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STUTTGART/ Liederhalle: GÄCHINGER KANTOREI unter Zagrosek mit Reger und Messiaen

STUTTGART/ Liederhalle: MIT FLIEGENDER CHROMATIK – Gächinger Kantorei mit Reger und Messiaen
Eindrucksvolles Konzert mit der Gächinger Kantorei am 7. März im Hegelsaal der Liederhalle/STUTTGART

Wie schade es ist, dass man die Werke des allzu früh verstorbenen Max Reger so selten hört, demonstrierten die hervorragende Gächinger Kantorei und das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der inspirierenden Leitung von Lothar Zagrosek bei dessen Requiem-Fragment WoO V/9, dem gewaltigen Reqiuem aeternam und dem „Dies irae“ mit den stimmlich exzellent aufeinander abgestimmten Gesangssolisten Cornelia Horak (Sopran), Gerhild Romberger (Alt), Dominik Wortig (Tenor) und Peter Schöne (Bass). Der kühne formale Bogen und die fliegende Chromatik wurden von Lothar Zagrosek höchst konzentriert erfasst und plastisch herausgearbeitet. Vor allem die glühenden dynamischen Steigerungen blieben stark im Gedächtnis. Tritoni und leere Quinten stachen auch beim Requiem op. 144b nach einem Text von Friedrich Hebbel von Max Reger deutlich hervor,  wo sich die voluminöse Altistin Gerhild Romberger  überzeugend profilieren konnte. Ergreifend wirkte die Liedzeile „Wenn ich einmal soll scheiden“ – dies alles schwankte zwischen Flehen und Aufschrei. Ungeheuer aufwühlend war auch der „Dies-irae“-Satz. Fragmente der gregorianischen Dies-irae-Melodie behaupteten sich mit facettenreicher Intensität. Die ausufernde Harmonik fiel dabei immer wieder besonders grell auf. Vor allem die geradezu elektrisierende Spannung zwischen Tradition und radikalem Modernismus hinterließ einen großen Eindruck. Kontrapunktische Finessen korrespondierten bei allen Reger-Werken mit dem ergreifenden Geist der Bachschen Polyphonie mit kühnen Modulationen. Spannend arbeitete Zagrosek mit dem Ensemble die oftmals starre Sonatensatzform und das fahle Schema der Mittelsätze heraus, das immer wieder große Veränderungen hinsichtlich des Ausdruckswillens erfuhr. Stimmungs- und Charakterbilder schimmerten beim Requiem  aeternam bei der Zeile „Te decet Hymnus“ immer intensiver hervor.

Und beim Hebbel-Requiem fiel neben der nuancenreichen Quinten-Bildung vor allem der Ostinato-Rhythmus begeisternd ins Gewicht, mit dem Lothar Zagrosek „dem Andenken der im Kriege 1914/15 gefallenen deutschen Helden!“ huldigte. Großangelegte Fugen mit mehreren Themen fehlen hier aber, sie sind nämlich ansonsten für Reger typisch.

Überwältigend war zudem die Interpretation des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR von Olivier Messiaens Gedenkmusik für die Toten der beiden Weltkriege „Et expecto resurrectionem mortuorum“. Katholische Mystik ragte hier unheimlich hervor. Als Titel wählte Messiaen den Vers zur Auferstehung aus dem nizänischen Glaubensbekenntnis. Selbst hier spürte man den Ursprung der seriellen Musik, besonders hinsichtlich der rhythmischen Experimente und des Ostinato-Charakters der einzelnen Sätze „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“ oder „Es kommt die Stunde, und ist schon jetzt, dass die Toten hören werden die Stimme des Sohnes Gottes“ aus dem „Johannes-Evangelium“. Glockentöne waren hier geheimnisvoll vor dem Hintergrund der Stille zu vernehmen – und ein mächtiges Tamtam-Crescendo führte zu tumultuösen Steigerungen. In drei Gongschlägen wurde die „Offenbarung“ aus dem Buch Hiob im vierten Satz illustriert, wobei Glocke und Trompete die Thematik bei dieser eindringlichen Wiedergabe bestimmten. Lothar Zagrosek feuerte die Musiker immer wieder neu an. Auffallend war in erster Linie die lupenreine Intonation der Blech- und Holzbläser. So perfekt hört man dieses Werk in den seltensten Fällen. Die Holzbläser ahmten den feinen Gesang der Lerche nach. Und am Ende wurden alle Tonsymbole höchst kühn übereinandergeschichtet. Mit Klarheit stimmte die Trompete zuvor das „Alleluja“ an. Selbst der Hindu-Rhythmus kam bei Jesu Auferstehung nicht zu kurz. Man vernahm den sprunghaften Ruf des Uirapuru-Vogels aus dem Amazonas beim „Johannes-Evangelium“. Für die gelungene Rezitation sorgte Elke Heidenreich, die auch durch ihre ZDF-Sendungen bekannte wurde. Sie reflektierte die Gedanken über Tod und Liebe: „Der Tod ist entschiedener als die Liebe…am Tod zerbricht die größte Liebe...“ Sie zitierte auch den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim, der etwa über Richard Wagner sagte, dass dieser trotz seiner negativen Eigenschaften ein großer Komponist gewesen sei. Leonard Bernstein dagegen habe in wunderbarer Weise den Menschen in den Mittelpunkt aller Kunst gestellt.

Elke Heidenreichs einfühlsame Worte passten besonders gut zur Musik von Max Reger. Zagrosek betonte bei Reger auch die Nähe zu Bruckner und Mahler.

Es war ein großer und glanzvoller Konzertabend für Stuttgart.

 
Alexander Walther

 

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