Stuttgart: „LA SONNAMBULA“ 24.4. 2014– mit nachgeholtem Debut
Gergely Németi – erfolgreiches Elvino-Debut trotz Einschränkungen. Copyright: Martin Sigmund
Natürlich steht im Mittelpunkt dieser dritten Aufführungsserie von Bellinis Melodrama in der tief in die Abgründe einer abgeschotteten Dorfgemeinschaft blickenden Inszenierung von Hausherr Jossi Wieler und seines Co-Partners Sergio Morabito wiederum Ana Durlovski in der Titelrolle. Mit ihrer völlig mühe- und schwerelosen, gleichermaßen virtuosen wie expressiv verinnerlichten Interpretation der stets auf schwankendem Boden befindlichen Amina hat sie in Stuttgart längst ein begeistertes Publikum gefunden, das sie auch diesmal mit donnernden Ovationen überhäufte.
Die erhöhte Aufmerksamkeit galt an diesem Abend jedoch Gergely Németi, der aufgrund eines hartnäckigen grippalen Infekts sein Debut als Elvino erst jetzt nachholen konnte, und wie Jossi Wieler anfangs bekannt gab, immer noch einige Nachsicht verdient hatte. Im Bewusstsein dieser Situation stand das Publikum völlig hinter ihm und bedankte auch ihn letztlich mit rauschendem Beifall für eine Leistung, die im Prinzip erkennen ließ, dass er unter Wegfall der Premieren-Nervosität und mit einer wieder hundertprozentig einsatzfähigen Stimme diesem Part vollkommen gewachsen sein dürfte. Aber auch mit Einschränkungen wie einigen vorsichtig angegangenen Passagen und teilweise weg gelassenen Extremtönen vermochte der ungarisch-rumänische Tenor mit seinem für den Belcanto idealen weichen Timbre und Gespür für Nuancierungen zwischen Zärtlichkeit und Aufbrausen einen überaus positiven Eindruck zu hinterlassen. Zudem gelang es ihm dem etwas linkischen reichen Bauern in der Unbeholfenheit, seine Liebe gegenüber den Frauen zu zeigen, trotz erhöhter Konzentration auf die musikalische Bewältigung sehr überzeugende Gestalt zu geben Auf die weitere Rollen-Entwicklung mit einer dann anderen Partnerin dürfen wir gespannt sein.
Adam Palka – der überragende Baß-Konkurrent. Copyright: Martin Sigmund
Dieser positive szenische Eindruck wiegt umso höher als er in Adam Palka als Graf Rodolfo einen überragenden Konkurrenten hatte. Der seit letzter Spielzeit zum Ensemble gehörende polnische Bassist zeigt, was man aus den oft eindimensionalen Belcanto-Figuren an lebhafter Charakterisierung herausholen kann. Dabei ist die in Anbetracht seines noch jungen Alters menschlich reife Profilierung des im Stück ja nicht mehr ganz so jungen gräflichen Frauenschwarms ebenso zu bewundern wie er diese gleichzeitig in seinen farbenreichen Vortrag einfließen lässt. Die füllige, in der Tiefe sonore, in der Mitte fließend schön geerdete und der Höhe rund und voll aufgehende Stimme erfüllt alle Wünsche von edler Kantilene und würdevollem Ausdruck.
Catriona Smith wiederholte ihre gesamtkünstlerisch treffliche Pointierung der intriganten Wirtin Lisa, die in dieser Inszenierung weit über die herkömmliche Funktion der Frau in der zweiten Reihe hinausgeht – lebhaft umkämpft von Motti Kaston als Alessio.
Leider passte der vokale Beitrag von Hilke Andersen so gar nicht zum übrigen hohen Niveau, ihr sehr gewöhnungsbedürftiger, quer durch die Register schartig eingesetzter und deshalb in Belcanto-Gefilden als besonderer Fremdkörper wirkende Alt dürfte in Charakterpartien musikalischer Avantgarde am besten aufgehoben sein. Auch in der Darstellung der strengen und wenig gütigen Ziehmutter Teresa reichte sie an ihre Vorgängerin nicht heran.
Der Staatsopernchor glänzte erneut mit einer in der köstlichen Individualität jedes Einzelnen ausgefeilten und musikalisch sattelfesten Zeichnung der Dorfgesellschaft. Und Gabriele Ferro verhalf dem tenoralen Debutanten im Rahmen seiner wieder von viel Liebe und musikantischem Herz geprägten Leitung, dem das Staatsorchester Stuttgart mit einer flexibel austarierten und tonsauberen Wiedergabe Rechnung trug, zu möglichst viel Sicherheit gebender Unterstützung.
Ein berührendes und vielfach bewegendes Bekenntnis zu Bellini und der Überdauerung dieses thematisch oftmals belächelten Sujets.
Udo Klebes