Usedom/Kaiserbädersaal: ein Sonderkonzert des Usedomer Musikfestivals als großartiger Abschluss der 9. Usedomer Literaturtage, 29.04.2017
Das Usedomer Musikfestival überrascht oft durch Besonderes, diesmal durch ein Sonderkonzert, das die 9. Usedomer Literaturtage grandios beendete. 1200 Gäste hörten an vier Tagen sechs Lesungen. An schönen Orten der Insel präsentierten der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate (mit deutschen Pass), die Krimibestsellerautorin Donna Leon, der Politologe Alfred Grosser und die polnische Schriftstellerin Joanna Bator ihre neuesten Werke. Letztere erhielt den mit 5.000 Euro dotierten Usedomer Literaturpreis für ihr Lebenswerk.
Vielleicht kamen auch ihretwegen zahlreiche polnische Besucherinnen und Besucher zu diesem Sonderkonzert in den Kaiserbädersaal an der Strandpromenade im Ostseebad Heringsdorf. Was sie aber alle musikalisch zu hören bekamen, übertraf ihre Erwartungen sicherlich bei weitem.
Dmitry Sinkovsky, Il Pomo D’oro (c) Usedomer Musikfestival, Geert Maciejewski
Nicht zum ersten Mal war das bereits mit 3 Echo-Preisen geehrte italienische Barock-Ensemble Il Pomo D’oro zu Gast, diesmal aber mit dem russischen Violinvirtuosen Dmitry Sinkovsky als Dirigenten.
Die Bezeichnung Virtuose ist jedoch zu allgemein für diesen Supergeiger, dem die Freude am Musikmachen aus den Augen strahlt. Mit lockerem Körperschwung und einem aufmunternden Lächeln für seine „Mitstreiter“ startet er jedes Stück und lässt nicht nur die Noten swingen. Alles musiziert er – zusammen mit diesem „Goldapfel-Team“ – locker, aber mit innerer Spannung. Selbst die halsbrecherischsten Presto-Passagen geraten nicht zum Geigensport-Event. Intonationsreinheit, Melodie, Herz und Ausdruck gehen nie verloren.
Beide Konzertteile beginnen mit Werken des seinerzeit berühmten französischen Komponisten und Violinisten Jean-Marie Leclair. Bei seinem Concerto D-Dur, hier schwungvoll und kenntnisreich dargeboten, müssten sich eigentlich viele fragen, warum dieses Stück kaum oder gar nicht in deutschen Kammermusiksälen gespielt wird.
Ein besonderer Test ist Leclairs Sonate für zwei Violinen. Die gestalten Dmitry Sinkovsky und seine Frau Elena Davidova. Dass beide – schon mit vielen Preisen bedachte – Experten der historischen Aufführungspraxis sind, tritt nun besonders zu Tage, doch ohne jede schulmeisterliche Strenge. Er als der Vorwärtsstrebende, der Werbende. Sie eher zurückhaltend und doch wunderbar antwortend.
Dmitry Sinkovsky, Il Pomo D’oro (c) Usedomer Musikfestival, Geert Maciejewski
Auch ihre Instrumente passen im Klang gut zusammen. Sinkovsky spielt auf einer ihm zur Verfügung gestellten Violine von Francesco Ruggeri, gebaut 1675 in Cremona, seine Frau auf einer Geige von Giovanni Floreno Guidante, gefertigt 1735 in Bologna. Wertvolle Instrumente in den richtigen Händen. Dass dieses anspruchsreiche Stück, das keinen Fehler verbirgt und volle Konzentration verlangt, so berührend gelingt, ist eine Meisterleistung, die mit heftigem Applaus bedacht wird.
Usedom, Seebrücke Heringsdorf, stürmische Ostsee. Foto Ursula Wiegand
Zwischendurch Hasses Sinfonie in g-Moll und ein Telemann-Divertimento TWV 50.23, flott und perfekt musiziert allein vom Ensemble unter Führung des Bratschisten Giulio d‘Alessio. Doch beides verblasst im Vergleich zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Zunächst ist der (erhoffte) Sommer an der Reihe, im 2. Teil Vivaldis Winter, der genau zu diesem kalten, stürmischen Frühlingsabend passt.
Sinkovsky plus Il Pomo D’oro überbieten das noch, der Dirigent macht statt Allegro oft Presto mit Anspringen, und alle halten mit. In irrwitzigem Tempo heult nun der Vivaldi-Sturm, mitunter kreischen die Dissonanzen. Wie schön dann das Largo, reinste Wellness, doch schon wieder heult Angst machend der Sturm. So intensiv, so packend, so außergewöhnlich habe ich Vivaldis Winter noch nie gehört. Das Publikum reißt es fast von den Sitzen. Riesenapplaus.
Dmitry Sinkovsky als Countertenor, Il Pomo D’oro (c) Usedomer Musikfestival, Geert Maciejewski.
Danach das große Staunen. Als Zugabe gibt’s eine Händel-Arie, gesungen vom Countertenor Dmitry Sinkovsky. Ja wirklich. Seit 2007 hat er auch seine Stimme ausbilden lassen, singt nun wie ein Engel, um schließlich mit Vivaldis wiederholtem Winter-Allegro das Publikum in die stürmische Ostseenacht zu fegen.
Ein großartiges Sonderkonzert, das Lust macht auf das 24. Usedomer Musikfestival vom 23. September bis 14. Oktober 2017. Programm: www.usedomer-musikfestival.de, Ticket-Hotline: 038378-34647.
Ursula Wiegand