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STUTTGART: Zwei weitere „Eclat“-Konzerte beim Festival „Eclat“/STUTTGART

08.02.2021 | Konzert/Liederabende

Stream: Zwei weitere „Eclat“-Konzerte am 6. und 7. 2. 2021 beim Festival „Eclat“/STUTTGART

Geisterhafte Klangwelt

 Zwei weitere höchst interessante Konzerte waren am Wochenende per Stream beim „Eclat“-Festival zu hören. „Der Sandmann“ für Stimmen von Günter Steinke faszinierte in der konzentrierten Interpretation des „ensemble ascolta“ unter der Leitung von Nicholas Kok, denn hier wird der Text von E.T.A. Hoffmanns Nachtstück „Der Sandmann“ durch den Erzähler Gerhard Mohr in raffinierter Weise in das musikalische Geschehen eingebaut. Die ton- und geräuschhafte Klangwelt passt sehr gut zum Text. Da werden die Erlebnisse des unglücklichen Studenten Nathanael mit dem abscheulichen Advokaten Coppelius geschildert, der als „Sandmann“ sein Unwesen treibt: „Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschütz losgefeuert würde…“

Tremolo-, Triller- und Glissandopassagen verdeutlichen hier in geradezu frappierender Weise das gespenstische Geschehen um den Tod des Vaters und die Begegnung Nathanaels mit der leblosen Puppe Olimpia. Der Text wird aber nicht zu Ende erzählt, sondern bricht plötzlich ab.

Nach diesem Konzert aus dem Theaerhaus in Stuttgart wurde noch ein Live-Stream aus der Berliner Philharmonie gesendet, den die Neuen Vocalsolisten zusammen mit dem Klangforum Wien unter der Leitung von Emilio Pomarico Ende des letzten Jahres präsentierten. Gespielt wurde das Stück „Der Lauf des Lebens“ von Georges Aperghis für Stimmen und Instrumentalensemble (2019/20). Der Komponist nutzt hier die Möglichkeiten beider Klangkörper in einer äusserst transparenten Weise aus. Dynamische Spannungen zwischen einzelnen Ensemblemitgliedern und Gruppen sowie Paaren und Konkurrenten werden in rasanter, schroffer und intensiver Weise ausgelotet. Erst gegen Ende kommt das Ensemble in einer Art Morendo-Klang zur Ruhe – ein allmählicher Gesundungsprozess. Glissando-Passagen, chromatische Auf- und Abgänge und abrupte Staccato-Akzente unterstreichen die Text-Passagen: „Es ist ein Spiel, bei dem man nie gewinnt.“ Auf der Straße begegnet man als Hörer hier geheimnisvoll wandelnden Gruppen. Weggabelungen, Partys und die Wahrnehmung der Welt als „großer Kugel“ werden durch Passagen von Goethes „Hexeneinmaleins“ aus „Faust I“ ergänzt und akustisch erweitert. Eine enorme Fülle von Schriften und Bildern blenden dabei den Hörer. Dadurch werden neue Techniken erfunden, deren Vertiefung immer wieder neue Variationen erfährt.

Durch ein Netz von Klang-Produktionstechniken werden die Grenzen der performativen Kunst frontal aufgestoßen, die Metaphorik des reinen Klangs triumphiert. Man spürt, wie der elektrisierende Rhythmus den Tönen selbst innewohnt. Zwischen Klangblöcken blitzen immer wieder kontrastierende Tempi auf, kurze Artikulation und gehaltene Töne verstärken die Spannungsgrade der Harmonik ganz erheblich. Diese beiden herausragenden Stücke offenbarten in diesem Jahr die besondere Qualität des „Eclat“-Festivals. 

Alexander Walther    

 

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