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TAMPERE/ Finnland: NABUCCO

22.02.2015 | Allgemein, Oper

Tampere / Finnland : Nabucco – 21.2.2015

Zwar ist die Finnische Nationaloper in Helsinki die einzige durchgehend bespielte Opernbühne Finnlands, doch auch wer nicht im Einzugsbereich der Hauptstadt wohnt, braucht auf Oper nicht zu verzichten. Abgesehen vom weltweit bekannten Festival in Savonlinna, gibt es einige lokale Operngruppen, von denen die in Tampere, der drittgrößten finnischen Stadt, am rührigsten ist. Bereits 1946 gegründet, wagte man sich ab 1947 in manchmal bis zu drei Produktionen pro Jahr an die Werke der Weltliteratur mit ausgesuchten Stückensembles (u.a. sang Soile Isokoski 2013 hier ihre erste und einzige Cio-Cio-San) sowie interessanten Dirigenten und Regisseuren. So dirigierte 2006 ein gewisser, heute weltberühmter Andris Nelsons Donizettis „L’elisir d’amore“. Als Orchester fungieren die Tampere Philharmoniker; deren Chefdirigent Santtu-Matias Rouvali, eine der großen dirigentischen Nachwuchshoffnungen Finnlands, wird im nächsten Jahr Verdis „La forza del destino“ leiten. Für die Werke mit Chor steht ein 90köpfiges Ensemble zur Verfügung. Gespielt wird in der Tampere-Halle, mit einem Fassungsvermögen von 1800 Zuschauern eine der größten in Nordeuropa.

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Tommi Hakala in der Titelrolle (Foto : Petri Nuntinen)

Für 2015 (Premiere war am 14.2.) hatte man mit Verdis „Nabucco“ eine Oper gewählt, die wegen des populären Gefangenenchores als Publikumsmagnet gilt, aber gerade in den Partien Abigaille, Nabucco und Zaccaria außergewöhnlich schwierige Anforderungen an die Interpreten stellt. Der Besuch der dritten Vorstellung am 21.2. lohnte sich vor allem wegen der fantastischen Leistung des Chores (Einstudierung HEIKKI LIIMOLA), der sich, was Klangfülle und –schönheit anbelangt, nicht hinter so berühmten Chören wie denen in Savonlinna oder gar Bayreuth zu verstecken braucht. Bravo tutti! Wenn man einen solchen Chor zur Verfügung hat, verwundert es nicht, dass Opern, die einen großen Chor erfordern (wie z.B. Lohengrin, Tannhäuser oder jetzt Nabucco), Tradition in Tampere haben. Dirigentischer „Spiritus rector“ war der Spanier ALBERTO HOLD-GARRIDO, derzeit Chefdirigent im finnischen Kuopio, bei dessen kapellmeisterlichen Fähigkeiten sich die Mitwirkenden wie in Abrahams Schoß wähnen durften. Er breitete vor dem Publikum die ganze Schönheit von Verdis Partitur aus und konnte seinem mediterranen Temperament vor allem im furios genommenen Finale des 1. Aktes freien Lauf lassen.

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Mlada Khudoley und Tommi Hakala (Foto : Petri Nuntinen)

Bei den Solisten gab es Licht und Schatten. Die Russin MLADA KHUDOLEY als Abigaille entledigte sich ihrer Aufgabe mit stupender Brillanz. Eine derart „mörderische“ Partie mit ihren Anforderungen an Höhenstrahl, Tiefensubstanz, Koloraturfähigkeit, Power und Lyrik derart souverän zu singen, zeugt von einer intakten Stimme und Technik (trotz der 1 ½ Jahrzehnte, die Mlada Khudoley diese Rolle und andere von ähnlichem Kaliber singt). Der in der Titelrolle debütierende TOMMI HAKALA ist auf dem besten Wege zu einem erstklassigen Interpreten dramatischer Verdi-Baritonpartien wie eben Nabucco oder Macbeth, den er bereits in Essen sang. Obwohl er in der Lage ist, ein gut gestütztes Piano zu produzieren, klingt sein Material in dieser Lage doch zu wenig, sogar zu wenig schön, wohingegen er sich in der im Forte genommenen Höhenlage erst so richtig wohl zu fühlen scheint. Also : Abschied vom Kavaliersbariton, hin zum dramatischen Verdi oder Wagner (Amfortas?). JOUNI KOKORA machte als Eurovisions-Gewinner „Conchita Wurst“ (bei Verdi : Oberpriester des Baal) eine gute Figur und ließ ein klangvolles Bassmaterial hören, ebenso wie in kleineren Rollen TIINA PENTTINEN (Fenena), TERO HARJUNNIEMI (Abdallo) und SUVI VÄRYNEN (Anna).

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Tuomas Pursio und Chor (Foto Petri Nuntinen)

Fragezeichen seien bei den Leistungen von TUOMAS PURSIO (Zaccaria) und MATI TURI (Ismaele) gestattet. Zwar ist der Zaccaria eine von reinen Bassisten wegen ihrer unbequemen Höhenlage gefürchtete Rolle, in der sich einst auch der große Nicolai Ghiaurov schwer tat, aber immerhin ist es eine Rolle für einen Bass und nicht für einen Heldenbariton wie Pursio (Rheingold-Wotan, Amfortas, Scarpia), der naturgemäß mit den Höhen keine Schwierigkeit hat, aber es in der Tiefe an Bassresonanz fehlen lässt, abgesehen von seinem recht spröden Material, dem es an balsamischer Schönheit gebricht. Der Este Mati Turi mag ein an mittleren Häusern gefragter Wagner-Held sein, dem Bemühen nicht abgesprochen werden soll, das Volumen seiner Stimme dem Ismaele anzupassen, doch fehlt ihm für eine Partie dieses Genres die passende (schmelzreiche) Stimme und Stilgefühl.

Für die Regie war mit VILPPU KILJUNEN ein Regisseur gewonnen worden, dem ich in Werken, die ich vorher nicht kannte (Sallinens „Reitersmann“, Rautavaaras „Aleksis Kivi“ und Rasputin“), mich überzeugende Interpretationen verdanke, der mich aber in bekannten Opern wie z.B. dem bei Kiljunen im Medienmilieu spielenden „Ballo in maschera“ ratlos zurückgelassen hatte. Von einem Regisseur heute zu verlangen, der Versuchung zu widerstehen, ein Werk wie „Nabucco“ im Heute anzusiedeln, scheint eine Ûberforderung zu sein, obwohl man von einem gebildeten Publikum eigentlich erwarten können sollte, eigene Analogien von Verdis Oper zu heutigen kriegerischen Ereignissen zu ziehen. Erwarten und sogar verlangen sollte man aber Respekt vor der Musik. Die Ouvertüre von einer Kinderschar „bespielen“ zu lassen, die sich ausgerechnet zum Motiv des Gefangenenchores zum Ringelreihen zusammenfindet, lenkt lediglich von der Musik ab und bringt nichts an zusätzlichem Erkenntnisgewinn zum besseren Verständnis des Stücks. Dasselbe fehlende Vertrauen in die Musik konnte man bei Zaccarias Gebet feststellen, bei dem der Zuschauer weniger auf Zaccaria achtete bzw. hörte, sondern auf einen von einem kleinen Jungen geführten Blinden, der über die Bühne schlurfte. Und den Oberpriester des Baal als „Conchita Wurst“ zu kostümieren, lässt mich an der Seriosität des Regie- und Ausstattungsteams (Bünenbild ANTTI MATTILA, Kostüme PIIA RINNE) zweifeln. Ich gestehe gerne zu, dass diese Ärgernisse „Petitessen“ sind gegenüber dem, was man heutzutage gewohnt ist zu goutieren. Aber : Hat heutzutage kein Regisseur „Mut“ zu einer guten und/aber konventionell gemachten Inszenierung? Fürchtet man, dass die Kritiker dabei einschlafen und am Schluss das Todesurteil aussprechen : „Alles schon mal dagewesen!“?

Sune Manninen

 

 

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