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STUTTGART: NORMA

01.12.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Stuttgart: „NORMA“ 30.11. 2012– Unvermindert aufregendes Musiktheater

 


Immer wieder ein Erlebnis:  Catherine Naglestad als Norma, diesmal mit Claudia Mahnke als Adalgisa und Staatsopernchor. Copyright: Martin Sigmund

 Catherine Naglestad als Norma ist immer ein guter Grund für einen Opernbesuch in Stuttgart. So als ob sie auch in dieser 64. Vorstellung von dieser Rolle nie genug bekommen könnte, legt sie sich jedes Mal mit noch einem Quäntchen mehr an totaler Identifikation und jener Mischung aus totaler Verausgabung und gleichzeitig größter Kontrolle und kluger Ökonomie in die zwischen priesterlichen und mütterlichen Aufgaben zerrissene Frontfrau, die eine durchgehende Spannung und bewegende Gefühlsbäder ermöglicht. Ihr dynamischer Radius an Tönen und Färbungen, das bruchlose Anschwellen aus dem Piano zu mitreißend flutenden Höhen in Verbindung mit ihrer darstellerischen Bewegungsgabe fesselt vom ersten Auftritt bis zu ihrem bewegenden Abgang und unterstreicht, welche Sonderstellung diese aus Belcanto und Drama gewürzte Partie im Repertoire einnimmt.

Das noch vorrangigere Argument für einen Besuch dieser Aufführungsserie bildete die Wiederkehr einer der herausragenden Größen des Ensembles unter der Direktion Klaus Zeheleins. Die 2006 zum Ende ihrer 10jährigen Zugehörigkeit noch mit dem Titel einer Kammersängerin ausgezeichnete und seither fest zur Frankfurter Oper gehörende Claudia Mahnke hat das helle klare Timbre, die Leichtigkeit des Tonfalls sowie ihre Register-Flexibilität bewahrt und gestaltet die Rivalin Adalgisa ganz aus dem Geist der Schule des Schöngesangs ohne Zuhilfenahme veristischer Ausdrucksmittel, derer sich in der Vergangenheit dramatische Mezzos immer wieder bedient haben. Durch ihre burschikose Optik und auch in ihrer übergestreiften blonden Wellhaar-Perücke immer noch mädchenhafte Ausstrahlung gelingt es ihr die zudem lebhaft naive und zuletzt auch mitfühlende Novizin glaubhaft und zudem sympathisch zu gestalten. So hebt sie sich passend von der seriöseren und reiferen Norma ab und findet dennoch zur erwünschten vokalen Harmonie in den beiden großen Frauen-Duetten. Eine erfreuliche Wiederbegegnung, der gerne weitere folgen dürften.

Auch wenn Rafael Rojas den Pollione mit etwas brachialem Tonansatz, unnötig strapaziertem Forte und knalligen und ausufernden Höhen angeht (auf Kosten der eher matten und flachen Mittellage und Tiefe), so passt dies genau zur Leichtfertigkeit und dem mangelnden Verständnis des Römers von Liebe und Treue., wie er es in dieser Inszenierung mit einem Hang zum Macho-Getue, aber auch zur unfreiwilligen Komik ausspielen darf.

So wertvoll individuell angelegte Inszenierungen auch sind – die deshalb in Krankheitsfällen erforderliche Aufteilung einer Rolle in einen Sänger und einen Schauspieler ist im Sinne der erwünschten Einheit eines Gesamtkunstwerkes zwiespältig zu betrachten, auch wenn der an diesem Abend Roland Brachts gesangliche Oroveso-Hälfte vom Notenpult am Bühnenrand einnehmende Chinese Wen Wei Zhang mit einem in Anbetracht seiner Jugend schon sehr fülligen, tonschönen und auch im Ausdruck beteiligt wirkenden Bass aufhorchen ließ.

In den wenigen Sätzen, die Ewandro Cruz-Stenzowski als Flavio zum Einsatz kommt, ist bereits deutliches Potential für größere Tenor-Aufgaben zu vernehmen. Mit etwas zaghafter, aber angenehmer Stimme und engagiertem spielerischem Zug erfüllt Regina Friedek-Maciolek die Anforderungen an die Vertraute Clotilde.

Ivan Anguélov führte das Staatsorchester Stuttgart mit viel Liebe am Auskosten der himmlischen Bellini-Eingebungen und an den Höhepunkten temperamentvollem Zugriff zu klanglich warmer Entfaltung und trug die Sänger an heiklen Übergangsstellen unter atemtechnischer Rücksichtnahme auf Händen.

Auch wenn das Konzept der Inszenierung des Hausherrn Jossi Wieler (die Druiden sind hier eine Sekte von französischen Widerstandskämpfern im letzten Krieg und haben ihr Domizil in einem beschädigten Kirchenraum) sich immer noch nicht in allen Punkten erschlosssen hat, so vermögen die durchgehend intensive Personenführung, bei der z.B. jedes einzelne Glied des wiederum faszinierend klangdicht vernehmbaren Staatsopernchores ein für sich geforderter Schauspieler ist, sowie die alles überragende Titelrollensängerin darüber hinwegsehen lassen.

Überdurchschnittlich große Begeisterung für alle und ein Jubel-Orkan für Catherine Naglestad – sogar sonst eher zurückhaltende und brav applaudierende Herrschaften ließen sich zu Ovationen hinreißen.

Udo Klebes

 

 

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