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STUTTGART/ Staatsoper: ERDBEBEN. TRÄUME von Toshio Hosokawa

Fotografische Trümmerlandschaften

07.07.2018 | Oper


Copyright: A.T.Schaefer

 

 „Erdbeben.Träume“ von Toshio Hosokawa in der Staatsoper Stuttgartam 6. Juli 2018

FOTOGRAFISCHE TRÜMMERLANDSCHAFTEN

Asiatische und europäische Traditionen werden in der subtilen Musik des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa verbunden. Seine Oper „Erdbeben.Träume“ basiert auf Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben in Chili“. Hier verhindert ein Erdbeben zunächst eine Hinrichtung und einen Selbstmordversuch. Und die Gewalt der Natur und des Menschen tritt drohend zutage. Das ist die zentrale Aussage der schroffen und bewusst schockierenden Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito (Bühne und Kostüme: Anna Viebrock). Der bekannte Erzähler Marcel Beyer hat das Libretto geschrieben. Die Katastrophen einer bösen Welt spiegeln sich in einem schroffen Gemäuer wider, wobei auch die Wunde eines ganzen Landes im Mittelpunkt steht. Jossi Wieler und Sergio Morabito beschreiben aber auch die gebrechliche Einrichtung der Welt. Zugleich spielt der Chor eine große Rolle. Trümmerlandschaften werden fotografisch in suggestiver Weise dokumentiert. Jeronimo und Josephe verbindet dabei eine Standesgrenzen überschreitende Liebe. Die ins Kloster gesperrt Josephe bringt ein gemeinsames Kind zur Welt – und aus Verzweiflung will sich Jeronimo in seinem Gefängnis erhängen.


Esther Dierkes, Dominic Große. Copyright: A.T.Schaefer

Da setzt das verheerende Erdbeben ein, das in der Inszenierung aber nur angedeutet wird. Im Tal begegnet Jeronimo Josephe wieder, die sich und ihr Baby (den kleinen Philipp) retten konnte. Bei allen Überlebenden hat die Katastrophe eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst – dies gilt auch für Fernando und dessen schwer verletzte Ehefrau Elvire sowie deren Sohn Juan. Zu einer dramatischen Kehrtwende der Handlung kommt es auch bei Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung durch die aufrüttelnde Predigt des Priesters, der die Sittenlosigkeit der Stadt geisselt und das Erdbeben als Strafgericht Gottes bezeichnet. Alle Versuche der beiden Paare, ihre Identität nicht preiszugeben, scheitert. Jeronimo und Josephe werden von der aufgebrachten Menge erschlagen, nachdem bereits Fernandos Schwägerin Constanze vom Mob gelyncht wurde. Einer der beiden Säuglinge wird am Kirchenpfeiler zerschmettert. Fernando und Elvire beschließen dann, das überlebende Kind Philipp zu adoptieren. Rhythmische und gestische Momente spielen bei dieser aufwühlenden Vorstellung eine große Rolle. So wird Philipp als Sohn von Josephe und Jeronimo von der japanischen Schauspielerin Sachiko Hara verkörpert, die die Welt mit rudernden Armbewegungen aus den Angeln zu heben scheint. Sylvain Cambreling gelingt es zusammen mit dem exzellent musizierenden Staatsorchester Stuttgart, bestimmten Klängen konzentriert zu lauschen – genau so, wie es die Intention des Komponisten Toshio Hosokawa ist. Tremolo-Bewegungen der Streicher betonen die unruhigen und bedrohlichen Elemente der Handlung, der Chor bäumt sich zu gewaltigen vokalen Entladungen geradezu auf. Glissando-Sequenzen und Ostinato-Passagen verdichten sich zuweilen zu einem betörenden Klangtumult, dessen Intensität nicht nachlässt. Der Wirkung dieses zuweilen monumentalen Klangtunnels mit seinen scharfen Blechbläser-Attacken kann man sich nur schwer entziehen. Da meint man sogar die Posaunen des Jüngsten Gerichts zu hören.


Esther Dierkes, Dominic Große, Sachiko Hara. Foto: A.T.Schaefer

Der von Christoph Heil in hervorragender Weise einstudierte Chor und Kinderchor der Staatsoper besitzt eine große Klangmagie, die das Unbewusste einer Masse ausdrückt. Die Figuren agieren wie in Trance zwischen Traum und Wirklichkeit. Das reiche Klangspektrum der Partitur wird auch von den Sängern in vorzüglicher Weise ausgekostet – so von Esther Dierkes (Sopran) als Josephe ebenso wie von Dominic Große (Bariton) als Jeronimo, die ihren weit ausladenden Kantilenen immer wieder breiten Raum geben. Auch die unterschiedlichen harmonischen Welten werden von den Sängern gut betont. Sophie Marilley (Mezzosopran) als Elvire und Andre Morsch (Bariton) als Fernando erscheinen musikalisch in Tritonus- und Septimen-Form. Die reine Quinte mit dem wiederkehrenden Glissando zum d zeigt sich dann bei Jeronimo und Josephe. Am Ende der Traumhandlung übernehmen Elvire und Fernando die Quinte des verstorbenen Paares mit der Bewegung nach d-Moll. Asiatische Perkussionsinstrumente verstärken hier die Eindrücke des Artifiziellen. Die Diskrepanz zwischen der Vokallinie und der rhythmischen Verschiebung wird ebenso von den weiteren Sängern Josefin Feiler (Sopran) als Constanze, Thorsten Hofmann (Tenor) als Pedrillo sowie von Benjamin Williamson (Countertenor) als Anführer der sadistischen Knaben stilvoll gestaltet und herausgearbeitet. Chromatische Linien und langsame Wellenbewegungen scheinen sich von den Bläsern auf die Singstimmen zu übertragen. Da gibt es viele statische Momente, manchmal ist aber auch alles im Fluss. Diese Balance hat Sylvain Cambreling sehr überzeugend im Griff. Dass Hosokawa eine modale Musik komponiert, die mehrere Schichten wie Wasser, Wind und Granit übereinanderlegt, macht Cambreling mit dem Staatsorchester ebenfalls plastisch deutlich. Einflüsse von Cage und Xenakis lassen sich ganz versteckt heraushören. Als erster Knabe war Lenny Bäuerle und als zweiter Knabe Luca Eschgfäller zu hören. Es gab viel Publikumszustimmung und echte Begeisterung für diese Aufführung. 

Alexander Walther

 

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