Stuttgarter Ballett: „LEONCE UND LENA“ 18.11. 2014– Über die Langeweile hinausreichend
Obwohl sich Christian Spucks nach Büchners Lustspiel entworfenes Ballett seit der Wiederaufnahme zu Beginn der Spielzeit als weitgehend ausgereizt präsentierte, vermochte eine neue Besetzung nun doch wieder Wind in die Sache zu bringen, etwas verlagerte Akzente zu setzen.
Neu gekröntes Paar – David Moore (Leonce) und Elizabeth Wisenberg (Lena). Copyright: Stuttgarter Ballett
Am hörbar großen Amusement des Publikums hatte das Corps de ballet in seinen diversen Aufgaben zwischen marionettenhafter Hofgesellschaft und grotesken Bauernpaaren samt bravourös beherrschtem Grimassen-Panoptikum entscheidenden Anteil, weshalb zur Abwechslung mal das Ensemble als erstes gewürdigt werden sollte. Als Hofmeister ist und bleibt Magdalena Dziegielewska der Knaller einer pantomimisch hochbegabten Tänzerin, deren Potential an duckmäuserischem wie auch initiativem Gebaren jedes Mal noch weitere spontane Überraschungen parat hält und damit unerschöpflich zu sein scheint. Mit dem einzigen Nachteil, dass ihre Mitstreiter etwas aus dem Blickfeld geraten.
Nun aber zu den neuen Protagonisten. Seit der jüngst zum Ersten Solisten ernannte David Moore anlässlich seines Albrecht-Debuts in „Giselle“ ein Tor bis zu seinem bis dahin eher verborgenen gebliebenen Darstellungs-Vermögen geöffnet hat, begegnet uns da ein innerhalb kurzer Zeit gereifter, nach außen hin offenerer und mitteilungsfreudigerer Charakter. So schafft er es, die als zentrales Thema des Büchnerstücks zur Schau gestellte Langeweile nicht bei dieser bewenden zu lassen, sondern darüber hinaus in einem durch die leeren Blicke in die Luft scheinenden heiteren Lächeln das Vergnügen daran sichtbar zu machen. Zudem weist sein Tanz, besonders in den vielen Boden bezogenen Sequenzen eine immer rund und geschmeidig bleibende Linie auf. Kurz: er bleibt auch in den moderneren Schrittelementen fließend elegant. Elizabeth Wisenbergs Lena agiert da vorerst in der zweiten Reihe, beeindruckt dann aber im großen Pas de deux, wie sich ihr eher dezentes Schmollen lichtet und erkennbar wird, wie die zu Leonce erwachende Liebe ihrem Leben einen neuen Sinn gibt. Miriam Kacerova ist die weniger komödiantisch sprühende als herzlich natürliche und aufrechte Gouvernante, Özkan Ayik ein Valerio, der in dieser heimlichen Hauptrolle etwas gegen sein Naturell anzukämpfen scheint, sich aber dennoch von seinem aufmunternd choreographierten Part anstecken lässt und sich zu beachtlichen Sprüngen steigert.
Roland Havlica weiß die gefährlichen Längen stummer Szenen, die der Zerstreutheit des Königs eine passende Veranschaulichung geben, gut auszufüllen und mit seiner Solo-Parodie viele Lacher zu ernten. Heather MacIsaac verströmt als puppenhaft angelegte Mätresse Rosetta mit gewitzter Haarschleife unaffektierte Herzigkeit mit Kussmund.
Schmissig, nicht mehr ganz so geschliffen, bisweilen etwas derb oberflächlich, sorgte das Staatsorchester Stuttgart unter James Tuggles strammer Leitung für den musikalischen Rahmen zwischen Ohrwurm-Klassikern und elektronisch verfremdeter Klangwelt. Und die aus dem Kofferradio tönende „little bitty tear“ von Henk Cochran gießt in soviel Lustbarkeit denn doch immer wieder ein paar nachdenklich berührende Tropfen.
Udo Klebes