Stuttgarter Ballett: „LA SYLPHIDE“ 2.3.2012 – mit veränderter Perspektive:
Filip Barankiewicz – auch als James ein Sprung- und Drehwunder. Foto: Stuttgarter Ballett
Bei der Wiederaufnahme noch das kindlich spielerische, aus einer anderen Sphäre kommende Luftwesen, begegnete uns die Titelrollendarstellerin dieses Abends auf lebensnahere, greifbarere Weise. Mit einer etwas frech verführerischen Note bringt ANNA OSADCENKO das bisher geordnete Leben des schottischen Gutshofsohnes James gehörig durcheinander, lockt ihn mit verlangenden Blicken auf ihre Fährte und genießt dabei sichtbar die Macht, die sie über ihn gewinnt. Diese Interpretation passt genau zum erdenfesteren Charakter der Ersten Solistin und ihrem kraftvolleren Körper, mit dem sie es dennoch auf bewunderungswürdige Weise schafft, Bournonvilles besondere Flexibilität verlangende Fußtechnik leicht aussehen zu lassen, ihr auf der anderen Seite eine lebensnahere Spannkraft zu geben und dies wiederum mit klarem Port de bras auszugleichen.
Dazu passt der so ganz diesseitige, weniger mit nobler Anmut als mit spontanem Impetus gezeichnete James von FILIP BARANKIEWICZ ideal. Mit klarer Gestik und differenzierter Pantomime sind ihm seine momentanen Gedanken deutlich von der Stirn und von den Augen abzulesen. Als selbst aus dem starken Stuttgarter Herren-Ensemble noch herausragend überlegenem Dreh-Techniker liegt ihm die virtuos filigrane Beinarbeit ebenso wie die verlangte Sprung-Energie. Letztere machte sich wie immer bei ihm in enorm aufgeladenen, optimal gesteigerten und perfekt in der 5. Position beendeten Drehungen bemerkbar, die jedes Mal aufs Neue staunen machen. In der Konfrontation mit der wieder suggestiv beschwörenden und ihren letztendlichen Triumph wirkungsvoll auskostenden MARCIA HAYDÉE als Madge erwächst er schließlich als tragischer Verlierer noch zum aufrüttelnd dramatischen Ausdrucksträger.
Die Debutanten standen an diesem Abend in der zweiten Reihe, ohne allerdings in den Schatten zu treten, denn Stuttgarts hoffnungsvollstes Nachwuchspaar in Sachen technischer Bravour ELISA BADENES und DANIEL CAMARGO haben für die wenn auch eher stiefmütterlich behandelten Rollen von James Braut Effie und seinem Rivalen Gurn um ihre Gunst genug hervorstechende Qualität an flinker Akkuratesse und spritziger Mimik zu bieten. Allerdings war nicht zu übersehen, dass sie beides bereits idiomatischer mit einander verbindet, während bei ihm das Spiel noch etwas hinter dem Tanz hinterherhinkt.
In den weiteren kleinen Rollen sowie den Ensembles (Volkstanz, Sylphiden) wiederholten sich die allesamt deckenden Leistungen der Wiederaufnahme vom 25. Februar. WOLFGANG HEINZ indes wusste aus der leicht als oberflächliche Gebrauchsmusik betrachteten Partitur von Hermann Lövenskjold, der für Bournonvilles Fassung die hier gespielte Musik geschrieben hatte, so viel an farblichem Reiz und teilweise aufmunterndem Geist (schottischer Tanz mit imitierten Dudelsäcken als Herzstück des ganzen Balletts) hervorzulocken, dass es sich nicht nur lohnte zu schauen, sondern auch dem diesmal ziemlich fehlerfreien STAATSORCHESTER STUTTGART zu lauschen. Verdient abgestufte Ovationen!
Udo Klebes