaprio, aber für diese Sinnlosigkeit dampfende Aufführung geradezu verschwenderisch überbesetzt. Bitte, lasst ihn etwas Ordentliches spielen!
Sein Gegenpart Martin Berger als FBI-Agent Carl schafft es hingegen, in einer an sich gelungenen Komiker-Rolle kaum aufzufallen. Mit viel Pathos ist der halbseidene Papa des Axel Herrig unterwegs, und bis zur Pause ist die französische Mama (Karin Seyfried) überhaupt die einzige Frau im Geschehen. Nach der Pause kommt dann die Krankenschwester (Lisa Habermann) und die große Liebe, und dann geht alles schief oder doch nicht… ehrlich, es kommt nicht darauf an. Es ist alles einfach zu dumm und überflüssig.
Aber, keine Angst: ausverkauft ist es auch.
Renate Wagner