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WIEN / Burgtheater-Vestibül: ICH RUFE MEINE BRÜDER

15.05.2019 | KRITIKEN, Theater


Foto: Burgtheater / Georg Soulek

WIEN / Vestibül des Burgtheaters:
ICH RUFE MEINE BRÜDER von Jonas Hassen Khemiri
Premiere: 14. Mai 2019,
besucht wurde die Vorstellung am 15. Mai 2019

Jonas Hassen Khemiri, Jahrgang 1978, geboren in Stockholm als Sohn einer schwedischen Mutter, verdankt seinen Namen seinem tunesischen Vater. Dieser hat ihm auch genügend „arabisches“ Aussehen mitgegeben, dass der Schwede in seiner Heimat (so liberal man in Skandinavien auch ist) doch immer wieder erlebt hat, wie das so ist, einer von „denen“ zu sein, die misstrauisch beäugt werden – zumal in Zeiten des Terrorismus. Wo man jedem, der nicht augenscheinlich genuin „hierher“ gehört, zumindest mit Vorbehalt begegnet…

Im Dezember 2010 detonierten in der Stockholmer Innenstadt Autobomben. Wie fühlt man sich da als Mann mit arabischem Aussehen? Das hat Jonas Hassen Khemiri erst in einem Essay behandelt, dann in einem Theaterstück, das 2013 in Schweden und schon 2014 in New York herauskam. Mehrere deutsche Bühnen haben es nachgespielt. Nun ist es im Vestibül des Burgtheaters gelandet. Leider in einer alles andere als überzeugenden Umsetzung.

Das liegt an verschiedenen Entscheidungen von Regisseurin Anne Sokolowski, wobei die erste und schlimmste darin besteht, die zwei Männer und zwei Frauen des Stücks ausschließlich von zwei jungen Frauen verkörpern zu lassen. Damit wird jene alberne Ideologie von heute bedient, die Gender-Gleichheit auf ihre Fahne schreibt – es gibt nicht mehr Mann und Frau, und Farben und Rassen gibt es sowieso nicht mehr, also können alle alles sein (und Filmstars und königliche Hoheiten machen den Blödsinn mit, erziehen ihre Kinder „genderfrei“, stecken Buben in Kleidchen – und das dritte Geschlecht, das gar keines mehr ist, haben wir auch. Weil niemand begreift, dass die einzige Gleichheit in der Gleichwertigkeit besteht – und dass das Nivellieren der Verschiedenheiten einfach Wahnsinn und totale Verarmung bedeutet…).

Abgesehen davon entschied sich die Regisseurin in einem Bühnenbild, das nichts bietet als ein Podest (Loriana Casagrande), zur absoluten Unklarheit und schwammiger Unschärfe. Und das für ihre Geschichte, die es von ihrer Aussage her verdiente, mit größter Präzision erzählt zu werden. An sich geht es um Amor, dessen „Migrationshintergrund“ hier überhaupt nicht kenntlich ist und auch nur in einem Nebensatz (man sei entweder auf der Seite der Moslems oder der Kommunisten) herauskommt. Amor konfrontiert sich, auf der Suche nach „Brüdern“, nach Leidensgenossen, mit allen Ängsten, die seinesgleichen nach dem Attentat bewegen – denn die Unschuldigen stehen ebenso unter Verdacht wie die Schuldigen…

Die drei anderen Rollen sind sein Freund Shavi, mit dem nicht mehr viel anzufangen ist, seit er Vater geworden ist; seine Ex-Freundin Valeria, die im heimatlichen Tunesien auf irgendeinem Selbstfindungstrip bei öligen buddhistischen Weisheiten gelandet ist, die ihm nichts helfen; und schließlich die schon verstorbene Großmutter, die dennoch die wahren tröstlichen Worte bereit hält. Ja, und am Ende ist dann Shavi doch wieder für ihn da…

Das Stück könnte, glaubt man deutschen Kritiken, auch einen weit realeren Hintergrund haben, mehr Facetten der Wirklichkeit aufzeigen, als man im Vestibül sieht. Da tun nämlich nur zwei junge Frauen ihr Bestes – und man fragt sich immer wieder, warum keiner der vielen, vorzüglichen jungen Burg-Mimen als glaubhafter Amor auf der Bühne steht?

Dabei ist die 24jährige Lilly Epply, die man in Wien noch nie live gesehen hat (und in den vielen Fernsehrollen, die ihre Agentur aufzählt, ist sie noch nicht aufgefallen) schlechtweg vorzüglich. So gut, dass sie fast darüber hinwegspielt, eine zarte junge Frau und nicht ein optisch glaubwürdiger Migrant zu sein. Dennoch: Es stimmt nicht.

Den schwarzen Peter hat allerdings Alina Fritsch gezogen, die alle anderen Rollen spielen muss – und wenn sie breitbeinig-wiegend versucht, der angeberische Shavi zu sein, ist das eine quälend schlechte Parodie. Die Geliebte und die Oma am Telefon gelingen besser, sind aber im salbungsvollen Ton kaum differenziert und teils als Parodie, teils als Sentiment zu billig.

Das Stück von Jonas Hassen Khemiri hat man sicher nicht gesehen – das ist mit vollem Bewusstsein konzeptionell kaputt gemacht worden. Die Nöte, von denen zu erzählen gewesen wäre, teilen sich nicht mit.

Renate Wagner

 

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