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STUTTGART/ Liederhalle: ABSCHLUSSKONZERT DES MUSIKFESTES STUTTGART

 Abschlusskonzert des Musikfests in Stuttgart in der Liederhalle – 14.9.2014

TRANSPARENTE KLANGFLÄCHEN
Das Musikfest in Stuttgart findet mit Henry Purcell am 14. September 2014 seinen Abschluss/STUTTGART

Der Belgier Philippe Herreweghe gründete 1970 das Collegium Vocale Gent. Mit diesem Ensemble gibt es auch viele Einspielungen. Im Beethovensaal waren nun die „Begräbnisgesänge“ („Funeral sentences“) für vier Stimmen, vier Trompeten und Orgel zu hören. Herreweghe arbeitete hier mit dem konzentriert agierenden Ensemble bei den einzelnen Sätzen „Man that is born of a woman“, „In the midst of life“ oder „Thou knowest, Lord“ die differenzierten melancholischen Schattierungen gut heraus. Den Wandel völliger Verzagtheit hin zu einer gefassten Trauer betonten immer wieder Grace Davidson (Sopran), Damien Guillon (Countertenor), Alex Potter (Countertenor), Samuel Boden (Tenor), Thomas Hobbs (Tenor), Peter Kooij (Bass) und Matthew Brook (Bass) mit wandlungsfähigem Timbre. Auch die unterschiedlichen Herzensgeheimnisse blieben aufgrund dynamischer Kontraste gut nachvollziehbar.

Als Queen Mary 1694 nach kurzer Krankheit starb, arbeitete Purcell die „Funeral sentences“ zur Trauermusik für die Königin um. Der Bläser-Trauermarsch besaß im Beethovensaal vor allem wegen der großen rhythmischen Präzision eine enorme klangliche Wirkungskraft. Eindringlich gestaltete das Collegium Vocale Gent insbesondere das fünfstimmige Stück „Let mine eyes run down with tears“ als musikalische Beschwörung verzweifelten Suchens. Die Stimmen teilten sich ständig und fanden wieder neu zusammen. Das war spannend anzuhören. Philippe Herreweghe hielt das Ensemble souverän zusammen. Dur-Effekte und Dreiertakt-Akzente besaßen dabei viel Schwung. Auch das Anthem „O, I’m sick of life“ überzeugte mit Qualen und Anklagen in expressionistischer Harmonik. Sehr zuversichtlich und vital interpretierte Herreweghe mit dem Ensemble „Rejoice in the Lord alway“, wobei die absteigenden Tonleiterläufe besonders reizvoll hervorstachen. Man dachte wirklich an das Geläut eines Glockenstuhls. Höhepunkt dieses bemerkenswerten Abschlusskonzerts war jedoch die mitreissende Wiedergabe von Henry Purcells „Ode for Saint Cecilia’s Day“ mit dem beziehungsreichen Titel „Hail, bright Cecilia“ für Solisten und Chor. Hierbei feierte die kontrapunktische Vokalpolyphonie wahre Triumphe, denn auch die feingliedrigen Geigeneinsätze gingen unter die Haut. Die verschiedenen Gesangstechniken der Countertenöre bestachen aufgrund ihrer nuancenreichen Geschmeidigkeit. Und die Falsetttechnik wurde immer wieder auf die Spitze getrieben. Ausgesprochen glücklich gelangen Samuel Boden und Thomas Hobbs die zahlreichen Verzierungen der Gesangslinien. Modal gefärbte Harmonik wurde bei dieser subtilen Wiedergabe noch von Klangsensibilität, weiträumiger Kadenzlogik und präziser Chromatik ergänzt. Den ausserordentlichen Reichtum der Tonfälle und Techniken betonten nicht nur die ausgezeichnet aufeinander abgestimmten Gesangssolisten, sondern auch die famosen Orchestermitglieder. Außerdem trafen die Sängerinnen und Sänger exzellent die extrem figurenhaft-textdarstellerische Sprache der Anthems bis zu intensiven Affektszenen. Der Wechsel von Tempi und Satztechniken gelang Herreweghe mit seinen Musikern immer wieder in einer Art und Weise, die neue Hörgewohnheiten offenbarte. Da wirkte Purcell plötzlich ganz überraschend modern bis hin zum geradezu revolutionären kontrapunktischen Nebeneinander. Selbst Georg Friedrich Händel konnte man bei dieser ungewöhnlichen Interpretation heraushören. Angesichts der Überlegenheit der Orgel entfachte sich ein erregender Wechselgesang zwischen den beiden Bässen: „Let these among themselves contest…“ Gewagte Harmonien beherrschten auch den glanzvollen Schlusschor. So kam es zu Begeisterungsstürmen des Publikums, die lange anhielten.  

 
Alexander Walther

 

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