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WIEN / Akademietheater: WILLKOMMEN BEI DEN HARTMANNS

19.11.2017 | KRITIKEN, Theater

Hartmanns Gummi Sofa
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
WILLKOMMEN BEI DEN HARTMANNS
Familienstück für Menschen von 12–99 Jahren
Nach dem gleichnamigen Film von Simon Verhoeven
Für das Burgtheater bearbeitet von Angelika Hager
Fassung von Hans Mrak und Peter Wittenberg
Uraufführung Premiere: 19. November 2017

Ob Simon Verhoeven und seine Mutter Senta Berger, die zusammen mit Michael Verhoeven im Premierenpublikum saßen, ihren Film „Willkommen bei den Hartmanns“ wieder erkannt haben? Die Burgtheater-Version des Drehbuchs wirkt, als hätte man es durch den Fleischwolf gedreht, ein paar besonders scharf-primitive heimische Ingredienzien dazu geschnetzelt und das Ganze wieder ausgespuckt. Allein die Form des Abends, der auf einer vollgemüllten Simultanbühne (Florian Parbs) stattfindet, gibt den Ton an – hemmungsloses, kabarettistisches Geblödel. Welche Geschichte wird hier eigentlich erzählt? Denn auf der Bühne herrscht nichts anderes als Chaos.

Hartmanns volle Breite

Um die Wahrheit zu sagen: Der Verhoeven-Film ist auch kein Meisterwerk, aber ein braver, konventionell erzählter deutscher Familienfilm. Er pinselt sorglich die beteiligten Personen (Mutter, Vater, Tochter, Sohn, Enkel – wohlhabendes deutsches Bürgertum) und ihren „Flüchtling“ aus Nigeria, den sie auf Mutters Wunsch aufnehmen. Ein bisschen realistisch, ein bisschen angeblich kritisch (aber alle Bemerkungen dieser Art kommen natürlich von den hässlichen „Bösen“), nett ironisch, leicht parodistisch, aber doch dem Publikum mit deutscher Nachdrücklichkeit sagend, wie man zu denken und zu handeln hat. Und mit dem all harmonisierenden Ende, das den Kinobesucher denken lässt: „Einen solchen Flüchtling möchte ich auch!!! So gut aussehend (auch wenn er schwarz ist), so anständig, und er hat doch vertretbare Werte – ehrt die alten Leute, Frauen, kriegt Kinder, und zu viel Alkohol ist nicht gut…“

Die Bearbeitung des Drehbuchs hat Angelika Hager übernommen, aber da das Burgtheater auch noch Regisseur und Dramaturgen der Aufführung als weitere Ersteller einer „Fassung“ nennt, ist die Verantwortung schwer zu verteilen. Fest steht – man hat das Geschehen nach Österreich verlegt, hauptsächlich, um die künftige Regierung zu beschimpfen und ihre Anhänger als Abschaum hinzustellen – das ist in der Demokratie möglich, ein Recht, das man niemandem bestreitet. Immer schon wurde von Theaterbrettern herunter Politik gemacht. (Und wenn man über die großen Ohren des künftigen Kanzlers ätzen kann, lässt man sich das natürlich nicht entgehen – jeder Untergriff erlaubt!)

Alles, was sonst noch an „Österreichischem“ hinzugefügt wurde, ist in seiner Primitivität extrem peinlich (etwa, wenn Döblinger Damen den schwarzafrikanischen Flüchtling in Lederhose und Trachtenhut kleiden wollen). Weil das Burgtheater meint, man habe hier auch eine Aufführung für junge Menschen anzubieten („Familienstück für Menschen von 12 – 99 Jahren“), glaubt man, für die Jugend unbedingt Einschlägiges bieten zu müssen – Rock-Party mit Drugs und Ladies (die sind wohl eher für die älteren Herren).

Aber was den Abend zusammen brechen lässt, ist die Tatsache, dass er in seinem zersplitterten Stückwerk keine Geschichte erzählt. Gewiß, auch der Verhoeven-Film zerfällt weitgehend dadurch, alle Familienmitglieder mit ihren Nöten detailliert aufzudröseln, so dass auch dort das Flüchtlingsproblem nur ein Handlungsstrang unter vielen ist – aber gerade am Theater hätte man doch statt grell überdrehter Albernheit, die dann auch nicht die geringste Ernsthaftigkeit zulässt, sich vielleicht auf „das“ Thema zuspitzen können.

Hartmanns Er Hartmanns Sie

Schwer, etwas über die Darsteller zu sagen, die von Regisseur Peter Wittenberg zur ultimativen Künstlichkeit getrieben werden. Alexandra Henkel mit ihren spitzen, hektischen Tönen ist weit weniger überzeugend, als es Senta Berger mit ihrem ölig-sanften Gutmenschen-Gesäusel auf der Leinwand war. Markus Hering macht einen älteren Mann so ziellos lächerlich, dass der wahre Kern der Figur nicht fassbar wird – niemand auf der Bühne geht als erkennbar durch, jeder bloß als alberne Lachfigur. Alina Fritsch als hektische Tochter, Simon Jensen, der meist von der Videowand kommt, als Sohn, Valentin Postlmayr, viel zu alt für den Enkel. Petra Morzé und Sabine Haupt müssen Schreckschrauben-Monster ausstellen, ein paar Herren (Sven Dolinski, Dietmar König, Michael Masula, Dirk Nocker) wanken noch auf der Bühne herum, und David Wurawa als Diallo erfüllt vollendet die Aufgabe, der sympathische Flüchtling zu sein. So einen will man doch!

Was soll man zu einem solchen Abend sagen, zumal er vom Premierenpublikum umjubelt wurde, das offenbar alle Billigkeiten mit Begeisterung eingesogen hat. Viele Köche haben an diesem Brei herumgekocht – bis er nahezu unverdaulich geworden ist.

Renate Wagner

 

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