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WIEN / Josefstadt: DIE WILDENTE

05.05.2017 | KRITIKEN, Theater

Wildente Treppe allein
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
DIE WILDENTE von Henrik Ibsen
Premiere: 4. Mai 2017,
besucht wurde die Voraufführung

Als man Henrik Ibsens „Die Wildente“ zuletzt vor knapp 15 Jahren, im Oktober 2002, im Theater in der Josefstadt gesehen hat, dauerte der Abend lähmende dreieinviertel Stunden, und die junge Gerti Drassl spielte das Kind Hedwig. Nun dauert der Abend an der Josefstadt lähmende pausenlose 80 Minuten, Gerti Drassl ist zu Hedwigs Mutter geworden – und zumindest die Besetzung des jungen Mädchens mit Maresi Riegner verspricht ein schauspielerisches Gesicht für die Zukunft.

Sonst kann man an der Inszenierung der slowenischen Regisseurin Mateja Koležnik, von der Josefstadt wohl als „Ibsen-Spezialistin“ geholt (zuletzt „Nora“ in Klagenfurt), wenig abgewinnen. Wieder einmal wurde ein Stück geopfert, um statt dessen inszenatorischen Formalismus zu bieten. Der nicht einmal so neu ist. Die steile und relativ schmale Treppe, die den einzigen Spielraum bildet, erinnert etwa an den schmalen „Schacht“, in den Michael Thalheimer 2012 im Burgtheater die Protagonisten von Hofmannsthals „Elektra“ eingesperrt hat: Man tut sich am Theater schwer, etwas Neues zu erfinden.

Diese Treppe (Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt) ist als der verengte Raum, in dem sich das Schicksal der Familie Ekdal abspielt, zweifellos symbolträchtig. Aber was erkauft man damit – vielmehr, was opfert man? Erstens, dass sich das Publikum jetzt am meisten für die Logistik interessiert, wie sich die Personen auf der Treppe aneinander vorbeidrängen. (Mühsam, um es kurz zu sagen.) Zweitens, dass viele Szenen außerhalb der Treppe, unten oder oben, spielen, unsichtbar, und die an sich durch das Bühnenbild schon gestörte Akustik dann immer wieder bis zur Unverständlichkeit gerät. Und drittens, dass sich – nicht nur durch die brutalen Verkürzungen und der Verzicht auf die originalen Spielstätten – das Geschehen in diesem Rahmen nicht entfalten kann.

Wildente Ensemble

 

Der Verdacht besteht, dass wer die „Wildente“ nicht kennt, nach dieser Aufführung nicht viel Ahnung davon haben wird. Die Fragen der „Lebenslüge“ und der „idealen Forderung“, die Ibsen so penibel umkreist, gehen schon deshalb weitgehend verloren, weil die Darsteller im Treppenhaus ihre an sich so genau ausgeführten Charaktere ja nicht wirklich entfalten können. Wenn man sich an Gregers Werle und Hjalmar Ekdal vor allem ihre aufwendigen, schlechten Perücken merkt – was für einen Theaterabend hat man dann gesehen?

Treppauf, treppab, der Minimalismus des Abends fordert seine Opfer im Dutzend: Roman Schmelzer, der Hjalmars jämmerliches Wesen sicher ausformen könnte, Raphael von Bargen, der Gregers Idealismus nicht zum Glühen bringt, Michael König als alter Werle, der auf ein Minimum zusammen gestrichen ist, Siegfried Walther, der sich nicht zu einem wahren alten Ekdal hinaufpoltern kann, Susa Meyer, die als Frau Sørby zwar gute Figur macht, aber für ein Schicksal reicht es zwischen Tür und Angel (sprich im Treppenhaus) nicht, Peter Scholz, der als Relling keinesfalls ausreichend Gelegenheit erhält, seine menschliche Gegen-Philosophie zum tödlichen Idealismus zu entfalten, Alexander Absenger als Molvik. dessen Funktion für das Stück überhaupt nicht klar wird.

Wildente RaphaelVonBargen_PeterScholz Wildente Hedwig x

Gerti Drassl putzt mit verschlossener Miene meist die Stufen. Nur Maresi Riegner, deren Talent schon in dem Schiele-Film (als Schieles Schwester) und im Theater der Jugend (in „Miracle Worker“) aufgefallen ist, lässt gelegentlich aufhorchen: Das Kind als Opfer. Der eine oder andere berührende Moment. Im übrigen ein verlorener Theaterabend.

Renate Wagner

 

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