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WIEN / Burgtheater: DER ALPENKÖNIG UND DER MENSCHENFEIND

29.09.2012 | Theater

Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater:
DER ALPENKÖNIG UND DER MENSCHENFEIND von Ferdinand Raimund
Premiere: 29. September 2012

Ein Theaterbesucher von heute ist leicht zu schrecken, und die Fotos, die von der „Alpenkönig“-Aufführung des Burgtheaters vorab zu sehen waren, versprachen eigentlich nur das „Übliche“ – der blutbeschmierte Halbnackte, die Prolo-Szenerie, der grotesk-verzerrte Bewegungskanon. Dass es am Ende halb so schlimm bzw. gar nicht schlimm wurde, hat das Publikum zu geradezu erlöst wirkenden Begeisterungsbezeugungen gebracht. Fassen wir zusammen: Regisseur Michael Schachermaier hat Raimund leben lassen.

Vielleicht liegt es daran, dass er Österreicher ist und auf dem Weg von seiner Geburtsstadt Salzburg nach Wien, wo er am Burgtheater Assistent von vielen Großen war, vielleicht doch einiges Verständnis für das „hiesige“ Theater mitbekommen hat – auch wenn es nicht unbedingt von heute ist. Aber dass Raimund, so tief er in „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ auch in den Seelen, dem Unbewussten und dem Abgründigen des Menschen bohrt, einfach Volkstheater mit all seinem „Schmäh“ ist – das wird an diesem Abend mit einiger Ironie und viel Lust am Spaß realisiert.

Wenn Cornelius Obonya als Herr von Rappelkopf auf der Bühne steht und „rappelt“, dann ergibt dieses sinnlose Wüten, das szenisch glücklicherweise nie zur wirklichen Brutalität ausartet, Szenen von souveränem Humor, die durchaus als meisterliches Handwerk kenntlich gemacht werden. Obonya, der seinem unvergessenen Großvater immer ähnlicher wird, ist natürlich wesentlich jünger als jener war, als er die Rolle verkörperte: Attila Hörbiger als Rappelkopf war der alte Mann, der Enkel ist der junge Mann mit dem Verfolgungswahn, und da fällt die Verbohrtheit noch nicht ganz so schwarz und hoffnungslos aus. Darsteller und Regisseur wahren stets den Humor, vor allem auch in der „Erkenntnis“-Szene, als Raimunds Held sich selbst zusehen und erschrecken muss…

Die Szenen in Rappelkopfs Haus sind auch deshalb die gelungensten, weil das übrige „Personal“ dermaßen stimmt. Voran die Bedienten: Das „schnippische Lischen“ ist immer eine Traumrolle, aber so frech, selbstbewusst und solcherart heutig wie Stefanie Dvorak (mit schwarzer Perücke) haben es noch wenige gespielt. Man lacht übrigens in dieser Inszenierung über sich selbst: Wenn Lischen bewusst durch Korrektur des „Deutschen“ ins „Wienerische“ kenntlich macht, dass der Diener Habakuk kein Einheimischer ist, so macht das wahrlich nichts aus – im Versuch, wie ein Butler zu agieren, ist Johann Adam Oest unübertrefflich, und wenn er seine Seelennöte offenbart, dass er mit „Ich war zwei Jahre in Paris“ einfach angeben muss, sonst erstickt er – da gibt es geradezu atemberaubende Momente, die bei aller überzogenen Komödiantik diese weit übersteigen.

Ganz raffiniert gestaltet Regina Fritsch Rappelkopfs Frau, die ja eine ganz Brave und Gute sein muss, aber dies mit so hintergründigem, vielschichtigem Ton tut (einmal meinte man sogar, sie näselte in Erinnerung an die große Vorgängerin Alma Seidler), dass ein kleiner Rest kreativer Ungewissheit bleibt, ob sie diesen unerträglichen Ehemann nicht am liebsten doch in den Hintern treten würde… Ein braves Töchterchen ist nicht leicht zu spielen: Liliane Amuat tut es mit einem Impetus, der ihr geradezu berührende, entzückende (wenn man ein solches Wort wagen kann) Echtheit gibt, während bei ihrem Liebhaber in Gestalt von Peter Miklusz Ironie durchbricht, die jedoch keinesfalls zur Verhöhnung der Figur wird. In der kurzen Nebenrolle des Onkels darf noch Dietmar König auftreten.

Alles im grünen Bereich also bei Rappekopf und seiner Familie, desgleichen bei der kühlen, aber nie provokant störenden Bühne von Damian Hitz (während die Kostüme von Su Bühler Sinn für manchen kleinen Unsinn haben, etwa den sinnlosen Cul de Paris für Frau Rappelkopf). Aber ausschließlich so wird uns ein Regisseur von heute bei Raimund nicht kommen, nicht kommen können. Also gibt es einmal Musik, die mal wie Rapp, mal wie Kurt Weill und immer „anders“ klingt. Eva Jantschitsch sorgt mit einer sechsköpfigen Band dafür, und man hat nichts gegen die Musik, eher etwas gegen eine Menge dazu gedichteter und wirklich nicht guter Songtexte. Dafür fehlt einiges vom Original (am schlimmsten ist der fast komplette Strich des geradezu beängstigenden Hassmonologs von Rappelkopf in der Köhlerhütte – ist der Dichter da weiter gegangen, als der Regisseur ihm folgen wollte?), aber auch damit kann man leben, ebenso wie mit den Lazzi und Nebenbemerkungen, die immer wieder auch nicht im Stück stehen: Die Flexibilität dieser Art von Theater macht es legitim, sich vieles nach Bedarf zuzurichten.

Michael Schachermaier hat manches praktisch verknappt, lässt etwa die Erscheinung von Rappelkopfs toten Frauen durch den Alpenkönig spielen, der auch in die Rolle des besoffenen Köhlers schlüpft und Rappelkopfs Familie in die Köhlerhütte stampert, wo sie sich in heutiges Lumpenproletariat verwandeln. Wo Raimund zwischen Grimm und Mitleid soziales Elend schilderte und es mit „So leb denn wohl, du stilles Haus“ quasi poetisch vergoldete, gibt es hier nur die schrillen Töne. Dennoch, auch das stimmt in diesem Zusammenhang.

Bleibt der Alpenkönig, denn er ist wahrlich der einzige, der völlig gegen jeden Strich gebürstet wird. In der Verknappung des Stückpersonals um alle Figuren, die sekundär sind, legt der Regisseur zu Beginn dem Alpenkönig die blutrünstigen Worte von der Jägerlust in den Mund – und begründet damit mehr oder weniger, den guten Mann das ganze Stück hindurch blutbeschmiert über die Bühne zu schicken. Zu Beginn wirkt er tatsächlich mit zusätzlicher Körperbemalung wie ein eingeborener Medizinmann der Südsee – fremder und beängstigender könnte er nicht sein. Und so wird der Alpenkönig (der in einer Grazer Inszenierung von Heinrich Schnitzler einst beispielsweise wie Erzherzog Johann erschien, was damals sehr witzig und passend war) zu einem fremden Dämon, so schauerlich wie Tod und Teufel in einer Person, von Johannes Krisch auch in adäquat wiegender Körpersprache dargeboten.

Wie passt dies nun zu dem Stück, in dem Raimund seinem verblendeten Helden eine Psychotherapie in Form einer school of hard knocks versetzt, indem er ihm sein Verhalten vorführt? Der Alpenkönig war ein nahe liegender „Zauberer“, dies zu verordnen. Wer ist nun in dieser Inszenierung dieser Dämon, der hier aus einem Untergrund der Ängste hochzusteigen scheint? Interessanterweise hat ihn der Regisseur in der Verwandlungsszene weder als Rappelkopf verkleidet, noch ahmt er diesen so nach, wie es normalerweise zu einer komödiantischen Kernszene des Stücks wird. Hier steht die Inszenierungsidee vor dem Dichter, da fehlt dann etwas, da erschließt sich der Zusammenhang nicht. Aber dass Raimund an diesem Abend dennoch über weite Strecken glorios lebte, überlebte und siegte – was kann man heutzutage mehr verlangen?

Renate Wagner

Fotoserie zur Premiere

 

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