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TALLINN / Noblessner Werft: ADAM’S PASSION von Arvo Pärt. Weltpremiere

14.05.2015 | Oper

Tallinn/ Noblessner Werft: „ADAM’S PASSION“ von Arvo Pärt, Weltpremiere, 12.05.2015

Groß war die Spannung vor dieser Weltpremiere, und noch größer ist offenkundig die Liebe und Hochachtung der Esten für Arvo Pärt, ihren weltbekannten Komponisten. Während der Drangsale in der Sowjetzeit hatte er sich ab 1968 zunächst eine mehrjährige musikalische Schweigeperiode auferlegt und nur eine einzige Sinfonie geschrieben. 1980 ging er nach Wien, wurde österreichischer Staatsbürger. Wenige Monate später übersiedelte er nach West-Berlin, wo er fast 30 Jahre lebte und komponierte. Erst im Jahr 2009 kehrte er – nach „Gastspielen“ im wieder freien Estland – in seine Heimat zurück.

Adam's Passion, Michalis Theophanous, Adam, Lucinda Childs, Frau, Foto Kristian Kruuser  Kaupo Kikkas
Michalis Theophanous, Adam, Lucinda Childs, Frau, Foto: Kristian Kruuser/ Kaupo Kikkas

Groß und von herber Strenge ist auch der Ort dieser Uraufführung, die ehemalige, seit einiger Zeit für Kulturzwecke genutzte Noblessner Werft. In der früheren Gießerei, wo U-Boote für die Russen gebaut wurden, ist nun Arvo Pärts „Adam’s Passion“ vom Stapel gelaufen. Ein erkennbar religiöses Werk wie viele Kompositionen von Pärts, der 1970 der russisch-orthodoxen Kirche beitrat.

In seinen Schweigejahren hat er, inspiriert von der Gregorianik und Johann Sebastian Bach, eine eigene minimalistische Moderne entwickelt, feingliedrig und zumeist melodiös. Kompositionen, die die Hörer in einen mystischen Kosmos hineinführen. An der Erschließung dieser Welten beteiligt sich nun der amerikanische Regisseur Robert Wilson. Das Miteinander wird zur Weltpremiere.

Wie kam es dazu? Bei einer Einladung von Papst Benedikt XVI an mehr als 200 Persönlichkeiten vor rd. 6 Jahren waren sich beide in Rom erstmals persönlich begegnet. „Why don’t we do something together?“ hatte ihn Wilson laut Programmheft sogleich gefragt. Pärts Antwort: „Why not“.

Als Ergebnis sitzen nun zwei geniale Minimalisten in einem Boot und verbinden musikalisch weitgehend Bekanntes und Großartiges mit einer szenischen Bebilderung. Denn „Adam’s Passion“ basiert auf „Adam’s Lament“ (Adams Klage) von 2010, „Tabula Rasa“ von 1977 und „Miserere“ von 1989/1992. Neu ist jedoch der Vorspann „Sequentia“ von 2014, ein Stück für Streichorchester und Schlagwerk, das Pärt Wilson gewidmet hat.

Der Steuermann dieses Bootes, das zeigt sich im Verlauf, ist und bleibt jedoch Arvo Pärt, zumal das Tallinn Kammerorchester und der Estnische Philharmonische Chor unter dem engagierten Dirigat des Pärt-erfahrenen Tonu Kaljuste dessen meditative Notenwellen aufs Beste hörbar machen. Sie alle sitzen/stehen auf einer Empore hinter dem Publikum und füllen so den gesamten großen Raum.

Die Aufführung beginnt in totaler Dunkelheit. Die Geigenklänge schweben durch die hohe Halle wie Gottes Geist (lt. Altem Testament) über den Wassern. Ein plötzlicher Xylophon-Schlag lässt zusammenzucken. Vielleicht ist es der Urknall.

Auf der sattblau leuchtenden Leinwand huscht ein Lichtstrahl längs und quer, Wilsons Sinnbilder für Raum und Zeit (Lichtdesign: AJ Weissbard). Der nackte Adam, hier nur als Mann bezeichnet, tritt Nebel umwabert aus dem Blau heraus. In Pärts schwebender Musik ist die Erde schon vorher nicht mehr wüst und leer.

Nach dem Inhalt von „Adam’s Lament“ bricht Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies und der Entfernung von Gott in Tränen aus. In Wilsons Version steht dieser Mann – der Grieche Michalis Theophanous (nomen est omen) – minutenlang wie in Schockstarre unbeweglich da, um dann Fuß für Fuß ganz langsam einen beleuchteten, in die Sitzreihen hineinragenden Steg entlang zu gehen.

Schließlich hebt er einen Zweig vom Boden auf und balanciert ihn auf dem Kopf. Eine poetisch wirkende Geste, passend zu Pärts mystischen Klängen. Auf der Leinwand erscheint ein Strichhäuschen. Will der Mann dort den Zweig einpflanzen?

Robert Wilsons Bilder sollen, so äußert er selbst, eigentlich nichts erklären und alles der persönlichen Deutung überlassen. Dennoch wecken sie durchaus Vorstellungen, im Falle der Frau aber eine gewisse Ratlosigkeit. Die 75-jährige New Yorkerin Lucinda Childs, die Ikone für modernen Tanz und Choreographie, gestaltet diese Rolle. Aber nicht als Eva, die ihren Adam einst mit einem Apfel (und ihrer Schönheit) verführte.

Stattdessen schreitet sie in einem schmalen hellblauen Kleid (Kostüme: Carlos Soto) ganz in sich gekehrt, hoheitsvoll wie eine Göttin und genau so langsam wie der Mann über die Bühne und den Steg. Beide kommen sich nicht nahe, blicken sich noch nicht einmal an. Ein befremdliches Tun. Liebe, das war einmal. Vielleicht ist es auch nur ein Spiel mit allersparsamsten Bewegungsformen.

Adam's Passion, Trevor Mattias Sakias, Junge, Foto Kristian Kruuser  Kaupo Kikkas
Trevor Mattias Sakias, Junge, Foto Kristian Kruuser / Kaupo Kikkas

Im Verlauf wird manches etwas konkreter. Ein Junge (Trevor Mattias Sakias) erscheint, der bald ein Buch auf dem Kopf balanciert. Oder ist es ein Stein? Ein Mädchen (Evelin Tanis) und andere Kinder gesellen sich zu ihm. Zwei „Muskelmänner“ mit Boxhandschuhen bedrängen Adam, der später – nun als Arrivierter im Anzug – mit einer anderen Frau eine Leiter schräg auf der Bühne befestigt, als sei sie die Karriere- oder Himmelsleiter.

Adam's Passion, Michalis Theophanous, Adam mit der Leiter, Foto Kristian Kruuser  Kaupo Kikkas
Michalis Theophanous, Adam mit der Leiter, Foto: Kristian Kruuser / Kaupo Kikkas

Nach solchen Assoziationen erscheinen jedoch beim „Miserere“ tatsächlich, Gott erbarm, zwei Kids mit hölzernen Kalaschnikows. Die Erschaffung der Welt mündet in ihre Zerstörung. Diese plakative Wendung entzaubert die anfänglichen, zumeist angenehm vagen Bildwelten. Doch Pärts wunderbare Musik mit ihrem Erlösungsflehen hält das schwankende Gemeinschafsschiff auf Kurs bis zum Hafen.

Insgesamt betrachtet muss das Miteinander-Experiment von Pärt und Wilson trotz einiger szenischer Sonderbarkeiten als geglückt bezeichnet werden. Nicht nur der Jubel und die „standing ovations“ der fast tausend Zuhörer/Zuschauer für diese Großtat beweisen es. Die Begeisterung wogt noch höher, als der bescheidene Arvo Pärt die Bühne betritt und sich glücklich lächelnd verneigt.

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Arvo Pärt nach der Vorstellung, Foto Ursula Wiegand
Arvo Pärt nach der Vorstellung. Foto Ursula Wiegand

War es das? Keineswegs. Estland hat 2015 zum „Jahr der Musik“ erklärt und will darüber hinaus die estnische Musikkultur weltweit bekannter machen. Eine 60-minütige Dokumentation von „Adam’s Passion“, finanziell unterstützt u.a. auch von mehreren Sendern, steht ab August zur Verfügung – als passende Würdigung vor allem für Arvo Pärt zu seinem 80. Geburtstag am 11. September. Im Fernsehen und auf Film-Festivals in 30 – 40 Ländern soll das Werk gezeigt werden und in den nächsten 2-3 Jahren 40-50 Millionen Menschen erreichen.

Ursula Wiegand

 

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