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Wien/ Cafe Ritter: WIEN MODERN: „CAFE CAGE“ und „JUNGE MUSIK“ in der Vorstadt

31.10.2018 | Konzert/Liederabende

WIEN MODERN: „CAFE CAGE“ und „JUNGE MUSIK“ in der Vorstadt

30.10. 2018 Nachmittag & Abend – Karl Masek

30.10., 16:00 Uhr: „Café Cage“ im Ottakringer Café Ritter

„Die Wiener Kaffeehäuser als geliebte Bühne des alltäglichen Lebens … werden zum Spielort für ein Projekt mit nicht ganz alltäglicher Klaviermusik …“, so Wien Modern in der Vorschau. John Cage, der Komponist der Stille und der musikalischen Zufallserscheinungen, wird mit seinem Klavierwerk von Marino Formenti (* 1965, italienischer Pianist mit Wohnsitz in Wien) mit 19 Stunden Spieldauer in  insgesamt 5 Wiener Kaffehäusern bis 27.11. ausgebreitet. Der Eintritt ist frei, man konsumiert im Kaffeehaus. Premiere also im Café Ritter.

Man betritt den „Konzertsaal“ des vor zwei Jahren sehr geschmackvoll generalsanierten Kaffeehauses in der Ottakringer Straße. 16:00 Uhr, Formenti sitzt schon am Klavier, scheint zu präludieren und zu improvisieren. Töne kreisen aufwärts, abwärts, „um sich selbst“. Akkorde, scheinbar beziehungslos zueinander, dazwischen Pausen, Stille. Nicht ganz, denn hier sitzen schon Mütter & Väter mit Babys und Kleinkindern, die etwas größeren unter ihnen zeichnen. Von der Altersstruktur sehr gemischtes Publikum füllt rasch das Auditorium. Wien Modern hat ganz viel aufgeschlossenes und neugieriges Publikum, stellt man wieder einmal erfreut fest! Bestellungen werden (in schüchternem Flüsterton) getätigt „Ein Spritzer und ein Schinkenbrot, bitte!“. Formenti ist ein Spezialist für Projekte an ungewöhnlichen Orten. Er verbreitet eine entrückte Aura, spielt mit dem Rücken zum Publikum, das Pianino lehnt, ist man fast versucht zu sagen, an der Wand. Sehr bald ist man wie das heute so schön heißt, entschleunigt, gewöhnt sich an die Mischung aus rücksichtsvoll leisem Sesselrücken, unterdrücktem Essbestecks-Geräusch. Man befindet sich in einer Toninsel bei gedämpftem Kaffeehauslicht. Spontane Auswahl aus dem Klavierwerk Cages: „As slow as possible!“, „Waiting for…“, One  für Klavier solo“: Kurze Ostinati, jedes Blatt der Noten  (sie werden dauernd hin- und hergetauscht!)  enthält fünf Systeme (habe Formenti über sie Schulter geguckt!), … Oh, ein Dur-Akkord! … Dann wieder Pausen von sagen wir, einer halben Minute. Der Vergleich mit dem Schachspiel drängt sich auf: Lange Pause – dann wieder ein Zug – klack: Schach! – dann wieder Nachdenken. Man nippt am „Achterl“ vom Weißen, lauscht den Klängen, der Stille und dem „Abgang“ des Weines hinterher. Verdichtung des Materials so um 16:45 Uhr. Bald wieder ein „morendo“

Ganz im Ernst jetzt, es war eine angenehme Stunde der absoluten Aus-Zeit (bis 22:00 Uhr blieb ich freilich nicht!). Eines Klang-und-Stille-Erlebnisses, das man sich durchaus öfter gönnen sollte. Im Konzert, im Kaffeehaus, zu Hause, wenn das geht, oder im Wald (Cage war, las ich, ein passionierter Schwammerlsucher und Pilzexperte!). Eine sinnenschärfende Lektion. Allerdings: Die Aussage, der Pianist Formenti sei ein „Glenn Gould des 21. Jhts“ glaube ich erst, wenn ich auch Bachs Goldberg-Variationen von ihm gehört habe. Da dreht sich der Glenn-Gould-Fan Thomas Bernhard am Grinzinger Friedhof im Grab um und setzt augenblicklich zu einem Wutmonolog an („Der Untergeher“, Folge 2)!

Beim Hinausgehen, kurz nach fünf, kam ich an einem jungen Mann vorbei, der verzehrte selbstvergessen einen Apfelstrudel. Auf seinem schwarzen T-Shirt stand in gelben Lettern: DANKE …

30.10., 18:00 Uhr: „Junge Musik“ im „Reaktor“

Wien Modern weitet seine Locations verdienstvoller Weise auf möglichst alle Wiener Bezirke aus. Nur die beiden Bezirke 21 und 22, nördlich der Donau, fehlen noch. Man verspricht, auch das werde 2019 Vergangenheit sein. Nach dem Café Ritter nun die Wanderung in den benachbarten 17. Wiener Bezirk, Hernals, in die Geblergasse. Dort befindet sich der „Reaktor“, ein früheres Tanz-Etablissement. Das wirkt vorerst noch ziemlich desolat und harrt  ungeduldig der Renovierung (Da blättert der Verputz, wenn ein Schlagzeuger loslegt!).

„Junge Musik“! Schülerinnen und Schüler der Musikschulen der Stadt Wien, der Johann Sebastian Bach Musikschule Wien und der Volksschule Herderplatz aus dem 11. Wiener Bezirk, Simmering, zeigten eindrucksvoll, geradezu hinreißend,  dass in Wien neue Musik bis hin zur Avantgarde auf hohem Niveau gemacht wird. Für die professionelle Begleitung eines bereits langjährigen Projektes sind Cordula Bösze, Michael Weber, das Klangforum Wien und die Internationale Gesellschaft für Neue Musik verantwortlich. Ihnen allen gleich eingangs eine besonders wertschätzende Rückmeldung für ihren Einsatz!

Auch hier volles Haus, eine Stimmung, wie sie nur Kinder und ganz junge Menschen zaubern können. Weit über sonst übliche Schülerschluss-Konzerte hinaus gehend!

„Luft.Strom“(2018): Eine Kollektivkomposition für gemischtes Jazzensemble (Die Big Band, das sind Erwachsene!), Elektronik und (Plastik)Geräusche (Das sind die Kinder aus Simmering!). Der Grazer Posaunist Daniel Riegler  (* 1977) ist auch Komponist und Produzent von improvisierter, jazzverwandter Musik. Ein wunderbar kurzweiliger, effektvoller Spaziergang durch kreative Bereiche, in die im Vorfeld der improvisierten Werkentstehung gerade auch die Kinder mit einbezogen wurden. Was rhythmisch, in der Vielfältigkeit von Geräuschen und Dynamik z.B. mit leeren Mineralwasserflaschen möglich ist, zeigten die Neunjährigen mitreißend vor. Die Kombination mit der computergesteuerten Musik (an den Reglern ebenfalls Musikschüler /innen!) und der Big Bad: Ein herrlicher „Opener“!

Das Schluss-Stück, nicht minder eindrucksvoll! Der Komponist ist Julius von Lorentz (Deutscher, aus dem schwäbischen Biberach, gerademal 15 Jahre alt, „seine“ Instrumente: Klavier und Cello). Die Komposition „One“ (2017) versucht Saxophon, Violine, Marimbaphon und Klavier in vier unterschiedlichen Teilen eines Stücks wie ein Instrument klingen zu lassen. Alle vier können jeweils demonstrieren, was sie da „technisch“ und „klanglich“ draufhaben. Man ist hin und weg, was ein schätzungsweise 12-jähriger Saxophonist aus der Musikschule 2 – ich nenne jetzt bewusst keine Namen!-, eine wohl kaum ältere Geigerin, die ebenfalls noch blutjunge Pianistin und der Bursch am Marimbaphon aus dem effektvollen, klangsinnlichen und virtuosen Werk herausholen! Alle aus Bezirksmusikschulen, und noch keineswegs an Musikhochschulen gelandet! Und hier auch: Große Hochachtung vor der tollen Arbeit der Musikpädagog/innen!

Dazwischen eine vortreffliche Leistungsschau von pianistischem Nachwuchs mit Werken von György Ligeti aus seiner noch stark von Bartók beeinflussten Frühzeit in den vierziger- und frühen fünfziger Jahren. Klangvolle, perkussive, synkopen-durchpulste, ungarisch-folkloristische  Stücke! Alle wurden sie mit großem Gestaltungswillen vorgeführt. Wie zwei Mädchen,  noch im Volksschulalter, eine Harfenkomposition von Bruno Strobl (* 1949), „Harfen-Wellen“ (2010) mit freudiger Konzentration zusammen spielten: Glücksmomente für ein aufnahmebereites Publikum! Ein zartes, fleingliedriges Mädchen, schätzungsweise 16, mit russischen Wurzeln, sehr introvertiert und ernst, explodierte förmlich beim Stück Bacchanale“ (1940) für präpariertes Klavier von John Cage. Für eine Tänzerin komponiert, wird das Klavier fast wie ein Schlagzeug verwendet, einzelne Saiten sind mit Objekten aus Gummi oder Metall präpariert, um das Schlagzeug sozusagen in den Innenraum des Klaviers zu verlegen. Was dann so klingt, als würde sich ein verstimmtes Banjo dazumischen. Ein witziges Stück für Körperinstrumente rundete schließlich als großer Lacherfolg den fabelhaften, erfrischenden Abend ab (Perkussionsensemble der MS 10). Alles konnte ich gar nicht berücksichtigen – daher zum Schluss: Großes Lob und Gratulation an ALLE Mitwirkenden!

Auch das ist WIEN MODERN!

Karl Masek

 

 

 

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