Staatsoper Stuttgart: „ARIADNE AUF NAXOS“ 11.4.2021 (Forum Ludwigsburg) – konzertante Aufführung im Rahmen eines Tages über die Entstehungszeit mit vorangestellter Orchestersuite über „Der Bürger als Edelmann“
Cornelius Meister, Martin Gantner, Harald Schmidt.
Nach mehreren streams von aufgezeichneten Aufführungen aus dem Repertoire ließ die Stuttgarter Staatsoper nun erfreulicherweise wieder mit einer Live-Aktivität von sich hören. Strauss/Hofmannsthals ja bekanntlich zur Eröffnung der damals größten Theateranlage Europas, den Württembergischen Staatstheatern, uraufgeführte Ariadne wurde gar zu einem Themen-Tag gemacht, in dem sich alles um diese Örtlichkeit und die Entstehung des Werkes drehte. Zum einen gab es eine Dokumentation über dieses Bauvorhaben, dessen Situation mit der Überbrückung des 1902 abgebrannten Alten Hoftheaters durch einen Interimsbau bis zur 10 Jahre später erfolgten Eröffnung des Max Littmann-Baues der aktuellen Lage, der Planung einer Übergangs-Spielstätte für den Spielbetrieb während der Sanierung des alten Opernhauses, gar nicht so unähnlich ist.
Wie es u.a. zur Weltpremiere der Ariadne in Stuttgart kam, erläuterte Schauspieler und Showmaster Harald Schmidt in ausschnittsweisen Lesungen des berühmten Autorengespanns. Konsequent wäre natürlich eine Einstudierung dieser Urfassung mit vorangestellter Komödie „DER BÜRGER ALS EDELMANN“ gewesen, so wie es vor einigen Jahren bei den Salzburger Festspielen zu erleben war. Doch immerhin scheute sich GMD Cornelius Meister nicht, der Aufführung der Oper in der 1916 in Wien uraufgeführten überarbeiteten Fassung jene Orchestersuite aus der nach Molière erstellten Bühnenmusik voranzustellen, die Richard Strauss als Dirigent selbst 1920 in Wien zum ersten Mal präsentiert hatte.
Meister leitete diese 9teilige Suite wie auch die nachfolgende Oper (und all die unter Corona-Bedingungen stattgefundenen Konzerte) auswendig ohne Partitur, was ihm eine optimale Hingabe und Widmung den Musikern ermöglicht. Und so konnte sich die gut halbstündige, auch für rund 40 Musiker konzipierte Komposition in all ihrem Detailreichtum entfalten. Bereits in der Ouvertüre wird thematisch zur Oper Bezug genommen, die Fechtmeister artikulieren durch forsche Blech-Einwürfe ihre Kampfansage. Leicht tänzerisch mit wiegender Solo-Violine kommen die Schneider daher, stimmungsvoll breiten die drei nachfolgenden an Lully gemahnenden Abschnitte barocke Atmosphäre aus; der Auftritt Cleontes ist durch friedlichen Serenaden-Charakter mit feierlicher Steigerung gekennzeichnet. Im finalen Diner begegnen sich übermütige Holzbläser und signalartig eingesetzte Trompeten, das Thema des Tanzmeisters aus dem Ariadne-Vorspiel lässt grüßen, zuletzt entsteht unter dem liebevoll und doch bestimmt Zeichen setzenden Dirigat Meisters ein mitreißendes rhythmisches Fest in der opulenten Klanggestalt der nach einer Pause folgenden kompletten Oper.
Da eine konzertante Aufführung ohnehin als Gastspiel im Forum Ludwigsburg geplant war und die dortigen Probenbedingungen in der aktuellen Lage geeigneter sind, entstand dieser Live stream leider nicht am Uraufführungsort, sondern einige Kilometer vor den Toren Stuttgarts. Für die Aufführung selbst spielte dies keine Rolle, das für unterschiedlichste Veranstaltungsformate technisch sehr flexible Kunstzentrum Ludwigsburg am Rande des Schlossparks bot dem Projekt eine optimale Bühne. Die SängerInnen waren nicht auf den schmalen Grat vor dem Orchester gezwängt, sie konnten sich vielmehr auf einer leicht erhöhten Fläche hinter dem Orchester auch spielerisch entfalten und mußten sich nicht nur auf Gesten und Blicke zu den Mitakteuren konzentrieren. Was dabei in üblicher Konzertkleidung vermittelt wurde, war mehr an inhaltlicher Darstellung als in so mancher Inszenierung.
Die Besetzung vereinte zum überwiegenden Teil das Ensemble der letzten szenischen Vorstellungen im Juni 2019. Ausnahmen bildeten die Interpreten des Komponisten, Bacchus, des Musiklehrers und des Tanzmeisters. Äußerst erfreulich fiel dabei die Wiederbegegnung mit dem einstigen Ensemble-Mitglied Claudia Mahnke aus, stattete sie doch mit ihrem expansiv und locker die Register verbindenden Mezzosopran den empfindsamen Tonsetzer sowohl mit dem passenden stürmischen Überschwang als auch mit der gebotenen lyrischen Sensibilität aus. Die Stimme hat an Fülle und Kraft hinzugewonnen ohne die Flexibilität für dynamische Feinheiten zu verlieren.
Vor allem an letzterem mangelte es dem kurzfristig eingesprungenen Stefan Vinke erheblich. So imposant seine Mühelosigkeit mit der hoch notierten Partie des Bacchus auf der einen Seite Bewunderung zu wecken vermochte, wo manch anderer zu kämpfen hat, so gewöhnungsbedürftig blieb sein durchgehender Forte-Einsatz, wo wir von einigen leichter grundierten Fachkollegen wissen, wie kultiviert nuanciert und damit auch ein Stück weit verführerisch Bacchus Ariadne ins „Drüben“ mitzunehmen vermag. Dafür fehlt es Vinke leider auch an einem attraktiveren Timbre.
Beate Ritter (Zerbinetta) mit ihren Komödianten. Copyright: Staatsoper Stuttgart
Simone Schneider bekräftigte in der Titelrolle ihren inzwischen erworbenen Status als Strauss-Interpretin erneut mit ihrem sowohl ausdrucksintensiven wie klanglich üppigen, rundum gefestigten Sopran. Beate Ritter wiederum (ver)führte als Zerbinetta mit allen Künsten einer außerordentlichen Koloratur-Sopranistin, angefangen beim leichten, spielerisch beweglichen Tonansatz über pure Freude am Spinnen der vertracktesten Verzierungen bis hin zu einer bei ihr selbst in Extremhöhen noch wie selbstverständlich schwebend zündenden Führung. Es muss nicht unbedingt ein neuer Gott sein, der uns stumm macht. Ritters Einsatz in Verbindung mit sichtbarer Freude am Komödiantischen tat dies auch.
In Pavel Konik (Harlekin), Heinz Göhrig (Scaramuccio), David Steffens (Truffaldino) und Torsten Hofmann (Brighella) hatte sie ein vokal homogenes, charakterlich äußerst diverses Quartett, das sie genüsslich um den Finger wickeln konnte.
Sehr ausgewogen im Zusammenklang wie auch einzeln präsentierten sich die Nymphen Josefin Feiler (Najade), Ida Ränzlöv (Dryade) und Carina Schmieger (Echo).
Im Vorspiel bildete Martin Gantners in plastischer Artikulation und heller Bariton-Sonorität als rhetorisch genauer Musiklehrer die dominierende Persönlichkeit. Manuel Günther vertrat indes als hoffnungsvoller Nachwuchs-Tenor die Ansichten des kritischen Tanzmeisters mit Leichtigkeit und animierender Frische. Den Haushofmeister gab wieder Harald Schmidt mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Süffisanz. In den Kleinstrollen ergänzten Gerard Farreras als Lakai, Philipp Nicklaus als Offizier und Elliott Carlton Hines als Perückenmacher.
Bei Cornelius Meister ist die Musik als Herzensangelegenheit durchgehend zu spüren, was sich entsprechend auf die MusikerInnen des Staatsorchesters Stuttgart überträgt und Strauss hier so kammermusikalisch transparente und sich an Höhepunkten raumfüllend verdichtende Musik in all ihrer Lust an instrumentalen Klangwirkungen erleben lässt- auch am heimischen Bildschirm. Die vielen kleinen Formen und Details des Vorspiels kommen dabei genauso zum Tragen wie die großflächigeren melodischen Gespinste der Oper. Bei einer so magischen gelingenden finalen Verwandlung stellt sich Ariadnes Frage, wie ihr rettender Gott dies schafft, genauso an den Dirigenten wie natürlich ohnehin an Richard Strauss. Dessen Instrumentierungskunst ist immer wieder ein Ereignis. Besonders wenn sie Dirigent und Orchester so auszuschöpfen wissen, wie hier geschehen. So schade, dass die Publikumsbegeisterung hinzugedacht werden musste.
Udo Klebes