Stuttgart: Gauthier Dance: CELEBRATION – 5 JAHR-JUBILÄUM“ 12.7. 2o12 (Theaterhaus) – ein Erfolgsrezept
Cantata 1: Anneleen Deedrog, Egon Madsen, Company. Foto: Regina Brocke
Kaum zu glauben, dass das kleine Tanzensemble um Eric Gauthier, den ehemaligen Tänzer des Stuttgarter Balletts, nun schon fünf Jahre zum fixen Bestandteil des Stuttgarter Kulturlebens gehört. Von Anfang an wurde Gauthier Dance von einer Welle der Begeisterung begleitet und inzwischen zu einer Stütze des Kulturzentrums Theaterhaus, wo die kleine Kompanie beheimatet ist. Gauthiers Renomée als universeller Tänzer und Musiker mit Charme und Sympathie sowie seine Programm-Ausrichtung, möglichst vielen Menschen durch Tanz fröhliche Stunden zu bereiten, waren die idealen Voraussetzungen für den sofortigen Erfolg, der von Jahr zu Jahr noch mehr ausverkaufte Vorstellungen und zahlreiche Zusatztermine nach sich zog. Stand das Unternehmen die ersten Jahre dennoch und trotz Sponsoren aus Wirtschaft und Freundeskreis noch auf wackeligen finanziellen Beinen, so hat die Auszeichnung Eric Gauthiers mit dem Deutschen Tanzpreis 2011 offensichtlich auch die Politik hellhörig gemacht, mit der Folge, dass sich die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg einmütig zur fixen Förderung dieser Institution entschlossen haben. Dadurch konnte das Ensemble nun auf 12 Tänzer erweitert und eine Basis geschaffen werden, die Planungssicherheit für die kommenden Jahre gewährleistet. Dazu gehören nicht nur die Weiterführung der regelmäßigen Gastspiele beim Grand Theatre de Luxembourg und an der Schauburg München sowie das soziale Engagement in Form von Vorstellungen in Krankenhäusern und Altenheimen, sondern auch die Verpflichtung von namhaften Choreographen, die auch zum künstlerischen Ansehen beitragen. Nicht zuletzt beweist sich dadurch auch die Qualität der von Gauthier nach ganz individuellen Kriterien ausgesuchten Tänzer. Das Jubiläums-Programm mit acht ausverkauften Abenden
bestätigte aufs Neue die Stärke dieser Persönlichkeiten aus bewusst vielen Kulturen.
Nach dem Einmarsch auf dem extra vor die Bühne gespannten roten Teppich gab es im ersten Teil einen Rückblick auf herausragende und die Vielfalt des Repertoires zeigende Kreationen. Einem Ausschnitt aus „BALL PASSING“ von Charles Moulton, einem konzentrationsfördernden Geschicklichkeitsspiel von vier Mitwirkenden, die sich über kreuz und quer, von oben nach unten und umgekehrt Bälle reichen, folgte mit dem „SOFA“ von Itzik Galili der Humor-Knüller schlechthin – mit Gauthier selbst, Marianne Illig und William Moragas als jede Pointe dieser bi-sexuellen Konfrontationen auskostender Volltreffer-Besetzung. Gauthiers neueste Choreographie „TAIKO“ setzt mit seinem von drei Solisten an aufgehängten Trommeln entfachten Schlaggewitter auf die Urgewalt von Rhythmik. Ulms Ballettdirektor Roberto Scafati schuf dem Ensemble zum Jubiläum mit „FREISTOSS“ ein Fußball-Tanztheater, in dem die Aktionen, Gedanken und Gefühle des Schiedsrichters und gegnerischer Spieler rund um einen solchen Titel-Moment in Zeitlupen-Manier mit minimalistischen Tanz-Mustern und köstlicher Mimik wie unterm Vergrößerungsglas entfaltet werden – ein origineller Spaß.
Ein Solo Neros sowie ein rund um und auf einem Tisch entwickeltes Ensemble aus „POPPPEA/POPPEA“ erinnerte an den erst wenige Tage zuvor beim Stuttgarter Ballett verabschiedeten Christian Spuck, der Gauthier Dance im Vorfeld der Gründung entscheidenden Boden bereitet hat und für
dieses Stück den Deutschen Tanzpreis „Faust“ gewonnen hatte. Ein Beispiel, an der vor allem auch das technisch hohe Rüstzeug des Ensembles abgelesen werden kann. Als Geburtstagsüberraschung wurde dieser Programmteil mit zusammengestellten Film-Ausschnitten garniert, die erstmals Einblick hinter die Kulissen der Kompanie gewährte: das erste Vortanzen, der Einzug ins neue Studio, die Gastspielstätten in Luxembourg und München und als besonderen Gag zur Eröffnung der auf rotem Teppich mit Autogramme verlangendem Live-Publikum inszenierte Einzug der Tänzer ins Theaterhaus.
Den Höhepunkt des Abends brachte der zweite Teil: Mauro Bigonzettis 2001 durch die Begegnung mit der süditalienischen Volksgruppe Assurd angeregte und entstandene „CANTATA“ – ein Fest des Tanzes und des Lebens mit allen seinen täglichen Situationen.
Wer das Stück beim Gastspiel von Bigonzettis einst geleitetem Aterballetto in Baden-Baden erlebt hat, konnte sicher sein, dass es auch zur Struktur von Gauthier Dance gut passen und große Begeisterung auslösen würde. Wie hier originale Volksmusik aus dem äußersten Süden Italiens mit den einfachen Mitteln von vier weiblichen Gesangsstimmen sowie Akkordeon, Maultrommel und Kastagnetten zur Quelle, zum Anreiz für tänzerische Bewegung wird, zieht das Publikum spürbar in seinen Bann. Die unterschiedlichsten Stimmungen von fröhlicher Ausgelassenheit und Liebesglück bis zur beängstigenden Aggression evozieren bei den Tänzern in ihren erdfarbenen Kostümen ( Helena de Medeiros ) eine Fülle an körperlichen Einsätzen, wobei das offen getragene Haar der Frauen so richtig durcheinander gewirbelt wird und im Rhythmus mitschwingt. Höhepunkte für den
Ballett-Liebhaber ereignen sich in den Pas de deux-Begegnungen, wo Bigonzetti seine typischen Balance-Akte verschobener Körper-Schwerpunkte mit einer Prise Erotik auflädt. Generell fasziniert das komplette Stück durch das Aufeinandertreffen von volksnahem Charakter und höchstetechnische Anforderungen stellender Tanzkunst. Spätestens hier, wo der künstlerische Standard von Gauthier Dance ganzheitlich erkennbar ist, sind auch die bislang noch nicht genannten Mitglieder zu nennen: Armando Braswell, Anneleen Dedroog, Florian Lochner, Garazi Perez Oloriz, Rosario Guerra, Anna Süheyla Harms, Leander Veizi, als neu zur Kompanie Gestoßene Maria Prat Balasch und Tars Vandebeek sowie als Gast Bigonzettis choreographische Assistentin Macha Daudel. Ja selbst Companycoach Egon Madsen mit seiner ungebrochenen Präsenz wurde unter leichter konzeptioneller Abwandlung in dieses junge Ensemble integriert, schließlich gehören zur Feier des Lebens Menschen jeden Alters.
Nicht zuletzt trug die live auf der Bühne präsentierte und mitten ins Geschehen integrierte Gruppo Musicale Assurd dazu bei, der Aufführung eine Authenzität mit unwiderstehlicher Stimmung zu geben, weshalb sie zuletzt genauso euphorisch mit anhaltenden stehenden Ovationen gefeiert wurde. Herzlichen Glückwunsch und auf die nächsten vier Jahre! – genau so viele hat Eric Gauthier, wie er in einer seiner beliebten launigen Ansprachen bekannt gab, den Vertrag mit den Geldgebern verlängert.
Udo Klebes