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WIEN / Kammeroper: CARMEN

04.03.2016 | KRITIKEN, Oper

Kammeroper  Carmen NataliaKawalek allein
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
CARMEN. Basierend auf der Operá comique von Georges Bizet
Premiere: 2. März 2016,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 4. März 2016

Wenn man Arnulf Rainer ist, nimmt man ein vorgegebenes Bild, kritzelt drüber und nennt es sein eigenes (Kunst)Werk. In der Kunst hat sich dergleichen unter dem Motto „Überschreibung“ längst durchgesetzt – da ist ein Meisterwerk, das jemand geschaffen hat, und es wird daran herum gebastelt. Warum, ist dann meist nicht die Frage. Einfacher ist es jedenfalls, als selbst etwas zu schaffen – und man kann noch mit dem Bekanntheitsgrad des Originals prunken.

In der Kammeroper gab es dergleichen schon lange, bevor das Theater an der Wien das Haus übernahm (mit „Bohème“ beispielsweise). Nun folgt (auf den Spuren eines nicht allzu überzeugenden „Eugen Onegin“ im Oktober 2014) eine mehr oder minder „jazzige“ Version der „Carmen“. Klassik light. Nur eines muss man zugestehen: Die Dramaturgie des Hauses hat sich viel Arbeit damit gemacht, „Carmen“-Bearbeitungen aufzulisten, von Ballett bis Film, von Peter Brooks Collage-Fassung bis zum Musical, Carmen schwarz, kubanisch, à la Bollywood. Nein, man ist in beachtlicher Gesellschaft, wenn man sich an Bizet – vergreift.

Wer das musikalische Arrangement erstellt hat, ist bekannt: Tscho Theissing. Auf zwei Stunden Dauer des Abends (Spieldauer bei einer Pause etwa90 Minuten) zusammen gekürzte Musik, von einem Kontrabass (Georg Breinschmid mit beeindruckender Fingerfertigkeit und Geräuscheerzeugung), einem Akkordeon (Tommaso Huber) und einer Violine (Sebastian Gürtler mit wahrlich durchdringend-schneidendem Ton) realisiert, dürfen sie gelegentlich auch Chor oder Solisten „nachmachen“ – für jene, die „Carmen“ kennen.

Das ist überhaupt die Voraussetzung des Abends. Wer das Werk nicht kennt, wird nur rudimentär einen Eindruck davon erhalten, worum es eigentlich geht – und wie herrlich reich und vielfältig das Original ist, als Musik und auch als Geschichte. Der Schöpfer der dramaturgischen Fassung, dieses „Skeletts“ einer „Carmen“, ist im Programmheft nicht auszmachen. Es wird doch nicht Regisseur Andreas Zimmermann gewesen sein? Nun, mit drei Musikern und fünf Protagonisten ist das für ein Theater wohlfeiler Abend, was heutzutage ja auch eine Rolle spielt, aber eigentlich kein Argument für eine Produktion sein dürfte…

Was sieht man? Carmen am Schrottplatz (das Auto, das da steht, gab es übrigens schon bei Calixto Bieito in Barcelona), keine Zigarettenfabrik, keine Schenke von Lillas Pasta, keine Schmuggler in den Bergen, keine Stierkampfarena: Patricia Walczak hat als Ausstatterin das Elend hingestellt. Die Handlung zentriert sich auf Carmen (sie ist die einzige, die alle ihre musikalischen „Flietstückchen“ behält, sogar teilweise das Terzett – ohne Kolleginnen natürlich), dazu kommen Micaela mit ihren beiden Arien (die zweite von Carmen empfindlich gestört), Don José, Escamillo und Zuniga, der wirklich gebraucht wird – und sei es, damit José ihn am Ende des 2. Aktes umbringt. Wie man sieht, da ist auch dramaturgisch gefuhrwerkt worden.

Kammeroper  Carmen Bakan_Birch Kammeroper  Carmen Greenhalgh_Kawalek

Ob die ausgereizte Brutalität dessen, was man sieht, in der Fassung steht oder auf das Konto des Regisseurs Andreas Zimmermann geht, weiß man nicht. Nicht nur, dass Carmen auf Micaela mit erschreckend handgreiflicher Gewalt losgeht, da eskaliert Brutalität immer wieder bis zum bitteren Ende – die Carmen, die José da ermordet, hat ein Babybäuchlein von Escamillo, auf das er immer wieder bis zur Besinnungslosigkeit einsticht…

Kammeroper  Carmen Mordszene

Wenn man den Abend auf die polnische Mezzosopranistin Natalia Kawalek zugeschnitten hat, die sich in der Kammeroper so fabelhaft macht, hat das zweifellos seine Berechtigung: Ihre Darstellung (erst in Rot, dann in Schwarz, dann im Goldkleid mit besagtem Babybauch) hat einen Drive, eine herausfordernde Präsenz, die vor allem deshalb so großartig ist, weil die Figur durchaus nicht nur positiv und nicht nur negativ, sondern in vielen Facetten schillernd herauskommt. Gesanglich hat sie jede Menge Power – nur für eine genuine Carmen weder das dunkle Timbre noch die dunkle Sinnlichkeit.

Viktorija Bakan gibt der Micaela nicht nur die vielleicht beste Stimme des Abends, sondern auch ein Flair verkrampfter Bürgerlichkeit, das in diese Extreminszenierung ausgezeichnet passt.

Weil Tobias Greenhalgh (der sich, wie die meisten Sänger, die nicht ein stimmgewaltiger Bassbariton mit allen Höhen und Tiefen sind, mit dem Escamillo plagt) offenbar nicht Französisch reden wollte, spricht er Englisch (was die Titelrollenträgerin dann dazu bringt, einige gesprochene Textstellen auf Polnisch zu bringen).

Als Zuniga lässt sich Félix Duméril, der auch für die Bewegungsregie zuständig ist, gewaltig herumschleudern.

Bleibt noch der Don José des Thomas David Birch, der mit gewaltigem Tenormaterial auftrumpft, dieses aber leider so gar nicht im Griff hat.

Es ist ein schon konzeptionell und auch in vielen Details zwiespältiger Abend, der aber von einem großen Teil des Publikums heftig akklamiert wurde.

Renate Wagner

 

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