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WIEN / Akademietheater: KOMMT EIN PFERD IN DIE BAR

05.09.2018 | KRITIKEN, Theater

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Fotos: Website Burgtheater / Bernd Uhlig

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
KOMMT EIN PFERD IN DIE BAR nach dem gleichnamigen Roman von David Grossman
Premiere bei den Salzburger Festspielen am 8. August 2018
Premiere in Wien: 5. September 2018

Ein Alleinunterhalter ist ein armes Schwein. Unten eine träge Masse, unhomogen, unbekannt, die „unterhalten“ werden will. Oben ein Mann, der das irgendwie in den Griff bekommen muss. Es gibt sie ja, die Stand-Up-Comediens, wie die amerikanische Entertainment-Branche sie nennt, die das können. Und ein jüdischer Komiker – ja, der müsste das schaffen?

Im Roman von David Grossman ist es Dov Grinstein, Künstlername Dovele G. Punkt (schon das gibt Hinweise darauf, dass es recht obszön zugeht), der vor einem Publikum in einer israelischen Kleinstadt steht – dummerweise ganz nahe dem Ort, wo er geboren und aufgewachsen ist. Er will mit seinen Witzen beginnen, aber die Leichtigkeit stellt sich nicht ein. Beim Publikum nicht und bei ihm selbst nicht… Ob der Autor übrigens unterstellen will, dass Dov in seinem Job nicht sehr gut ist, das wird nicht klar…

Der Monolog wird hektischer, entgleitet. Man merkt bald, dass es da nicht darum geht, das Publikum zu unterhalten, sondern sich selbst zu hinterfragen, selbst zu entblößen. Dov gerät in einen Rausch, erzählt alles, was ihn selbst berührt – die Lage in Israel, das Militär, die Araber, vor allem aber seine Eltern. In ihnen tun sich die historischen Abgründe auf – die Mutter, die im KZ gerade noch Mengele entkommen ist und dem Sohn alle Komplexe der Welt mitgegeben hat; der Vater, der schief angesehen wird, weil der Holocaust ihn gar nicht berührt hat. Ein düsterer Probleme-Mix. Irgendwann gibt es nicht einmal den gewaltsamen Humor mehr, den Dov davor immer wieder eingestreut hat, wie mühselig auch immer…

Es ist schon klar, dass man in einen schwergewichigten Abend geraten ist. Regisseur Dušan David Pařízek hat ihn aus Grossmans Roman gefiltert, einen Monolog aus der Geschichte gemacht, die in Prosa durch die Augen eines Freundes reflektiert wird, und er hat Dov nur eine einzige Mitspielerin gegeben: Pitz, die im Zuschauerraum sitzt, das Nachbarskind von einst, die den zerstörten Dov Grinstein noch als den „guten Jungen“ gekannt hat, der seiner Mutter allerlei vorspielte, um ihre Gemütskrankheit zu lindern… und der dann einen Beruf daraus machte. Dieser Abend zeigt sein Scheitern. Und er tut es tonnenschwer. Mehr Anstrengung als Anregung. Mehr Ermüdung als Erhellung.

Pařízek hat sich offenbar um alles gekümmert, um eine fast leere Bühne, wo Dov Grinstein sich stellenweise selbst filmt und riesig im Hintergrund scheint, um die Videos, um die Musik, um die Bewegung und Aktion, die den Redefluss ja doch nicht wirklich gestaltet. Und doch liegt die ganze Verantwortung des Abends auf dem Schauspieler, der da steht, um sich sein wundes jüdisches Herz aufzureißen.

Samuel Finzi war vor rund eineinhalb Jahrzehnten schon einmal am Burgtheater zu sehen (und hat in „Der Leutnant von Inishmore“ von Martin McDonagh seine Fähigkeit zu Extrem und Exzess gezeigt), normalerweise kennt man ihn aus dem Fernsehen und gelegentlich aus dem Kino. Ein Mann von besonderer Power und Ausstrahlung – und doch funktioniert er als Dov Grienstein nicht hundertprozentig. Zumindest der Beginn müsste lockerer, komödiantischer, differenzierter kommen – Finzi hingegen ist den ganzen Abend mehr oder minder auf ein- und denselben Ton gestimmt, flackernde Variation der Tragödie, nicht einmal wirklich witzig, wenn er frech mit dem Publikum interagiert. Das macht den Abend immer wieder einförmig. Und vor allem ist Finzi sprachlich so verschmiert, dass man große Teile dessen, was er von sich gibt, einfach akustisch nicht versteht. Und gerade jüdische Witze brauchen gnadenlose Präzision… Neben ihm erscheint gelegentlich Mavie Hörbiger, aus dem Zuschauerraum tapsend, mit Türkenkoffern belastet, der Inbegriff der lieben, kleinen, grauen Maus. Keine Stichwortgeberin. Nicht wirklich nötig.

Ein Alleinunterhalter ist ein armes Schwein. Da stand Finzi im Schweiße seines Angesichts auf der Bühne – und das Wiener Publikum reagierte kaum. Verglichen mit der Salzburger Uraufführung war die Wiener Aufführung um eine halbe Stunde gekürzt, immerhin liefen die zweieinviertel Stunden pausenlos. Selbstverständlich bejubelte das Publikum am Ende die enorme Gedächtnisleistung des Hauptdarstellers und bezog auch den Autor ein. Aber keine Frage, dass der Mühseligkeitsfaktor des Abends weit höher ist als jeglicher Unterhaltungswert, den man fälschlich und vergeblich erhoffte.

Renate Wagner

 

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