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WELS/ Wagner-Festspiele: TANNHÄUSER. Premiere

19.05.2013 | KRITIKEN, Oper

Wagner Festival Wels 2013: „TANNHÄUSER“ – was für ein überwältigendes Werk! (Premiere 17.5.2013)


Clemens Unterreiner (Wolfram), Jon Ketilsson (Tannhäuser). Foto: Wagner Festspiele Wels

 Nachdem es führenden Opernhäusern im letzten Jahrzehnt gelungen ist, das Werk so zu ver-inszenieren, dass es todlangweilig (Wien), saublöd (Bayreuth), pervers (Paris) und sogar gesundheitsschädigend fürs Publikum (Düsseldorf) über die Bühne ging, erlebte man im kleinen Welser Stadttheater eine Produktion, die einer wahren Entdeckung von Richard Wagners genialem Musikdramas glich. Hier wurde nicht die fatale Frage nach der Aktualität eines mittelalterlichen Schauplatzes gestellt, sondern das bewegende Künstlerdrama inmitten einer heuchlerischen Gesellschaft aufgeführt. Ja, es erwies sich sogar, dass man die Oper in einem romantischen Rahmen spielen kann, ohne dass es dadurch an Stringenz verliert!

 Lauter im Jahre 2013 unerhörte Dinge sind da in Wels passiert: Ouvertüre und Vorspiel zum 3. Akt wurden bei geschlossenem Vorhang gespielt und –waren garade deshalb –ach! so vielsagend. Als Venusberg glaubte man eine sich weit in den Bühnenhintergrund erstreckende Grotte mit einem Wasserfall zu sehen – in Wirklichkeit eine wunderbare Projektion. Der 2. Akt zeigte eine sehr ästhetische, in feundlichen Hellbraun-Tönen gehaltene, die ganze Bühne umfassende Halle mit offenem Hintergrund in variabler Bleuchtung, je nach dramatischer Situation. Ein Rückfrage bei der Intendantin und dem Regisseur bestätigte mir die Annahme, es handle sich um eine Terrasse auf der Wartburg, von der aus man auf den Thüringer Wald blickt. (Wer jemals eine „Tannhäuser“-Aufführung am Originalschauplatz erlebt hat, weiß von dem überwältigenden Eindruck, den dieser Ausblick gewährt.) Die Venusgrotte verwandelt sich im 1. Akt sehr effektvoll – kongruent zur Musik – in den Frühlingswald, der im 3.Akt in herbstlichen Farben wieder als projezierter Hintergrund erscheint. Da steht rechts vorne ein Marterl, zu dem Elisabeth betet, vor dem sie während des wunderbaren Klarinettensolos, das von Wagner für ihren langsamen Abgang irgendwo in die Ferne gedacht war, zu Boden sinkt und stirbt. Ungemein berührend dann, wie Wolfram ihr sanft die Augen zudrückt und seinen Mantel über die Tote breitet. Nachdem Tannhäuser nach seiner Romerzählung von Wolfram auf die „heilige Elisabeth“ verwiesen wird, sinkt er, überwältigt von ihrem Opfertod, neben ihr entseelt zu Boden. Langsam von hinten kommend, füllen der Chor und alle – überlebenden – Solisten die Bühne und singen die wunderbare Botschaft von der Erlösung, die der Welt zuteil ward, kulminierend in dem mit Überzeugung intonierten „Hoch über aller Welt ist Gott, und sein Erbarmen ist kein Spott!“ frontal in Richtung Publikum. Da ist ein vielfaches „Halleluja!“ doch wohl gerechtfertigt. Und das sdas Tor zum Himmel wirklich offen bleibt, dafür sorgt ein Wagner-erfahrener Dirigent, der die Schlusstakte nicht durch diverse Ritardandi und ungeschriebene Crescendi pathetisiert, sondern das Eingehen des Büßers „in der Seligen Frieden“ möglich erscheinen lässt…

 Mein Sitznachbar, ein entfernter Verwandter von mir aus einem Innviertler Dorf (wo ich meine frühe Kindheit verbrachte), der noch nie zuvor Gelegenheit gehabt hatte, „Tannhäuser“ live zu erleben, tat den oben zitierten Ausspruch: „Was für ein überwältigendes Werk!“ Zu meiner vorsichtigen Vorankündigung, dass die drei Akte dieser Wagner-Oper ohnedies nur jeweils eine gute Stunde dauern und es zwei Pausen gäbe, kommentierte er nach der Aufführung mit: „Mir war das Stück viel zu kurz. Die Zeit ist mir so schnell vergangen, dass ich gar nicht fassen konnte, dass es schon zu Ende ist.“ Insbesondere während des so fesselnden 2. und 3. Akts sei ihm „ordentlich heiß“ geworden, gestand er mir noch.

An diesem Premierenabend wurde in den Pausen wirklich nur über das Stück und dessen Wiedergabe geredet. Natürlich waren sog. „Wagnerianer“ von auswärts in großer Zahl zugegen, aber dominierend blieb der oberösterreichische Dialekt. Wer immer vielleicht zuförderst aus gesellschaftlichen Gründen die Aufführung besuchte,schien dennoch vom Werk gepackt.

Dass alle Sänger gut bis überragend waren, dass, wie schon angedeutet, die musikalische Wiedergabe stimmte, obwohl Chor und Orchester aus der Slowakei (!) kamen – offenbar ohne Berührungsängste mit dem nach jüngster Düsseldorfer Erkenntnis -„nazionalsozialistischen“ Werk – , vollendete den Hochgenuss.

 Intendantin Renate Doppler hat seit nunmehr über 20 Jahren Erfolg mit ihrem Rezept, „Wagner pur“ zu bringen. Das erfordert heutzutage ja schon eine gehörige Portion Mut! Nicht in jedem einzelnen Fall sind ihr immer optimale Beetzungskonstellationen gelungen (das passiert bekanntlich auch Direktoren großer Häuser), aber immer garantierten die schönen Inszenierungen ein eindrucksvolles Gesamterlebnis.

 Ein aufeinander eingespieltes Team arbeitet mit den Bühnenkünstlen so, dass diese sich dabei wohlfühlen. Ich habe diesbezüglich mehrfache Erkundungen eingezogen und immer dieselbe Auskunft erhalten: „Wir dürfen eigene Vorschläge und Meinungen einbringen, es wird uns nichts aufgezwungen.“ Kostüme, Perücken und Maske werden auf die Darsteller abgestimmt. Man soll sich ja darin wohlfühlen.

Es ist nicht uninteressant, sich über die Hintergründe solcher Kunst zu informieren.

Der jetzt 78-jährige Regisseur Herbert Adler ist gelernter Schauspieler, hat in Oper. Operette und Musical auch viele Gesangspartien übernommen, vornehmlich in komischen Rollen. Als Schauspiel- und Opernregisseur kann er auf lebenslängliche Erfahrungen zurückblicken. Seine Frau Hannelore Adler, die auch in Wels im Einsatz war, war ebenso lange als Maskenbildnerin an deutschen Theatern tätig. Für Bühne, Kostüme und Lichtdesign ist seit dem Jahr 2000 in Wels der östereichsche Allround-Theatermann Dietmar Solt zuständig, der u.a. mit Regisseuren wie Günther Schneider-Siemssen, August Everding, Götz Friedrich, Lotfi Mansouri und Robert Herzl zusammengerbeitet und in aller Welt Regie geführt und Ausstattungen gemacht hat – also auch kein „unbeschriebenes Blatt“ in der Theaterwelt…

Ihnen allen ist offenbar gemeinsam, dass sie nie Skandale provoziert haben, d.h. für die Medien uninteressant sind. Sei’s drum. Die drei ausverkauften „Tannhäuser“-Vorstellungen sind ein echtes Geburtstagsgeschenk für Richard Wagner, dem sozusagen sein eigenes Werk zurückgeschenkt wurde.

Solch geeichte Theaterleute wissen, welche Wirkung man erzielen kann, wenn man etwa im 2. Akt alle Teilnehmer am Sängerkrieg, aktive sowie zuhörende, von hinten Mitte auftreten lässt, den Landgrafen für seine Ansprache in repräsentativer Fürstenkleidung in die Mitte stellt und die Minnesänger im Halbkreis vorne postiert. Sie wissen auch, dass die Chormitglieder ohne Schaden für das Verständnis der Handlung individuelle Reaktionen zeigen dürfen. Oder, dass es eigentlich unlogisch ist, die tote Elisabeth aus dem Tal auf die Wartburg zu tragen, dann aber wieder herunter, um Tannhäuser mit ihr zu konfrontieren. Sie wissen auch, wie gut das wirkt, wenn das Kreuz, das die Pilger am Ende zum Zeichen von Gottes Erbarmen auf die Bühne bringen, inmitten des Chores getragen wird. Alles nach uralten Theatergesetzen so simpel wie selbstverständlich – sollte man meinen, aber leider, zumindest in weiten Teilen Europas, aus der Mode gekommen.

 Als „Star“ unter den Solisten sei als erster Clemens Unterreiner genannt, der erstmals den Wolfram sang – singen durfte. Niemand, der ihn erlebt hat, käme wohl je auf die Idee, diese Figur als Langweiler zu bezeichnen. Als fescher, energiegeladener junger Ritter und betörender Minnesänger, der alle Emotionen auslebt, die der Dichterkomponist ihm auf den Lebensweg mitgegeben hat, bringt er alle Voraussetzungen mit, dieser Dramengestalt die größten Publikumssympathien zu sichern. Wagners prächtige Kantilenen werden mit Noblesse intoniert, Unterreiners immer voluminöser werdender Bassbariton wird in allen Lagen ebenmäßig geführt, eine perfekte Diktion sichert uneingeschränkte Wortverständlichkeit, die sonore Mittellage vermittelt ein festes In-sich-Ruhen, und die topsicheren Höhenaufschwünge vermitteln die Leidenschaft, die den „wohlgeübten Sänger“ ja auch schüttelt, ihm letztlich aber auch sein so berührend humanes Verhalten gegenüber Elisabeth und Tannhäuser im 3. Akt möglich macht. Wäre er eine passive Figur, nähme man ihm so viel Großmut nicht ab. Kurz: da passte alles zu allem und der größte Jubel des Abends gehörte verdientermaßen ihm.

 Während es sich bei Clemens Unterreiner immerhin um ein Mitglied der Wiener Staatsoper handelt, mochte so mancher Besucher dieser Premiere überrascht sein, dass die Elisabeth in Gestalt von Astrid Weber sich auf etwa gleichem Niveau bewegte. Diese exquisite Sängerin, ob in Chemnitz, Klagenfurt oder Linz, wo sie uns im jugendlich-dramatischen Wagner-Fach ebenso begeistert hat wie als Arabella oder Marschallin, hat ja schon als Bayreuth-Einspringerin mit der Elsa reussiert und wird überall, wo sie auftritt, zum Publikumsliebling. Ihre blendende Erscheinung trägt sicher auch dazu bei, aber vor allem ist es ihr absolut sattelfester, leuchtender. höhensicherer und expressionsfähiger Sopran, der hier auch schon Isolden-Töne hören ließ (eine Rolle, an der sie studiert), aber zu jeder zarten, innigen Gefühlsäußerung ebenso fähig ist. Und sie ist eine ungemein sensible Darstellerin, die ihre „Jungfrauen“-Rollen auch mit einer gehörigen Portion Charme ausstattet. Sie bald auch an der Wiener Staatsoper singen zu lassen, wäre nun vordringlich. Ihre Qualitäten sind in etwa denen von Petra Maria Schnitzer vergleichbar.

 Mit dem Titelhelden hatte Jon Ketilsson, den wir in Chemnitz als hervorragenden Venusritter kennen gelernt haben, zunächst wegen einer stimmlichen Beeiträchtigung durch eine Allergie vor allem im 1. Akt zu kämpfen, sodass er sich nicht mit voller Kraft in die Rolle einbrachte. Im 2. Akt tat er sich dann schon leichter, bewältigte auch die „Erbarm dich mein“- Passagen anstandslos und konnte im 3. Akt mit der Romerzählung mehr als nur einen Achtungserfolg erringen. Dass Ketilsson als Tristan bei seinem Rollendebut in Münster ein wirklich großartiger, vokal wie darstellerisch aufregender Wagner-Held war, dürften die Intendanten und Agenten, die damals davon Kenntnis nahmen, schon wieder vergessen haben. Rund um Wagners 200. Geburtstag soll daran erinnert werden!

Klangschön, ausgeglichen und wirkungsvoll sang sowohl Hermine Mayer die Frau Venus wie auch Reinhard Hagen den Landgrafen. Bemerkenswert auch die weiteren Minnesänger: Christian Sturm als Walther von der Vogelweide mit sicherem, klarem Tenor, der in Wien lebende Franzose Nicolas Legoux als kämpferischer und doch edelstimmiger Biterolf, Franz Gürtelschmied als Heinrich der Schreiber und Marco Di Sapia als Reinmar von Zweter. Den jungen Hirten, der auch im 3. Akt auf der Bühne prsäsent sein durfte, sang Iva Mihanovic mit anmutigem Sopran.

 Ohne alle Mätzchen gestaltete Ralf Weikert mit der Slowakischen Philharmonie (die ja kein geübtes Opernorchester ist) ein klassisches Wagnersches Tonbild. Richtige Tempi und vernüftige Lautstärken, nie pompös oder brutal, ganz aus der ja im Grunde noblen, im Venusberg auch in der hier gewählten Dresdner Fassung farbreich-virtuosen Musik heraus empfunden, stimmte die Dynamik, wurden Chor und Solisten bestens ins musikalische Geschehen integriert und konnten Soloinstrumente ihre Kunst zeigen, ohne dass darurch im mindesten eine Szene oder ein Akt in seine Teile zerfiel. Das Ganze war ein imponierendes musikdramatisches Kontinuum, das dazu beitrug, dass dem Publikum das Stück kurz vorkam.

Bewudernswert das nahezu akzentfreie Deutsch, das der Slowakische Philharmonische Chor unter Leitung von Prof. Blanka Juhannákova mit feinem Ton, aber auch beeindruckender Kraft sang. Die von Rosita Steinhauser choreographierte Balleteinlage im Venusberg , die vor allem Paare in verschiedensten Körperverschlingungen zeigte, nicht unpassend zu der Stätte, die, wenn namentlich auf der Oberwelt erwähnt, derartige Katastrophen zur Folge haben kann.

 Was kann einem Theaterstück, mit oder ohne Musik, Besseres widerfahen, als dass es verstanden wird – im weitesten Sinn – und damit seine Botschaft von den Menschen gehört wird?

Sieglinde Pfabigan

 PS. Im nächsten Jahr werden „Lohengrin“ (3.u.8. Juni) und „Der fliegende Holländer“ (5.u.6. Juni) wieder aufgenommen. Wolfgang Brendel als Holländer, Astrid Weber als Senta, Reinhard Hagen als Daland und Petra Maria Schnitzer als Elsa stehen schon fest.

 

 

 

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