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TOULOUSE / Théâtre du Capitole: „DAPHNE“

23.06.2014 | KRITIKEN, Oper

TOULOUSE, Théâtre du Capitole: „DAPHNE“  22.06.2014

Unbenannt
Foto: Schweitzer

 Es wird immer mehr üblich, den Theatersaal zu betreten und bei offenem Vorhang durch das Bühnenbild auf das Kommende eingestimmt zu werden. Auf einen Überraschungseffekt beim Hochziehen des Vorhangs wird immer weniger Wert gelegt.

 Nach der Verdunkelung des Raums ging der Vorhang herunter. Ein Mann im dunklen Anzug erschien im Lichtkegel, der Albtraum jedes Opernbesuchers. Aber es handelte sich nur um eine Kundgebung über die leidlich  schon von anderen Theatern bekannten Einsparungsmaßnahmen. Während der Rede überkommt mich die Erinnerung an einen  Streik an der Opéra Bastille. Werden wir letztendlich doch nach Hause geschickt werden? Das Publikum zeigte für die Probleme des Personals Verständnis und applaudierte. Besser eine viertelstündige Verspätung und ein offenes Wort als eine Arbeitsniederlegung. Der Vorhang hob sich wieder.

 Ich las im Klavierauszug. „Steiniges Flussufer:“ Ja. „Dichte Ölbaumgruppen.“ Fehlen. „Letzte Sonne.“ Einen Sonnenuntergang stelle ich mir anders vor. „Im Hintergrund ist der Fluss zu denken.“ Wasser vorne auf der Bühne spielt in der Regie und der Ausstattung (Patrick Kinmonth) mit. „Den Abschluss bildet das gewaltige Massiv des Olymp.“  Dafür ist vielleicht der Bühnenraum zu beengt. Außerdem soll der Sitz der Götter meistens von Wolken umhüllt sein. Ich hatte überhaupt den Eindruck, dass sich die Handlung in und vor einer Höhle ereignet.

 Der Chor der Schäfer (Chœur du Capitole) bevölkert die Bühne. Spontan fällt mir ein Foto der alten Männer aus der Uraufführung des Balletts „Le Sacre du printemps“ in der Ausstattung von Nicholas Roerig ein. Fetzige Kostüme (ebenfalls von Patrick Kinmonth kreiert) sollen das Archaische betonen. Von den vier solistisch auftretenden Hirten ist der erste Hirte mehr herausgehoben.  Der Bariton Patricio Sabaté konnte aber nicht meine Neugier erwecken, welche größeren Rollen er einmal singen wird.

 Daphne – Claudia Barainsky – erscheint. Schweren Herzens nimmt sie Abschied vom Tag, von der Sonne. „So bleib, bleib für immer! Wenn du mich verlässt …“ Dann wird das Grün der Bäume zum Grau und Schwarz, die Blumen verlieren ihre Pracht. Mir geht das Silbrige berühmter Strauss-Stimmen ab. Ich höre aufmerksam, aber ich schwelge nicht.

Atemlos läuft Leukippos seiner geliebten Daphne hinterher, ohne ihre Gefühlswelt erreichen zu können. Diese Rolle zu besetzen ist nicht leicht. Sie ist nicht viel weniger schwer zu singen als die des Apoll. Die Person (von per sonare!) darf nicht den übermächtigen Rivalen Apoll an beeindruckender Virtuosität übertrumpfen, aber auch nicht zu sehr im Schatten stehen, soll keinen Schwächling darstellen, auch wenn er hofft als Frau verkleidet an sein Ziel zu kommen. „Bin dir nicht fühlloses Holz.“ Kommt doch der Flötenton vom Inneren des Menschen und nicht das  Saitenspiel. Roger Honeywell kennt bereits die andre Seite als Bacchus in der „Ariadne“. Modern ausgedrückt, ein gutes Casting.

 Gespannt wartete ich auf das Erscheinen der Gaea, der Mutter, die voll Sorge ist, dass ihre Tochter schwärmerisch am Leben vorbei geht und die Zeichen in der Welt nicht zu deuten weiß. „Dunkel ist der Götter heiliger Wille, nicht leicht hier unten der Weg auf Erden.“ Anna Larsson, eine hoheitsvolle Erscheinung,  begann mit betörendem Wohlklang, aber sehr verhalten in der fast ständigen unteren Oktav ihrer Stimmlage. In der höheren Oktav im Forte verlor an dem Abend ihr Gesang an Schönheit. Die Gaea ist eine der tiefsten Altpartien der Opernliteratur. Das tiefe e in Erde blieb sie uns zu meinem Leidwesen schuldig.

 Marie-Bénédicte Souquet und Hélène Delalande als Erste und Zweite Dienerin dienten im wahrsten Sinn des Worts bestens dem wertvollen Strauss´schen Werk. Für die Rolle des Peneios, des erdgebundenen Flussgottes, der sich nach den Höhen des Olymps zurücksehnt, konnte Franz-Josef Selig gewonnen werden, ein voller Bass, der manchmal die räumlichen Verhältnisse  des Auditoriums sprengt.

 Und dann tritt Apollo auf, als einfacher Rinderhirt, aber Andreas Schager ist eine Offenbarung. Kein distanziertes Hören mehr, eine Sternstunde beginnt, mitreißend sein Apoll durch Stimme und Ausstrahlung, in einer Inszenierung die viel förmliche Gestik aufweist. Und Daphne/Claudia Barainsky  wächst in der Begegnung mit diesem Partner. Aufgrund seiner eindrucksvollen Darstellung habe ich mir als Untertitel anstelle von „Bukolische Tragödie in einem Aufzug“ „Schuld und Sühne des Apoll“ gedacht.

 Eine Herausforderung für jeden Choreografen (hier Fernando Melo) sind orgiastische Szenen, denken wir an das schwierige In-Szene-Setzen der Walpurgisnacht. Das Ergebnis blieb enttäuschend. Ebenso enttäuschend wieder die Kostüme des Chors und der TänzerInnen.

Das „Extra“ dieser Inszenierung gefiel mir. Vor der Verwandlung der Daphne wird ein langes, schwarzes Tuch vom Schnürboden herabgelassen und Apollo (Artist: Hugo Mega) gleitet in kunstvollen Bewegungen in Richtung Erde.

Im Zeitalter der vielen technischen Möglichkeiten wundert es mich, noch nie eine Verwandlung mit Hilfe von Projektionen erlebt zu haben. Immer wieder wird mit schließenden und sich wieder öffnenden Vorhängen gearbeitet. Verwandlung durch den Tod. Wie das biblische Weizenkorn versinkt Daphne in der Erde. An andrer  Stelle (?!) sehen wir dann einen Lorbeerbaum.

 Ich möchte für den vielgeschmähten Librettisten Joseph Gregor eine Lanze brechen. Er besitzt zwar nicht die Sprachkunst eines Hugo von Hofmannsthal, auch fehlt vielleicht seiner Sprache die Musikalität. Aber inhaltlich wird einem der Mythos nahe gebracht. 

 Hartmut Haenchen und dem Orchestre national du Capitole ist für die schöne Wiedergabe dieser Oper zu danken. Lohnte sich die Reise nach Toulouse? Abgesehen davon, dass ich mit Pamina Musikreisen bei drei Nächtigungen ein bereicherndes Besichtigungsprogramm miterlebte, nach operbase.com  wird es in der Saison 1914/1915 weltweit lediglich 16 Aufführungen von drei Produktionen in drei Städten geben. In der jetzt auslaufenden Saison waren es einschließlich Toulouse nur zwei Produktionen mit zehn Aufführungen. „Daphne“ ist weiterhin eine Rarität.

 Lothar Schweitzer

 

 

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