STUTTGART/ Ballett: „KRABAT“ – Liebe und Mut als Weg zur Freiheit – 3.4.2013
In den Fängen des Meisters: Krabat (Robert Robinson) und sein Meister (Jason Reilly). Foto: Stuttgarter Ballett
Demis Volpis Ballett „Krabat“ nach dem gleichnamigen Roman von Otfried Preussler, sollte vor allem junges Publikum ansprechen, dabei ist jedoch ein Handlungsballett gelungen, das beim Publikum ein „Wowww“-Effekt erzeugen vermag, auch nach mehrmaligem Zusehen. Die tricktechnische Konzeption von Andreas Meinhardt machte es möglich, dass Zaubertricks, die eher aus Filmen bekannt sind, live gezeigt werden können – so etwas gab es auf Stuttgarts Ballettbühne noch nie. Die (schwarze) Magie, die die Mühlgesellen in der Schwarzen Mühle erlernen sowie deren Faszination, können somit dem Publikum direkt vermittelt werden, was sicher zum besseren Verständnis des Stückes beiträgt. „Krabat“ ist jedoch ein Gesamtkunstwerk, das dadurch nur noch intensiver wirkt und dessen Bilder und Stimmungen einen länger nicht mehr loslassen.
Bereits in der ersten Szene, in der Krabat in die Mühle aufgenommen und der furchteinflößende Einfluss des Meisters sichtbar wird – durch Krabats ruckartigen, gebrochenen Bewegungen und das schlangenartige tanzen des Meisters um ihn herum -bekommt das Publikum das erste prägende Bild vermittelt, das sich zu Beginn aller drei Akte (die jeweils für die Jahre in der Mühle stehen) wiederholt, denn jedes Jahr wird ein neuer Geselle aufgenommen und das Mühlrad dreht sich anscheinend ewig weiter. Dies ist auch gleich das zentrale Thema des Stückes: bleiben die Gesellen und Krabat in den Fängen des Meisters und sehen weiterhin zu, wie jedes Jahr einer von ihnen dem Gevatter geopfert wird, oder gibt es einen Weg, dem zu entkommen?
Die Bewegungssprache, die Volpi in seinem ersten Handlungsballett einsetzt, kann mit der komprimierten Sprache aus Preusslers Roman verglichen werden: mit wenigen, teils minimalistischen Bewegungen, manchmal nur mit Gesten oder Blicke, werden ganze Bilder und Stimmungen erzeugt. Es ist keine neue Bewegungssprache, auch nicht die der vielfach Pirouetten oder der hohen Sprünge, neu sind jedoch der Einsatz dieser und die Verlagerung auf die Intensität der Ausführung, die hier umso wichtiger wird und dadurch dennoch alle Solisten fordert. Das vielleicht beste Beispiel dafür ist die Rolle des Gevatters, der aus glühendem Feuer aufsteigt, und dem Alessandra Tognoloni mit um sich selbst umschlungenen Armbewegungen und vor allem durch die immer wieder kreisenden und sich spreizenden Hände, die wie Krallen wirken, schaurige Gestalt gibt, vor der sogar der Meister selbst sich fürchtet. Letzter wird nicht weniger dämonisch von Jason Reilly dargestellt, der kahlköpfig, mit Augenklappe und schwarz/grau gestreiftem Mantel, mit viel Gefühl für seinen Charakter agiert und sowohl der dunklen Macht als auch der Anziehungskraft, die von dieser ausgeht, Ausdruck verleiht, um in Anwesenheit des Gevatters jedoch ähnlich wie die Gesellen Angst zu zeigen.
Einen etwas unglücklichen Auftritt hatte an diesem Abend Rachele Buriassi als Pumphutt, die trotz nun etwas vereinfachter Choreographie zu schwerfällig und langsam in der hier spritzig-akrobatischen Schrittfolge wirkt und so als Zauberer, der den Meister im Kampf bravourös besiegt, nicht ganz überzeugen kann. Matteo Crockard-Villa zeigt einen etwas zurückhaltenden und teils verlorenen Tonda, im Gegensatz zu seiner Partnerin Oihane Herrero, die vor allem im Liebes-Pas de Deux mehr Leidenschaft und Wärme vermitteln kann.
Myriam Simon interpretiert auf berührende Art die Rolle der Kantorka, vom nur durch ihre Stimme auffallenden Mädchen (an dieser Stelle sei noch die eindrucksvolle, ins Sorbische übersetzte Version des Volksliedes „Die Gedanken sind frei“ erwähnt), verzaubert sie als Wesen von einer anderen Welt in Krabats Traum, um dann durch ihre Liebe gestärkt, mutig dem Meister entgegenzutreten und Krabats Freiheit zu erbitten. Zurückhaltend und doch bestimmt widersetzt sie sich dem Meister, besteht so die ihr gestellte Prüfung, wodurch die Macht des Meisters gebrochen wird und Krabat sowie die anderen Gesellen frei werden.
In der Hauptrolle des Abends überraschte Robert Robinson in seiner ersten großen Rolle und interpretierte Krabat auf eine Art und Weise die der Erstbesetzung um nichts nachsteht. Er scheint die gesamte Entwicklung des Krabat mit all’ ihren Facetten begriffen zu haben und bringt diese auch entsprechend zum Ausdruck. Der unschuldige, naive Junge der sich anfangs freiwillig dem Meister unterordnet interpretiert er mit schüchtern-zurückhaltenden Bewegungen, während ihm Verzweiflung und Ohnmacht ins Gesicht geschrieben stehen, als er nach der gescheiterten Flucht erkennt, dass er Gefangener des Meisters ist. Die Entscheidung, nicht mehr wegzuschauen und einzugreifen, wenn Unrecht geschieht, ist bei ihm klar sichtbar in der Szene, in der er versucht Merten nach dessen Fluchtversuch zu helfen: bestimmt tritt er dem Meister entgegen und zeigt dadurch seinen Widerstand. Am meisten überzeugt Robinson jedoch in anschließendem Solo, in dem er Krabats innerer Kampf darstellt, an dessen Ende Krabat schließlich zu sich selbst findet und das Angebot des Meisters, die Herrschaft über die Mühle zu übernehmen, ablehnt.
Die anschließende Befreiung durch die Kantorka, die nur durch die bedingungs- und selbstlose Liebe zwischen ihr und Krabat möglich ist, zusammen mit dem Mut, nicht mehr wegzuschauen, sind die Antwort auf die zentrale Frage des Stückes. Eindrucksvoll schreiten die beiden zum Schluss über die zusammengebrochenen Wände der Mühle in die Freiheit.
Freiheit durch Mut und Liebe: Krabat (Robert Robinson) und die Kantorka (Myriam Simon). Foto: Stuttgarter Ballett
Verstärkt wurde die Wirkung durch das Staatsorchester Stuttgart, das unter der Leitung von James Tuggle durch den Abend begleitete.
Doch wohin gehen Krabat und die Kantorka zum Schluss und was bedeutet Freiheit? Diese Frage hat sich auch Demis Volpi gestellt: „Mein Traum wäre es, wenn es gelingen würde, dass sich nach jeder Vorstellung mindestens ein Zuschauer diese Frage stellt. Egal ob alt oder jung. Vielleicht nimmt sich dieser Zuschauer sogar vor, genauer hinzuschauen, um zu versuchen, diese fast unsichtbare Grenze zwischen Freiheit und Unfreiheit zu erkennen. Wer nicht hinschaut, kann nichts sehen.“ Wie wahr!
Dana Marta