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WIEN / Kammerspiele: AUFSTIEG UND FALL VON LITTLE VOICE

10.05.2015 | KRITIKEN, Theater

Little Voice Plakat x

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
AUFSTIEG UND FALL VON LITTLE VOICE von Jim Cartwright
Premiere: 7. Mai 2015,
besucht wurde die Vorstellung am 10. Mai 2015

Undurchdringlich sind oft die Motivationen der Spielplan-Dramaturgie (und für die Josefstadt scheint das besonders zu gelten). Da holt man ein Stück hervor, das schon mehr als 20 Jahre alt ist (1992 am National Theatre in London uraufgeführt), zwei Jahre später dann in Deutschland gespielt und auch zu einem Broadway-Musical umgearbeitet wurde, und von dem es 1998 einen Film gab, der allerdings kein besonderes Ereignis war.

Im Grunde ist „The Rise and Fall of Little Voice“, interessanterweise einst in London als „Komödie“ preisgekrönt, nur ein abgegriffenes Beispiel eines jener Sozialdramen, die besonders im britischen Theater stark vertreten sind – wobei man Autor Jim Cartwright in Wien mit stärkerem Tobak kennen gelernt hat, als uns Hans Gratzer 1998 im Schauspielhaus „Ich leckte das Deodorant einer Nutte“ vorsetzte. Obwohl der Autor auch dort ein wenig zum Kitsch neigte, ist „Aufstieg und Fall von Little Voice“ im Vergleich dazu geradezu eine Schnulze…

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Sona MacDonald (Alle Fotos: Barbara Zeininger)

Nennen wir es ein Sittenbild aus den untersten Schichten der Gesellschaft, irgendwo in einer englischen Kleinstadt: Eine überdrehte Mutter, die jedem Mann an die Hose will, und eine verstockte Tochter, die sich in die Schallplatten des verstorbenen Vaters flüchtet und alles mitsingt, was ihr die Piaf , die Garland, Shirley Bassey oder Eartha Kitt da tröstend in die Ohren schluchzen.

Einer der Männer, die Mutter anschleppt, ist ein windiger „Agent“, der in der „Little Voice“ der Tochter (eigentlich heißt sie Laura) eine Art Talent erkennt und sie in einen schäbigen Schuppen schleppt. Dort reüssiert sie (im Stück höchst plötzlich und unvermutet) als Sängerin und soll nun von Mutter und Agenten unbarmherzig ausgeschlachtet werden – etwas, wozu das arme Geschöpf nicht imstande ist…

Muss man erzählen, dass die Substandard-Wohnung, in der ohnedies dauernd die Sicherungen durchbrennen, abfackelt, dass die „Bösen“, nämlich Mama und Agent, ihre Träume begraben können, aber „Little Voice“ plötzlich zu sich (und zu dem jungen Elektriker, der die Avancen der Mama dankend abgelehnt hat) findet…?

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Eva Mayer

So dick und vordergründig und letztlich unglaubhaft wie die Vorlage ist, so wird sie in den Josefstädter Kammerspielen unter der Regie von Folke Braband auch realisiert. Nun könnte man sich vorstellen, dass man das Stück spielen muss, wenn man eine Darstellerin hat, die auch als Sängerin reüssiert – aber das ist bei Eva Mayer nicht der Fall. Sie stimmt als Typ, solange sie die verstockte graue Maus spielt, die am liebsten gar nicht mit der Welt kommunizieren will (was man ihr angesichts der Umstände, in denen sie leben muss, nachfühlen kann). Wenn sie dann, zur Pause, mit einem großen Medley im Glitzerkleid plötzlich als große „Sängerin“ dasteht, da hört man genau, dass sie nicht annähernd das dazu nötige Talent besitzt. Ruth Brauer hätte es, aber die muss sich ja als Holly bei „Tiffany“ in ähnlich traurigen Verhältnissen umtun, und die einzige andere Klasse-Sängerin der Josefstadt ist hier als Mutter besetzt und darf keinen Ton singen…

Für Sona MacDonald ist die Mutter-Schlampe sicher eine Aufgabe, wie sie an diesem Haus nicht jeden Tag auf sie zukommt, aber vor allem zu Beginn droht sie bei der Gratwanderung klischierter Übertreibung immer wieder abzustürzen. Erst später, wenn angesichts der geplanten gnadenlosen Ausbeutung der Tochter der Druck auf sie ganz groß wird, schlägt sie überzeugendere Töne an. Dennoch ist sie das faszinierende Zentrum des Abends.

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Heribert Sasse / Michael von Au

Allerdings ist auch Michael von Au, seltener Gast in der Josefstadt, als halbseidener Agent, der ohne weiteres seine Brutalität preisgibt, von bemerkenswerter Intensität, und ebenso kann Heribert Sasse als der schäbige Nachtclubbesitzer, der sein eigener schäbiger Conferencier ist, einiges an Wirkung für sich aus der Rolle herausholen.

Weniger klar wird, wie die (halb debile?) Nachbarin der Susanna Wiegand angelegt ist, während der Billy des Matthias Franz Stein zwei Funktionen hat: die Andeutung des kitschigen Happyends für das Stück und für einen jungen Schauspieler, der sich nicht darauf verlassen will, der Sohn von Erwin Steinhauer zu sein, die brave Ochsentour nach oben…

Stephan Dietrich hat als Ausstatter die Schäbigkeit des Milieus auf die Bühne gebracht, und Andrew Hannan zeichnet für eine musikalische Leitung verantwortlich, ohne dass man wüsste, woher die Begleitung für die Live-Auftritte von „Little Voice“ kommt. Was egal ist, denn wer einen musikalischen Abend erwartet, bekommt ohnedies nur eine Proletariertragödie serviert, die durch schrilles Herumwanken einiger Personen nicht lustiger wird. Wahrlich, man fragt sich, was dieses Stück hier und heute in den Kammerspielen zu suchen hat.

Renate Wagner

 

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