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STUTTGART: LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN – Abschiedsvorstellung von Evan McKie

Stuttgarter Ballett ABSCHIEDSVORSTELLUNG von EVAN MCKIE.„FAHRENDE GESELLEN“ 3.6.2014 – Ein harter Zwiespalt:

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Bedauerliches Ende einer Werkstatt: Evan McKie. Copyright: Sébastien Galtier

Nicht nur Tränen der Rührung, auch der Verzweiflung über die Konsequenzen einer äußerst schweren Entscheidung standen Evan McKie deutlich im Gesicht geschrieben, als er nach seiner letzten Vorstellung beim Stuttgarter Ballett mit Rosen in allen Farben seitens des Ballettdirektors, des John Cranko-Schulleiters, der John Cranko-Gesellschaft und Fans aus dem Publikum, anhaltenden Jubelchören und stehenden Ovationen gefeiert wurde.

Diese Würdigung galt einem Künstler, der sich kontinuierlich aus der John Cranko-Schule, wo er 2001 seinen Abschluss machte, von Stufe zu Stufe nach oben gearbeitet hat und seit seiner Ernennung zum Ersten Solisten in der Spielzeit 2009/10 so deutlich wie kaum einer seiner KollegInnen die Gestaltung von Rollen als Werkstatt des Reifens begriffen und gezeigt hat. Sein Profil war von Anfang an in Haltung und Bewegung herausragend und wurde mit zunehmender schauspielerischer Ergründung noch prägnanter und gewann in der Verbindung von Noblesse und Darstellungskraft eine besondere Faszination. So gern dem idealen Prinzen und Charaktermimen zum Abschied der Albrecht in „Giselle“ , Romeo oder am liebsten, weil  vollkommensten sein international gefragter Onegin zu gönnen gewesen wäre – so genau, d.h. symbolkräftig passten Maurice Béjarts „LIEDER EINES FAHRENDEN GESELLEN“ mit ihrer transzendierten Vereinigung von Freud und Leid und ihrem leisen Verhallen in Welt und Traum zur Person Evan McKies. Der leise, aber umso bewegendere Abtritt von der Bühne entsprach so ganz dem eher stillen Temperament des Kanadiers, der nicht als naturverwöhnter Strahlemann, sondern als tiefgründiger Schauspieler und auffallend präziser Techniker die Herzen der Zuschauer gewann. In der letztlich ungreifbaren Funktion des Schattens lotete er an diesem Abend ein letztes Mal mit bestechendem Genauigkeitssinn das Geheimnis der schillernden Verbindung aus Kameradschaft, Schutz und Bedrohlichkeit des Bösen aus und traf musikalisch exakt den schwebenden Zustand dessen, was zwischen den Texten der Mahler-Lieder steht, die Bariton Julian Orlishausen  inzwischen gleichermaßen innerlich beteiligt ausschöpfte. Nicht mit großem finalem Brimborium verlässt da einer die Bühne, aber mit jener Wehmut (den Gesellen langsam ins Dunkel des Hintergrunds an der Hand ziehend), die dieses Ausscheiden vom Stuttgarter Ballett besser beschreibt als die Demonstration von Dramatik und Virtuosität. Schwerwiegende familiäre Gründe haben ihn dazu bewogen auf das zu verzichten, was er nahe dem Höhepunkt seiner Karriere so gerne gemacht hätte: vor allem die großen Cranko-Partien am Ort des Originals immer noch weiter zu vertiefen und auszufüllen. Dieser Prozess findet nun ein abruptes Ende.

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Auch im Stillstand bewegend – Evan McKie (rechts) ein letztes Mal in Béjarts „Lieder eines fahrenden Gesellen“ (mit Jason Reilly) Copyright: Ulrich Beuttenmüller

Es fügte sich auch gut, dass sein Partner als Geselle Jason Reilly war, auch wenn dieser sich in der erforderlichen Leichtigkeit und Gelöstheit der choreographischen Umsetzung mit ihm nicht immer im Einklang befand, hatte doch sein Landsmann vor einigen Jahren zuerst seinen Abschied geplant und im letzten Moment dann doch entschieden in seiner zweiten Heimat zu bleiben.

Rund um dieses feierliche Zentrum gab es noch Elisa Badenes als neues Gesicht im ausgedehnten Solo-Part von Demis Volpis „AFTERMATH“ zu bestaunen, mit so viel Leben, Aufbegehren gegen die Vereinnahmung künstlerischer Freiheit durch eine dumpfe Einheitsmasse, nebst der von ihr ohnehin gewohnten spielerisch leichten Umsetzung aller technischen Herausforderungen, füllte sie das halbstündige Werk. Genauso wäre dem eingangs gezeigten „NO MEN’S LAND“ von Edward Clug mit seiner zunehmend dichter und rhythmisch eindringlicher wirkenden Charakterisierung des männlichen Geschlechts eine spätere Wiederaufnahme zu wünschen.

Doch trotz der Begeisterung, mit der auch solch Zukunftsträchtiges bedacht wurde, der Verlust von Stuttgarts derzeit profiliertestem Onegin und die nicht nur damit verbundenen Erinnerungen wiegen vorerst schwerer.                                      

  Udo Klebes

 

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