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STUTTGART/ Staatsoper: DIE VERURTEILUNG DES LUKULLUS – Divergenzen zwischen strenger Musik und überfrachteter Szene

02.11.2021 | Oper international

Staatsoper Stuttgart

„DIE VERURTEILUNG DES LUKULLUS“ 1.11.2021 (Premiere) – Divergenzen zwischen strenger Musik und überfrachteter Szene

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Gerhard Siegel, Simon Bailey. Foto: Martin Sigmund

Die erste Premiere seit eindreiviertel Jahren mit voller Besetzung und vor komplett belegbarem Zuschauerraum sorgte – obwohl es um alles andere als einen Kassenschlager ging – für einen überraschenden Ansturm an der Abendkasse, der (so Operndirektor Victor Schoner bei seiner Begrüßung) neben den in diesem Umfang noch nicht erprobten 3G-Kontrollen  eine Verzögerung des Aufführungsbeginns um eine Viertelstunde mit sich brachte.

Nun denn, ein prallvolles Haus für ein Stück mit riesigem personellem Aufwand. Paul Dessau hatte die trotz aller Anti-Argumente schlicht als Oper bezeichnete Vertonung des 1939 von Bertolt Brecht im dänischen Exil entworfenen Radiostücks nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil geschaffen und mit der Uraufführung im Berliner Admiralspalast 1951 für eine bewegte politische Debatte gesorgt. Mit der Folge, dass er sein Oeuvre mehrfach umarbeiten musste. So kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte dieser Anti-Kriegsstoff natürlich eine noch ganz andere Sprengkraft als heute. Und doch liegt die Crux des 100 Minuten-Werkes in der Zeitlosigkeit der Frage nach Gerechtigkeit zwischen glorifizierten Machthabern und geschundenem unterdrücktem Volk. Den Stil des epischen Lehrtheaters hat der Komponist vom Vorlage-Lieferanten übernommen und die Texte mehr in der Form eines szenischen Oratoriums als einer Dialog-Oper belassen, wobei die Blechbläser- und Schlagwerk-lastige Musik die doch so wichtige Wort-Verständlichkeit nicht gerade fördert. Vor allem tiefere Stimmen und Chorensemble-Einsätze leiden unter der teils grell über den Sprechgesang gelegten Instrumentierung.

Im Mittelpunkt steht der mehr als Gourmet denn als Staatsmann bekannte Feldherr Lukullus. Mit pompösen Ehren wird er zu Grabe getragen, begleitet vom Geheul des bunt kostümierten Volkes, das durch die anfangs noch geöffneten Saaltüren im Foyer zu sehen ist und dann mittels einer Live-Kamera bis auf die Bühne verfolgt wird. Damit sind wir bereits beim Kernproblem der Inszenierung, für die das immer wieder anders zusammengesetzte, von Hierarchien befreite Kollektiv Hauen und Stechen verantwortlich zeichnet. Hier sind es Franziska Kronfoth und Julia Lwowski (Regie), Christina Schmitt (Bühne), Yassu Yabara (Kostüme) und Martin Mallon (Video- und Livekamera). Der Name der Vereinigung ist offensichtlich Programm, denn bei der Umsetzung sind sie nicht gerade zimperlich vorgegangen. Fast unaufhörlich ergießt sich eine Bilderflut aus gleichzeitigen Abläufen auf der Bühne und Videoleinwänden, die das direkte Verständnis erschweren und im Prinzip zu viele Sinne anreizen. Genau das hatten die Autoren aber nicht im Sinn. Deren Konzentration auf eine strenge Gerichtsverhandlung im Totenreich, wo Lukullus von verschiedenen Volksvertretern trotz seiner Verdienste, die aber durch viele Leichen blutbesudelt sind, angeklagt und zuletzt ins Nichts verdammt wird, konterkariert das Regie-Ensemble mit ständigen Ablenkungen durch filmische Einblendungen zusätzlicher Bilder oder dessen was sich gerade auf der Hinterbühne abspielt sowie Effekten mit explodierenden Sprengkörpern bis hin zum Mini-Ufo. Der Einsatz dieses Mediums mag als gelegentliche Unterstützung werkdienliche Hilfe leisten, doch in solch einer in letzter Zeit öfter festgestellten Überstrapazierung geraten sie zum alles vereinnahmenden Selbstzweck.

Gut gelungen ist indes die Bühnenausstattung mit einem Grenzzaun samt Wachtturm, dem pompösen Fries des Lukullus, einer steinernen Attrappe oder dem bunt ausgeleuchteten Warteraum zum Totenreich. Auch die vielfältige Gruppen aus dem Volk verschiedener Epochen andeutenden Kostüme mit zahlreichen Kopfbedeckungen bis hin zur richterlichen Perücke sowie die Zeichnung der einzelnen Personen zählen zu den Positiva dieses szenischen Konzepts.

In der Titelrolle gibt der auch Bayreuth erprobte Gerhard Siegel eine trefflich egozentrische  Figur in Generalsuniform ab, karikiert im Operettenstil, aber mit der imposanten und mühelosen  Kraft eines Heldentenors, der hier in dauerhaft unangenehm hoher Lage seine Kommentare heraus stößt. Damit steht er wirklich im Mittelpunkt des ganzen Geschehens. Zahlreich sind die Personen, die ihm auf dem Weg oder im Schattenreich als Zeugen begegnen. Zunächst eine alte Frau, die seine Ungeduld an der Pforte zu mäßigen versucht.und dies in ganz kammermusikalisch liedhaft intimer Form zum Ausdruck bringt. Dabei gab es die überraschende Wiederbegegnung mit der einst international so vielbeschäftigten Sopranistin Cheryl Studer. Die Schönheit und musikalische Präzision ihrer Stimme sind auch im Alter gut hörbar erhalten geblieben.

Unter der Führung des Totenrichters (Simon Bailey mit passend bestimmtem und gut unterfüttertem Bassbariton) treten die Schöffen und von Lukullus als Zeugen benannten und auf seinem Fries abgebildeten Figuren nacheinander in Aktion: Philipp Nicklaus (Lehrer), Heinz Göhrig (Bäcker), Jasper Leever (Bauer), Maria Theresa Ullrich (Fischweib), Deborah Saffery (Kurtisane). Torsten Hofmann erscheint als Koch Lasus gar mit einer Fischattrappe und bringt mit der fast melodischen Schilderung von Lukullus Leibspeisen etwas Ironie ins Spiel. Aus dem Fries begegnen wir Friedemann Röhlig (König), Alina Adamski (Königin), Jorge Ruvalcaba und Gérard Farreras (Zwei Legionäre) sowie Elliott Carlton Hines (Kirschbaumträger). Als Aufruferinnen sind Laia Vallés und Clare Tunney zu hören, als Sprecher des Totengerichts Thorbjörn Björnsson.

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Ensemble. Foto: Martin Sigmund

Dem kommentierenden Volk wie auch den Sklaven geben der Staatsopernchor (Einstudierung: Manuel Pujol) und der Kinderchor des Hauses (Einstudierung: Bernhard Moncado) profilierte und vokal machtvolle Gestalt, ihre gestisch vielfach unterstrichenen Kommentare werden  nur teilweise wie eingangs erwähnt von diatonischen Trompeten- und Posaunen-Fanfaren immer wieder zu sehr zugedeckt. Der Besetzung des Staatsorchesters Stuttgart gilt indes eine besondere Aufmerksamkeit, fehlen doch hohe Streicher komplett. Von den Holzblas-Instrumenten sind nur Flöten, und die teils sehr virtuos zu vernehmen. Dazu gesellen sich ein vielfältiges Schlagwerk-Arsenal nebst einer Pauke, einer Harfe, ein Akkordeon, drei Klaviere (zwei davon mit Reißnägeln präpariert) und als besonderer Ausdrucksträger ein Trautonium. Dieses futuristische, frühe elektronische Instrument mit unheilvollem Klang gibt dem Totengericht ein passend irreales Gewand. Es wird übrigens vom rechten Bühnenrand auf Zuschauerseite bedient und bleibt somit für viele im Blickfeld.

Bernhard Kontarsky, einer der Dirigier-Altmeister der Moderne, hält diesen musikalischen Apparat straff zusammen, wobei die Komposition nie Klangballungen zulässt, vielmehr gegensätzliche Instrumentierungsformen schroff getrennt neben einander stellt, Aggressiv Massives und dezent kammermusikalische Gewebe klar voneinander trennt.

Das Werk wäre es wert, seine konzentrierte gedankliche Seite als Appell der Schaffung einer gerechteren Welt mit weniger technischem Aufwand zu überprüfen. Die Reizüberflutung steht ihm hier doch immer wieder deutlich im Weg.

Die allgemein begeisterte Publikumsreaktion dürfte wohl auch der an diesem Abend wieder gewonnenen Normalität des Opernbetriebs geschuldet sein.                   
Udo Klebes

 

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