Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Liederhalle: 2. KONZERT STAATSORCHESTER – IN BREITER LYRIK STRÖMEND

STUTTGART/ Liederhalle: IN BREITER LYRIK STRÖMEND

2. Konzert des Staatsorchesters Stuttgart im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART Der neue Erste Kapellmeister der Staatsoper Stuttgart Simon Hewett (der Amerikaner war zuvor bereits als Gastdirigent an der Komischen Oper Berlin und der Staatsoper Unter den Linden tätig) überzeugte mit seinem musikalischen Einstand. Hier wurde die impressionistische Orchestersprache bei der durchsichtig-feurigen Wiedergabe der Tondichtung „Nachtritt und Sonnenaufgang“ von Jean Sibelius auf die Spitze getrieben. Die minimalistischen Mittel und der Zauber der melodischen Linienführung dominierten hier bei der atemlosen Schilderung des nächtlichen Ritts. Über viele Takte hinweg hörte man das Pferd galoppieren – und im linearen Farbenspiel der Holzbläser glänzte fast schon geisterhaft ein „grenzenloses Farbenmeer“. Und im warmen Klang der Hörner ging ergreifend die Sonne auf.

Simon Hewett arbeitete dabei die dynamischen Entwicklungen höchst wirkungsvoll heraus. Das stetige Höhersteigen der Sonne manifestierte sich auch hinsichtlich kühner Chromatik. Die in Israel geborene Klarinettistin Sharon Kam begeisterte anschließend beim in sprühender Musizierlaune dargebotenen Klarinettenkonzert in A-Dur KV 622 von Wolfgang Amadeus Mozart. Der Klangcharakter der Klarinette wurde hierbei voll ausgekostet. Es folgte ein wahrhaft beglückender dynamischer Ausgleich zwischen Solo und Orchester. Sinnlichkeit erfüllte das Kopfthema des Allegros. Und das zweite Thema erschien fast schon schemenhaft in schattigem C-Dur. Sharon Kam kostete es ausgesprochen schwelgerisch aus. Kunst und Empfindung waren dann bei der Durchführung im Gleichgewicht. Im harmonischen Wechselspiel mit dem Orchester kam die Solistin voll zu ihrem Recht. Es kam aber nicht zu einer effektvoll-oberflächlichen Parade der Virtuosität wie etwa bei den Klarinettenkonzerten von Weber. Im Adagio beeindruckte Sharon Kam ihr Publikum mit einer gleichsam erdentrückten Melodie, die neue Welten erschloss. Leidenschaften glühten auf, und die Geheimnisse der Seele wurden von Sharon Kam einfühlsam umgesetzt. Über dem Allegro-Rondo des Finales lag dann der Glanz ausgelassener Heiterkeit, trotz elegischer Schatten der Klarinettenmelodie. Die Kapriolen der Solistin gipfelten in sprühender Laune. Als Zugabe spielte sie noch die Tango-Etüde Nr. 3 von Astor Piazzolla mit knisternden Synkopen.

Glanzstück dieses Konzerts war zum Abschluss die stürmische Wiedergabe von Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr. 1 g-Moll „Winterträume„. In breiter Lyrik strömte dabei das Adagio cantabile dahin. Mahler und Bruckner waren hier ebenso spürbar wie Schumann – vor allem bei den stellenweise stockenden motivlichen Entwicklungen. Die thematischen Zusammenhänge wurden jedoch sehr gut herausgearbeitet. Hier erreichte Simon Hewett mit dem Staatsorchester Stuttgart eine musikalische Sternstunde. Die russische Melodik lockerte die Sonatenhauptsatzform in erfrischender Weise bereits im Kopfsatz auf, schwelgerisch-melancholisch entfaltete sich der zweite Satz. Das Scherzo geht auf eine frühe Klaviersonate Tschaikowskys zurück und erinnerte bei dieser nuancenreichen Wiedergabe in seiner kontrapunktischen Grazie an Mendelssohn-Bartholdy. Der furiose Staccato-Abschluss des Finales gemahnte dann stark an die Stretta-Form und die geradezu orgiastische Coda des Schlusses von Tschaikowskys vierter Sinfonie.

 Alexander Walther

 

Diese Seite drucken