Stuttgart: „NABUCCO“ 1.3. (Premiere 24.2.) – Musikalische Glut und szenischer Leerlauf
Musikalisch stark und szenisch schwach: Catherine Foster (Abigaille) und Sebastian Catana (Nabucco). Copyright: A.T.Schaefer
Wie weit doch theoretische Behauptung und praktische Umsetzung auseinander liegen können, dafür ist diese nun zum Jubiläums-Jahr überfällig gewesene und in Koproduktion mit der Welsh National Opera entstandene Neuinszenierung von Verdis frühem Durchbruchsopus (die letzte liegt bereits 50!! Jahre zurück) leider ein trauriges Beispiel. So weist der 29jährige österreichische Regisseur Rudolf Frey im Programmheft betont darauf hin, dass dieses politisch/religiöse Familiendrama nicht in die eigenen vier Wände verbannt werden dürfe, sondern als große Geschichte erzählt werden muss. Was auf der schwarz umrahmten und von einem extra schwarzen Vorhang mit weißem Streifensaum verschlossenen Bühne ( Ben Baur ) zu sehen ist, kann an geistiger Reduzierung kaum mehr überboten werden. Bereits während der Ouvertüre wäre es sinnvoller die Augen zu schließen und der musikalischen Qualität (davon später) zu folgen, als zuzuschauen, wie die Chormitglieder nach und nach in unmotivierten nervösen Gängen in reichlich amateurhafter Manier die Bühne bevölkern und von der musikalischen Einstimmung ablenken. Die Verlegung der historischen Geschichte in die Gegenwart zeugt – obwohl hier nicht das maßgebliche Defizit – von mangelnder Phantasie, so als ob die hier behandelten Konflikte sonst nicht verstanden werden könnten. Als stärkeres Handicap erweist sich die Kostümierung aus dem Ramschwarenladen ( Silke Willrett, Marc Weeger ), die nicht nur keine Unterscheidung zwischen Hebräern und Babyloniern kennt, sondern teilweise körperlich-figürliche Nachteile noch ausnutzt und z.B. bei den beiden weiblichen Solisten an die Grenze der Würdelosigkeit reicht. Das pinkfarbene Kleidchen für Fenena ist so kurz, dass die schwarzen Netzstrümpfe deren unglückliche Waden-Form noch extra betonen – so etwas darf nicht sein, zumal es zum Charakter der darsgestellten Figur überhaupt nichts beiträgt.
Wenn sich über all diese optischen Peinlichkeiten hinweg eine spannende, das Stück tragende Regie breit machen würde, wäre es immer noch ein halber Gewinn, aber diesbezüglich herrscht der Eindruck, als wäre die mit musikalischer Glut entfachte Handlung völlig emotionslos am Regisseur abgeprallt. Vor allem im ersten Akt herrscht totaler Leerlauf, in seiner Verweigerungshaltung regelrechtes Anti-Theater, wo die Akteure wie unbeteiligt frontal Richtung Publikum stehen. Von der angestrebten Verstrickung des Individuums mit der Masse der Bevölkerung keine Spur. Ab dem zweiten Teil kommt wohl, auch durch den nun mit einem goldenen Glitzer-Vorhang umrahmten Einheitsraum ( die funkelnd verlockende Macht des Königtums) und ein in der Mitte stufenartig erhöhtes Podest mit einem langen Tisch, unter den sich der vom Blitz getroffene Nabucco lächerlicherweise verkriecht, etwas Leben ins Geschehen; eine sichtbare Verdichtung der Konflikte in Verbindung mit einer Profilierung der Personen findet nur ansatzweise statt. Auch da sind es aber teils Verlegenheitslösungen, wenn der Chor z.B. die Cabaletten von Abigaille und Nabucco mit showartigen Bewegungs-Elementen (Choreographie: Beate Vollack ) begleitet oder Arme und Hände zu geometrischen Figuren formt, was unfreiwillige Heiterkeit in einem Stück auslöst, in dem es ganz gewiss nichts zu Lachen gibt. Der Oberpriester des Baal wird als ernstzunehmende Religions-Obrigkeit in seiner Gewandung als magierhafter Zirkusdirektor oder Vorsteher eines halbseidenen Etablissements zusätzlich ad absurdum geführt.
Der vorhandene darstellerische Ansatz könnte ohne weiteres auch der Eigeninvestition der Sänger zuzuschreiben sein. Es drängt sich die Frage auf, was hier in 7!!! Wochen Proben geschehen ist. Dass keiner aus dem Team des Regisseurs oder der sonst vom Haus maßgeblich daran Beteiligten auch aus der Warte des Zuschauerraumes aus gesehen haben will, in welche Sackgasse diese Produktion steuert, erscheint unverständlich. Eine konzertante Aufführung wäre da die bessere zielsicherere und effektivere Lösung gewesen, zumal die musikalische Seite Verdis forderndem Frühwerk mit kleinen Abstrichen gerecht wurde.
Das beginnt schon in der Potpourri-Ouvertüre, wo Giuliano Carella das hörbar zu blutvoller Gestaltung animierte Staatsorchester Stuttgart zu einem idealen Ausgleich zwischen gefühlvoll atmendem Belcanto und nicht zu vordergründiger Banda-Rhythmik führt. Mit der erfahrenen Hand eines Kapellmeisters bindet er die Singstimmen ins orchestrale Geschehen, verweist einerseits auf die noch Bellini und Donizetti naheliegende Kantilenen-Formung, und vermeidet andererseits eine in den bewegten Nummern sich schnell einstellende plakative Al fresco-Manier. Ein Verdi-Dirigat, das die Schwelle der Komposition zwischen Tradition und Fortschritt sehr gut hörbar macht.
Mit einer gewissen Spannung erwartet wurde das Abigaille-Debut der bislang einen ausgezeichneten Ruf als Wagner-Sängerin genießenden Britin Catherine Foster. Ihr heute selten gewordenes hochdramatisches Potential erwies sich denn als entscheidender Gewinn, die virtuos speziell veranlagte Partie der vermeintlichen Königstochter mit der gewünschten Durchsetzungs-Positionierung auszufüllen. Mit weitgehend klarem, sauberem Tonansatz bewältigte sie ohne Anstrengungen die attackierten Spitzentöne und gefährlich weiten Oktav-Sprünge. Erstaunlicherweise trägt zwischen imposanter Höhe und breiter Tiefe die Mittellage weniger, wo dann Passagen bei voller Orchesterbegleitung wenig zur Geltung kamen. Im harfenumrankten finalen Todes-Arioso machte sie dann noch mit klangvoll verinnerlichter Linie auf sich aufmerksam. Vielleicht würde ein farbenreicheres Timbre der Gesamtwirkung der Rolle noch das Quäntchen an mitreißenderem Format bringen, das ihr – eventuell auch szenisch bedingt – abgeht.
Erst in brauner Uniform, dann im Schlafanzug ähnlichen Schlabbergewand, hat auch der amerikanische Bariton Sebastian Catana wenig Chancen, als starker und dann gebrochener Nabucco szenisch Kontur zu erlangen, er muss sich ganz auf seinen Bariton von heldisch fülliger Natur mit einer großen Bandbreite an Tonfällen von machtvoll gebieterisch bis wärmend weich stützen. Die nicht ganz konstante Qualität des Vortrags dürfte der angekündigten Indisposition zuzuschreiben sein. Für das Verdi-Fach ist er jedenfalls ein Gewinn.
Die rundeste, gefestigste Leistung bot Liang Li als Zaccaria. Der inzwischen international gastierende Chinese beglaubigt mit seinem vollen, warmen und rundum organisch und tonschön strömenden Bass mit erzener Tiefe und kerniger Höhe alles was ihm in dieser Führer-Rolle über die Lippen kommt. Wenn er dies doch nur auch schauspielerisch umsetzen dürfte…..
Innerhalb ihres raschen Aufstiegs in großen Partien erweist sich Diana Hallers zweifellos gleichmäßig und sicher durchgebildeter Mezzosopran für die Fenena als noch etwas zu leichtgewichtig, so dass sie zusätzlich durch ihre unmögliche Staffierung (s.o.) auf total verlorenem Posten steht.
Atalla Ayan schafft es in der undankbaren Liebhaberrolle des zwischen beiden Frauen stehenden jüdischen Prinzen Ismaele mit ausgeprägt schönem Timbre und leidenschaftlicher Tongebung, die in keinem Moment hörbar macht, wie unangenehm die Partie durchgehend im gefürchteten Passaggio-Bereich notiert ist, voll zu überzeugen.
Ronan Colletts ausdrucksvollem Bariton fehlt es für den Baals-Oberpriester zusätzlich zu seiner überzeichneten Rolle (s.o.) an dunklerem Bass-Fundament.
Aus dem Opernstudio besetzt sind die beiden Comprimari: Maria Koryagova als schon recht klangvoll entwickelte Anna und Ewandro Cruz-Stenzowski als nicht immer durchsetzungsfähiger Abdallo.
Im Mittelpunkt des Publikumszuspruchs stand ganz zurecht der Staatsopernchor, ergänzt durch Studierende der Musikhochschule Stuttgart ( Einstudierung: Johannes Knecht ) , der zwar szenisch unterfordert blieb, dafür aber alles an vokaler Ensemble-Kunst in seine vielfältige Aufgabe legte. Ob im geschlossenen Tutti, in aufgesplitteten Gruppen oder speziell in der Zurückgenommenheit des schwebend leicht intonierten und mit einem tragvoll langen Piano ausklingenden Gefangenenchor (wo plötzlich alle in schwarz gekleidet sind) erreichte er ein Maximum an Leuchtkraft und Intensität.
Zögerliche Beifallsversuche während der Aufführung sprechen Bände über die szenische Vermittlung, während die musikalischen Akteure zuletzt gerecht abgestuft ihre verdienten Ovationen bekamen.
Udo Klebes