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WIEN / Josefstadt: AUSLÖSCHUNG

25.02.2016 | KRITIKEN, Theater

Auslöschung  alle vor dem Vorhang x
Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater in der Josefstadt:
AUSLÖSCHUNG. Roman von Thomas Bernhard
Uraufführung der Bühnenfassung von Oliver Reese
Premiere: 25. Februar 2016

Als man den Regisseur und hier auch „Autor“ Oliver Reese fragte, warum er Thomas Bernhards Roman „Auslöschung“ dramatisiere, gab er die bemerkenswerte Antwort: „Zuerst einmal: Ich habe Romane auf die Bühne gebracht, als das durchaus noch nicht Mode war.“

Das scheint als Antwort irgendwie daneben zu liegen, weil es nichts konkret aussagt. Zumindest nichts darüber: Warum dieses Buch? Weil man / er schon (Gott sei’s geklagt) „Mann ohne Eigenschaften“ und „Berlin Alexanderplatz“ und „Lolita“ auf die Bühne gebracht hat? (Andere taten es mit den „Buddenbrooks“ und mehr.) Das reicht?

Wobei auffällt, dass die Autoren dieser Bücher alle fast durchwegs Prosa geschrieben haben (Musil nicht). Dass Thomas Bernhard allerdings in der Dramatik so felsenfest verankert war wie in der Welt der Romane und Novellen. Wenn er für die „Auslöschung“ also diese Form gewählt hat, zumal er an die 650 Seiten schreiben wollte, wird das ja einen Grund gehabt haben.

Seinen Grund, die „Auslöschung“ auf die Bühne zu bringen, liefert Oliver Reese (bekanntlich derzeit Intendant in Frankfurt und designierter Nachfolge von Claus Peymann am Berliner Ensemble) jedenfalls mit seiner Bearbeitung und Inszenierung nicht. Er bringt vier Schauspieler auf die Bühne, die –zwei hager, zwei eher fülliger – nichts miteinander gemeinsam haben. Jeder darf gelegentlich die Hauptfigur Franz Josef Murau sein, der im ersten Teil in Rom, wo er lebt, auf die Nachricht, Eltern und Bruder seien bei einem Autounfall gestorben, mit einer Erinnerungsorgie reagiert, und der im zweiten Teil als nunmehriger „Herr“ des Besitzes in das verhasste oberösterreichische Wolfsegg heimkehrt, das er einst mit fliegenden Fahnen zurückgelassen hat und mit dessen versuchter „Auslöschung“ er den ganzen inneren Monolog des Buches hindurch beschäftigt ist…

Auslöschung  UdoSamel_ChristianNickel x

Aber auch die anderen Figuren des Romans werden gelegentlich auch kostümlich (Elina Schnizler) zum Leben erweckt, interessanterweise nur nicht Muraus Schüler Gambetti in Rom, der in dem Buch keine unbedeutende Rolle spielt. Wohl aber die ungeliebten Schwestern im Dirndl (wie drollig), die ungeliebte Mutter im Blumenkleid, der Kardinal, mit dem die Mutter ein Verhältnis hatte und der zum Begräbnis kommt, im Purpurgewand, der (einzig) geliebte Onkel Georg im weißen Anzug… und auf vieles im Buch, das dem Regisseur, wie er sagte, ohnedies viel zu lang erschien, muss man halt verzichten. Die Intention besteht darin, jenen Leute, die sich nicht durch Bernhards 650 Seiten „quälen“ wollen, diese in zweieinhalb Josefstädter Stunden „g’schmackig“ zu machen.

Was an die übliche Art der amerikanischen „Bildung“ erinnert:
„Hast Du ‚Krieg und Frieden’ gelesen?“
„No, but I know the movie…“

Der Wille zur Gefälligkeits-Machung ist den ganzen Abend hindurch spürbar, abgesehen davon, dass er für das Theater billig ist: Bis zur Pause, das sind immerhin eineinhalb Stunden, wird ausschließlich vor dem roten Bühnenvorhang der Josefstadt gespielt (na ja, da ist man ja auch noch im Rom und nur in der Erinnerung zu Hause). Das reale Wolfsegg, in das sich Franz Josef Murau nach der Pause zwecks Begräbnis (und Abrechnung mit den Schwestern) begeben muss, ist von Hansjörg Hartung als eine Art stilisierter „Holzlandschaft“ gestaltet –wir sind allerdings nicht in „Holzfällen“, sondern eigentlich auf einem extrem reichen Besitz (eine der Tiraden Murau / Bernhards richtet sich auch gegen die Reichen, die nicht genug bekommen können).

Nun, was „geschieht“ in „Auslöschung“, im Original mit der Charakteristik „Ein Zerfall“ angereichert? Nichts, was ein Theaterstück ausmacht – Erinnerung, Reflexionen, Hassorgien (von denen nur eine greift, nämlich jene gegen die Fotografiersucht – als hätte Bernhard 1986 die damals nicht einmal noch entfernt angedachte „Selfie“-Lawine erahnt). Es wird auch durch ein paar Figuren in Kostümen nicht zum „Theater“ – zumal der Regisseur so diskret ist, dass er zwar im Interview von Bernhards Komik spricht, sie aber auf der Bühne kaum realisiert.

Noch weniger das, was er richtig als einen „Sprachsturzbach“ erkennt: Nichts davon ist an diesem Abend zu vernehmen. Seine Schauspieler dürfen eigentlich nur schaumgebremst dozieren und deklamieren und auf der Bühne herumgehen.

Auslöschung  WolfgangMichael x Auslöschung  MartinZauner x

Und ganz seltsam (abgesehen davon, dass auf die wirkungsvollen Wiederholungen fast ganz verzichtet wird) – die Hassorgie gegen Österreichs „katholisch-nationalsozialistische“ Geisteshaltung, eines von Bernhards Hauptanliegen, wird von Oliver Reese fast unter den Tisch gekehrt. Dass Muraus Eltern (vor allem die fanatische Mutter) Nazis waren, dass sie nach dem Krieg in der so genannten „Kindervilla“ ihre Nazifreunde versteckt haben, dass die Bonzen ungeschoren zum Begräbnis kommen – man hat nicht den Eindruck, dass das die vier Muraus besonders aufregt. Nein, keine Bernhard’sche Erregung.

Auf der Bühne ein Quartett von vier ersten Schauspielern, wobei man sich schon fragt, was den Andrea-Breth-Star Wolfgang Michael auf Josefstädter Bretter gespült hat, zumal in der Murau-Gestalt, die am allerwenigsten Profil erhält (bei den anderen ist auch nicht viel davon da). Christian Nickel darf in den Abend starten, er ist er zerfranste Typ des deutschen (pardon: österreichischen) Professors in Rom. Udo Samel kommt, erst als der gute Onkel Georg (weit und breit die einzig positive Gestalt), dann mal so oder so – überzeugend sinnvoll ist die Textverteilung ohnedies so gut wie nie. Für Martin Zauner gibt es anfangs nur Stichworte, dann die Wut gegen die Fotografie, und im Lauf des Abends ist er – vielleicht, weil er Oberösterreicher ist? – der Schauspieler, der die Schärfe des Bernhard-Tons treffen könnte, allerdings nur gelegentlich und andeutungsweise…

Der Hauptfehler des Abends – abgesehen davon, dass „Auslöschung“ nun einmal kein Theaterstück ist – besteht darin, wie relativ unbeweglich er dahinplätschert, nicht einmal in den Schimpftiraden richtig Fahrt aufnehmend, ganz ohne die nötige Zerstörungswut. Ein Dichter wie Bernhard, der gar nicht anders konnte, als mit Verve sprachlich loszustürmen und zu zertrümmern, was ihm in den Weg kam – und dann so langweilig josefstädtisch schaumgebremst? Man erkennt ihn kaum wieder. Wie wär’s nächstens wieder mit einem griffig-grimmigen, echten, unterhaltend-bösen Bernhard-Theaterstück?

Renate Wagner

 

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