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STUTTGART: LA TRAVIATA . Wärmende Emotionen in kalter Umgebung

01.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Stuttgart

„LA TRAVIATA“ 28.2. 2014(WA 25.1.) – Wärmende Emotionen in kalter Umgebung

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Viel Herzblut im heruntergekommenen Ambiente: Ana Durlovski (Violetta) und Atalla Ayan (Alfredo). Copyright: A.T.Schaefer

 Als Ruth Berghaus Inszenierung vor nun gut 20 Jahren Premiere hatte, mochte wohl noch kaum jemand ahnen, dass die damals radikal mit den plüschigen Traditionen aufräumende Sichtweise so lange erhalten bleiben und einen für heutige Verhältnisse willkommenen Repertoire-Rahmen bilden würde. Letzteres allerdings unter der Voraussetzung, dass das, was sich in den recht aufwändigen Bühnenbildern von Erich Wonder abspielt, möglichst genau nach den ursprünglichen Angaben richtet. Und das ist im Falle dieser Regisseurin eine teilweise fast choreographisch abgezirkelte Bewegungssprache, die sich bis in die Chorszenen hinein erstreckt. Somit auch ein Lob für die Spielleiterin Verena Stoiber, die vor allem den  wie immer spielbereiten und in den Stimmgruppen fein ausbalancierten Staatsopernchor (Einstudierung: Christoph Heil) auf das kühl arrogante Verhalten einer Spaßgesellschaft mit  Präzision und Geschlossenheit eingetrimmt hat. In diesem völlig farblosen Ambiente (auch die Kostüme von Marie-Luise Strandt sind ganz in Schwarz-/Grau- und Weißtönen gehalten) muss die Kurtisane Violetta ja unter Lieblosigkeit leiden und im kalten Rausch dahin vegetieren.

Ana Durlovski, die mit dieser Aufführungsserie ihr Rollendebut gegeben hatte, macht diese anfängliche Kühle in einem fast sachlichen, unpersönlichen Auftreten spürbar und offenbart mit der Erfahrung von Alfredos wahr empfundener Liebe zusehends die bislang verborgen, ja verschüttet gebliebenen Empfindungen, ehe sie mit einer wirklich zu Herzen gehenden Gebrochenheit an ihrer Krankheit zugrunde geht. Stuttgarts derzeitiger Sopran-„Star“ beherrscht dabei die für viele Sängerinnen unvereinbar bleibenden geforderten gesanglichen Parameter mit einer fast schon spielerischen Leichtigkeit. Wie mechanisch aneinander gereiht kommen anfangs die Töne und wandeln sich zu immer größerer Rundung und liebevollerer Phrasierung. Locker und brillant perlen die Koloraturen im ersten Akt einschließlich eines gar nicht aufgesetzten, weil so klar intonierten und perfekt gestützten abschließenden Spitzentons, trotz nicht all zu großen Volumens trägt die apart leicht melancholisch angehaucht timbrierte Stimme über das dramatische Aufbegehren des zweiten Teils, und leuchtend verinnerlicht dämmert sie mit expressiver Lyrik in den gebrochenen Phasen des dritten und vierten Aktes dem Ende entgegen.

Auch Atalla Ayan erfüllt als Alfredo alle Wünsche an einen lirico spinto-Tenor mit gleichmäßig ansprechenden Registern, kultivierter Führung, attraktiv baritonaler Färbung und einer stets mitschwingenden Emphase, die spürbar von Herzen kommt. Dazu gehört noch eine natürliche Spielfähigkeit zwischen anfänglicher Verklemmtheit und späterem Wechsel zwischen Sensibilität und unbeherrschter Eifersucht. Und nicht zuletzt eine Bühnenerscheinung, die sich zuletzt ohne Peinlichkeiten im ärmellosen Unterhemd präsentieren kann. Schade, dass dieser echten Qualitätsstimme die Stretta der Arie hier versagt bleibt, weil sie die Regisseurin aus unerfindlichen Gründen für überflüssig gehalten hatte.

Der Papierplan einer auch in der dritten Hauptrolle erstklassigen Besetzung wurde in der Praxis dieser Vorstellung von einer höheren Gewalt zunichte gemacht. Tito You war im Stau auf der Autobahn stecken geblieben, so dass kurzfristig die Alternative aus dem hauseigenen Ensemble einspringen und so die Vorstellung retten musste: Motti Kaston gelang dies trotz eines unter größerer Kraftaufwendung und in der Höhe an Klang und Rundung verlierenden Baritons mit weitest möglicher Konzentration auf sauberes Legato-Singen, auch dank seines warmen Belcanto-Timbres, und solidem Ausdruck immerhin so ansprechend, dass die in Gesamtheit erstklassige Aufführung nicht wesentlich beeinträchtigt wurde.

Auf gutem, spielerisch voll integriertem Niveau bewegten sich die Ensemblebeiträge: Sophie Marilley (Flora), Kora Pavelic (Annina), Ronan Collett (Baron Douphol), Mark Munkittrick (Dr.Grenvil), Kai Preußker (Marquis) und Stuart Jackson (Gaston).

Alle vokalen Emotionen wurden von Giuliano Carella am Pult des mit sehr viel Detailliebe agierenden Staatsorchesters Stuttgart mit wertvoller kapellmeisterlicher Erfahrung maß- und rücksichtsvoll gebündelt, wo nötig in leichtem Fluss gehalten, dann wieder zuspitzend verdichtet. Alleine im Vorspiel zum letzten Akt entfachte er den Impuls eines auf engstem Raum zusammen gehaltenen Dramas. Das ging unter die Haut.

Jubel und Getrampel für die Liebenden sowie rundum prasselnder Beifall für alle Beteiligten.

     Udo Klebes

 

 

 

 

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