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TRIER: ORFEO ED EURIDICE. Premiere

26.05.2014 | KRITIKEN, Oper

Trier: „ORFEO ED EURIDICE“ – Premiere am  24.5.2014

Eine zierliche, zerbrechlich wirkende Person sitzt im Schlafanzug an einem kleinen, lediglich mit zwei gekochten Eiern eingedeckten Frühstückstisch recht verloren auf der ansonsten leeren Bühne. Trotz der frischen Dur-Ouvertüre sind ihre Einsamkeit, ihre Traurigkeit und ihre seelischen Qualen unübersehbar. Eine „Hilfsfigur“, der gefesselte „Weiße Schatten Hoffnung“, verstärkt die betrübte Atmosphäre. Dem Zuschauer ist klar: Hier geht es um die Gefühle und das Innenleben eines Menschen. Dies ist der rote Faden, der sich (sichtbar als rotes Seil) durch die Handlung zieht. Ob Mann oder Frau ist dabei Nebensache, gibt es in der heutigen Zeit der menschlichen Individualisierung und der Zunahme von Ein-Personen-Haushalten neben verwitweten Menschen nicht unzählige Männer und Frauen, die Ähnliches erleben? Die ebenfalls mit einem „Schatten Hoffnung“, dem inneren Alter Ego, leben?

Diesen hat die Regisseurin Birgit Scherzer, in Trier schon des Öfteren erfolgreich tätig, hinzugefügt. Orpheus erlebt mit seinem Alter Ego das Hin- und hergerissensein zwischen Rationalität, starken Emotionen und Gefühlen, Hoffnungen, Zweifeln und letztendlich einer großen Enttäuschung. Die anspruchsvolle, durchgehende Rolle wird getanzt von Ensembletänzer René Klötzer, der damit Herausragendes leistet. Drängend, subtil, umschmeichelnd, tröstend, fordernd geht er mit Orpheus um, schont ihn nicht. Nachdem ihm ein frisch-fröhlicher Amor Joana Caspar mit zierlichen Tanzschritten Zeus‘ Segen für die Suche nach der verlorenen Gattin erlaubt hat, begibt er sich in den Hades, wo ihn die Furien mit Feuer verängstigen und überdimensionierte, grellbunte, von der Decke hängende Mikadostäbe sowie ein massiver roter Blitz verunsichern. Die großen Stellwände an drei Seiten werden so verrückt, dass sein Aktionsradius immer kleiner und er buchstäblich in die Enge getrieben wird. Dann endlich das Zusammentreffen der Eheleute – sie stehen auf der Bühne so weit wie möglich auseinander. Die fassungslose Eurydike Evelyn Czesla klagt ihm ihr Leid herzzerreißend, um Orpheus anschließend regelrecht unter Druck zu setzen. Dies ist wohl zeitlos: Warum vertraut sie nicht dem Menschen, der sie so sehr liebt? Warum insistiert sie, bohrt immer weiter, bis er keinen Ausweg mehr sieht und seine Auflagen dadurch nicht erfüllen kann? Frau Czesla beweist wieder einmal ihre ausgeprägte Fähigkeit zur stimmlichen und darstellerischen Ausgestaltung ihrer Rollen.

Orpheus findet sich wieder am Frühstückstisch. Ausgeträumt, vorbei alle Illusion, ernüchtert, wütend ob der Erkenntnis, dass Tote nicht wiederauferstehen. Er schleudert die Eier mit Wucht vom Tisch!

Dieses unglückliche Ende hat Frau Scherzer ebenfalls verändert, aber, einmal abgesehen davon, dass vielleicht viele Zuschauer gerne den glücklichen Ausgang der Handlung wie vorgegeben gesehen hätten, hat diese Desillusionierung auch nicht missfallen, weil sie schlüssig ist, ins Konzept passt und nicht krampfhaft erzwungen ist. Und vielleicht tut es auch gut, in Zeiten, in denen Ehescheidungen Normalität sind, diese große und tiefgehende Liebe zu sehen und zu hören.

Die Oper besteht aus wenig Handlung und viel Musik – eine Steilvorlage für eine Regisseurin, die gelernte Tänzerin und Choreographin ist. Sie bindet den Opernchor und das Tanztheater des Theaters Trier vollständig in die tänzerische Ausgestaltung der Oper ein, und zwar mit solch anspruchsvollen, abwechslungsreichen und spannenden Choreographien, dass Langeweile keine Chance hat. Die Unterwelt wird bspw.mit dem Furienballett und anderen furiosen Tänzen lebendig, mitreißend. Das Tanztheater verdient ganz großes Lob hierfür und die Leistung des Chores (Einstudierung: Angela Händel) ist ebenfalls hervorzuheben: Neben ihren choreographischen Leistungen sangen und interpretierten sie auch ausgezeichnet und durchgehend stimmungsadäquat (ihre ersten Stücke z.B. wie ein Requiem).

Die Kostüme von Alexandra Bentele sind schlicht und oft aus ungewöhnlichem Material, z.B. Noppenfolie, jedoch ungeheuer wirkungsvoll. Dies hängt sicher auch mit der kunstvollen Ausleuchtung von  Kai Kolodziej, Beleuchtungsmeister am Hause, zusammen und natürlich dem Bühnenbild von Manfred Gruber. Auch dies eigentlich unspektakulär, aber mit leichten Verschiebungen der Lamellenwände z.B. in der Lage, neue Räume und neue Atmosphären zu schaffen. Wenige symbolträchtige Requisiten (weiße Lilien z.B.) unterstützen diese Stimmungen.

Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier unter der Leitung von GMD Victor Puhl ist mit der Alten Musik wenig vertraut, legte sich aber richtig ins Zeug. Vielleicht hätten die Ouvertüre und der Tanz der Furien etwas flotter bzw. furioser sein dürfen, aber die friedvolle Stimmung im Elysium wurde so gefühlvoll und sensibel dargeboten, dass man hätte dahinschmelzen können. Die Solostimmen erklangen als solche und das relativ umfangreiche Flötensolo wurde regelrecht zelebriert. Prima ist die Entscheidung des GMD, einige musikalische Highlights aus der späteren Pariser Fassung hinzuzunehmen.

Unangefochtener Star des Abends war Kristina Stanek in ihrer Rolle als Orpheus. Von Anfang an voll präsent, meisterte sie alle Herausforderungen mit Bravour. Sie verschmilzt nicht mit dem Chor, sondern bleibt bei ihrer Rolle. Ihr Mezzo hat Volumen und verströmt Wärme. Unverkrampft wechselt sie Höhen und Tiefen, nie gepresst oder angestrengt. Sie bleibt bei der Tonbildung und sonstigen musikalischen Ausgestaltung nicht an der Oberfläche hängen, sondern geht in die Tiefe. Die Souveränität der 29-Jährigen beeindruckt. Als „Orpheus und Eurydike“ im Jahre 2000 in Trier zur Aufführung kam, sang die damals ebenfalls 29-jährige Diana Damrau die Eurydike. Was aus ihr geworden ist, ist bekannt,  was aus Kristina Stanek wird, bleibt offen… Auf jeden Fall wird sie in der kommenden Spielzeit in Trier die Carmen singen.

Adäquat wird die kleine Sängerriege ergänzt von Susanne Wessel als Erinnerung. Gesungen wurde in Originalsprache mit deutscher Übertitelung.

Diese letzte Opernpremiere der laufenden Spielzeit schlägt ein: Das Publikum klatscht und johlt, ist rundherum begeistert. Ein volles Haus bei nachfolgenden Aufführungen (7., 13., 17., 25. und 27. Juni) wäre die schönste Belohnung für diese Leistung des gesamten Trierer Hauses, das zum Spielzeitende noch eine Besonderheit bietet: Freilichtaufführungen an historischer Stätte. Am 5., 10. und 20. Juli werden diese im Innenhof des Kurfürstlichen Palais stattfinden. Auf das dafür geplante neue Bühnenkonzept darf man gespannt sein.

Mit dieser Oper hat das Theater Trier in dieser Spielzeit einen gelungenen Beitrag zum Gluck-Jahr geleistet, der hoffentlich ebenso gut in der kommenden mit „Orpheus in der Unterwelt“ fortgesetzt wird.

Marianne Binzen

 

 

 

 

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