Stuttgarter Ballett: „TANZ // TOENE“ 5.3. – Das Besetzungsrad dreht sich weiter
Bolero: Vereint Kraft und Sensibilität – Jason Reilly. Copyright: Stuttgarter Ballett
Wie ein Guru beschwört Jason Reilly in Maurice Béjarts „BOLERO“ die ihn umringende 40köpfige Herren-Rhythmusgruppe, hypnotisiert das Publikum mit der hochkonzentrierten Art, die beständig neue Farben gewinnende Melodie von Ravels Musik in einer Spannung erzeugenden Mischung aus wilder Äußerlichkeit und sensibel mitschwingender Musikalität aufzugreifen. Zwischendurch lässt die Konsequenz der Bewegungen etwas nach, wird die durchgehende Linie etwas verwischt, doch zur Schluss-Steigerung hin bricht die Kraft seines außergewöhnlich muskulösen Körpers voll durch und gibt der finalen Ekstase alles was sie an mitreißend entfesselter Energie benötigt. Eine gewisse Uneinheitlichkeit des Stils wird bei ihm durch gewichtige maskuline Ausstrahlung voll aufgefangen. Eine wertvolle Interpretations-Variante, die entsprechende Begeisterung auslöste.
Auch in den beiden anderen Stücken waren die Besetzungs-Alternativen bisher noch nicht erschöpft, so dass weitere TänzerInnen Gelegenheit hatten sich teilweise sogar in beiden Beiträgen zu präsentieren. Nach Constantine Allen durfte in Pablo von Sternenfels ein weiterer vielversprechender Aufsteiger solistisch auf sich aufmerksam machen. Dem Eleven die Hauptpartie mit dem Eröffnungs-Solo in Edward Clugs „Sssss…“ anzuvertrauen gehört zu jenen durchaus auch Risiko behafteten Personalentscheidungen Reid Andersons, ohne die der beständige Nachwuchs aus den eigenen Reihen keine Chance hätte sich zu bewähren. Wie der Mexikaner mit noch jungenhaftem Gebaren, sich einer jedoch schon sehr konzentriert verinnerlichten Haltung die doch zerrissen neoklassische Sprache dieses Stückes zu eigen macht, verdient große Beachtung, zumal er mit weichem Bewegungsduktus und präziser Linie wichtige Parameter beherrscht. Im Vergleich dazu stehen die weitaus erfahreneren Kollegen Roland Havlica und Özkan Ayik gar etwas routiniert zurück. Elisa Badenes ist in allem was sie macht ein Gewinn, natürliche Ausstrahlung und höchste Kunst bilden bei ihr eine unwiderstehliche Vereinigung, neben der die keineswegs weniger engagierte und mit viel Dynamik überzeugende Miriam Kacerova und Alessandra Tognoloni doch etwas das Nachsehen habe. Zum verschlungenen Schrittmaterial der Choreographie bildeten die diesmal von David Diamond leicht hingeperlten fünf Chopin-Préludes einen wiederum reizvollen Kontrast.
Slice to sharp: Lebensfreudig virtuos – Daniel Camargo und Katarzyna Kozielska. Foto: Stuttgarter Ballett
Eine scheinbar unerschöpfliche Entdeckungsreise an unvorhergesehenen choreographischen Wendungen bildete auch diesmal Jorma Elos „SLICE TO SHARP“ zu den ordentlich motivierenden Violinkonzert-/Sonatenklängen von Vivaldi und Biber. Jeder im Ensemble kann sich glücklich schätzen, dieses Stück mit seiner überrumpelnden Lebensfreude, unterbrochen von zwei nachsinnenden Abschnitten, ausfüllen zu dürfen. Gleich sechs der acht Parts waren diesmal erneut umbesetzt, allen voran Daniel Camargo mit seiner auch hier verblüffenden Sprung- und Dreh-Effektivität und versprühten Lust, zu der Friedemann Vogel im Vergleich einen ernsteren Kontrast mit von ihm gewohnt fließender Linie und weicher Körpersprache setzte. Roman Novitzky liegt stimmungsmäßig dazwischen und punktet mit sauberer Technik. Neben den beiden schon mit dem Stück vertrauten Solisten Myriam Simon und Filip Barankiewicz fühlten sich auch die neu hinzugekommenen Gruppentänzerinnen Rocio Aleman und Ami Morita sichtbar wohl, virtuose Neoklassik mit Lust und Sinnenfreudigkeit zu verbinden. Und Halbsolistin Katarzyna Kozielska sorgt als quecksilbrig charmante Ballerina für einen extra Schuss Komödiantik.
Begeisterung nicht nur für die Tänzer, sondern auch für die beiden Solo-Violinisten Jewgenj Schuk und Gustavo Surgik, die animiert begleitet vom Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Wolfgang Heinz den Abend auch zu einem Hörerlebnis machten.
Udo Klebes