FEUERWERK DER KLANGFARBEN
Die Münchner Philharmoniker gastierten im Beethovensaal beim Musikfest/STUTTGART – 13.9.2014
Dieses ergreifende Konzert war dem kürzlich verstorbenen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Lorin Maazel, gewidmet. Sein russischer Kollege Semyon Bychkov hatte zusammen mit den Münchner Philharmonikern einen mitreissenden Richard-Strauss-Abend erarbeitet. Eduard Hanslick, der gefürchtete Wiener Musikkritiker, sprach hinsichtlich der Tondichtung „Don Juan“ op. 20 des jungen Richard Strauss von einem „Tumult von blendenden Farbenklecksen“ und wies auf „diesen stammelnden Tonrausch“ hin, der die Zeitgenossen so sehr verblüffte. Die Münchner Philharmoniker präsentierten unter Semyon Bychkovs Leitung jedenfalls ein berückendes Feuerwerk der Klangfarben, das eine elektrisierende Wirkung besaß. Die Vielstimmigkeit und der enorme Klangfarbenreichtum dieses Orchesters wurde von dem russischen Ausnahmedirigenten ins rechte Licht gerückt. Die üppigen Melodien bereicherten den schillernden Klangteppich. Jugendlich-elementare und auserlesen-artistische Momente ergänzten sich überzeugend. Das zwischen Nietzsche und Wagner hin- und herschwankende Symbol des selbstzerstörerischen Eros-Urtriebs setzte sich bei dieser feurig-glühenden Wiedergabe immer wieder in aufwühlender Weise durch. Die siegessicher-selbstbewusste Epoche vor 1900 ließ Bychkov mit dem Orchester glanzvoll Revue passieren. Mit herrisch-eleganter Eroberergebärde alles niederwerfend, stellte sich vital emporschnellend das erste Thema vor. Federnde Kraft und hinreißend-sinnliches Feuer ergriff das Publikum im Beethovensaal. Die Solovioline beschwor die „reizend schönen Weiblichkeiten“. Dementsprechend überschlugen sich die reizvoll gespielten Themen Don Juans, sie schraubten sich regelrecht mit dem Hornfanal in einen hymnischen Rausch hoch und stürzten von dem Gipfel dieses orgiastischen Kraftausbruchs ins Leere – wie vom unmittelbaren Blitz der Selbstvernichtung getroffen. Knapp und bestimmt endete der Klang dieser Tragödie. Jörg Brückner war dann der glänzende Solist beim Konzert für Horn und Orchester Nr. 2 in Es-Dur von Richard Strauss. Höchst virtuos rauschten dabei die Arabesken und Kaskaden des Horns an den Ohren der Zuhörer vorbei. Das Finale gefiel als überaus waghalsiges Rondo. Im Andante konnte man bei dieser feinnervigen Wiedergabe „Heldenleben“ und „Ariadne“ gleichsam heraushören. Der alte, abgeklärte Strauss zeigte sich bei dieser höchst konzentrierten Interpretation mit gelassener Überlegenheit. Kecker Witz blitzte im Rondo auf. Zum Abschluss begeisterte die wuchtige Wiedergabe von „Ein Heldenleben“ op. 40 von Richard Strauss. Semyon Bychkov ließ bei seiner Interpretation nicht den geringsten Zweifel daran, dass Strauss selbst bei diesem Werk der Held ist. Er vermied es aber klugerweise, diese wilhelminische Selbstglorifizierung zu übertreiben. Als „Held“ und Kämpfer rechnete Strauss hier in gewaltiger Weise mit seinen Widersachern ab, die er noch ätzender zeichnete als seine kaum beschönigte Gefährtin. Selbst eine entfernte Ähnlichkeit zu Anton Bruckners siebter Sinfonie war bei dieser Wiedergabe herauszuhören. Vor allem das Kopfthema war nur eine von vielen motivischen Entsprechungen. Das Selbstbildnis von Richard Strauss zeichneten die Münchner Philharmoniker mit vielen feinen Charakterzügen nach. Und die „Widersacher“ erschienen plötzlich als hämische, kleinliche Nörgler, Neider und Ewig-Gestrige, auf deren Gekeif man aber auch im Beethovensaal nicht immer gelassen reagieren konnte. Schwelgerisch-launenhaft bekannte sich die üppige Solovioline zur Gefährtin des Helden, die kriegerischen Trompetensignale im Hintergrund weckten das Publikum in wahrhaft erschreckender Weise. Die grenzenlose Selbstironie dieser gigantischen Schlachtmusik entfaltete sich in der Stuttgarter Liederhalle jedenfalls bombastisch – und glücklicherweise trotzdem klanglich transparent. Der „tapfere Soldat“ Strauss ging als Sieger hervor. Facettenreich ließ Semyon Bychkov die zahlreichen Motive vom „Traum über die Dämmerung“ über „Don Juan“, „Macbeth“, „Tod und Verklärung“, „Eulenspiegel“, „Also sprach Zarathustra“ bis hin zu „Don Quixote“ erstrahlen. Das wirkte bei der Aufführung am unmittelbarsten. Da waren die Musiker ganz in ihrem Element, durchlebten alle Fieberstadien chromatischer Akribie. Bei „Des Helden Weltflucht und Vollendung“ meldete sich das Heldenthema im Englischhorn in eindeutiger Art – und auch die berückende Zärtlichkeit der Liebesszene verfehlte ihre Wirkung nicht. Großer Jubel.
ALEXANDER WALTHER