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STUTTGART: LA CENERENTOLA – „zu viel gewollt“. Neuinszenierung

13.07.2013 | KRITIKEN, Oper

Stuttgart: „LA CENERENTOLA“ 12.7.2013 (Premiere 30.6.) – Zu viel gewollt


Das bestimmte Paar kommt sich näher: Diana Haller (Angelina) und Bogdan Mihai („Diener Ramiro). Copyright: A.T.Schaefer
 
22521_09:  Diana Haller (die geheimnisvolle Dame) und der meisterhafte Adam Palka (Alidoro)
 
Copyright: A.T.Schaefer

 Ideenreichtum, handwerkliches Geschick und pralle theatergerechte Lebendigkeit hat Hausregisseurin Andrea Moses mit ihrem bewährten Team Susanne Gschwender (Bühne), Werner Pick (Kostüme) sowie den Dramaturgen Thomas Wieck und Moritz Lobeck in allen ihren bisherigen Arbeiten gezeigt und bewiesen. Dies gilt uneingeschränkt auch für ihre Erarbeitung von Rossinis viel gespielter Oper nach dem berühmten Märchen in der Libretto-Fassung des Charles Guillaume Etienne zur Opéra-Féerie „Cendrillon“ von Nicolas Isouard. Und sie hat erfreulicherweise auch Sinn für die besondere Herausforderung dieses Melodramma giocosa, Ernst und Heiterkeit gleichermaßen zu ihrem Recht kommen zu lassen. Aber- und das ist bei einem Werk, das bereits ein Füllhorn an gegebenen Pointen bereit hält und musikalisch zu den wertvollsten des Komponisten zählt, nicht nachvollziehbar und goutierbar – sie vertraut seiner szenischen und musikalischen Dichte nicht durchweg und meint deshalb, den Akteuren keine Minute Stillstand zu gewähren und kein thematisches Klischee auslassen zu müssen.

Das beginnt bereits bei der Ouvertüre, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf diverses Statisterie-Personal und die stumme Vorgeschichte des Identitätstausches von Prinz und Diener sowie die Verwandlung Alidoros in einen Bettler anstatt auf die akustische Ankündigung des Kommenden durch das Staatsorchester Stuttgart lenkt. Denn was der erstmals am Haus arbeitende Venezolaner José Luis Gomez den Musikern an pfiffigen Nuancen entlockt und zudem eine gute Balance zwischen viel Zeit und Raum gebenden melancholischen Schattierungen und organisch aufgebauten Crescendi findet, hätte die volle Konzentration auf die orchestrale Basis mehr als verdient.

Die Regie verortet die zweifellos zeitlose Geschichte, wie es nicht anders zu erwarten war, ins Hier und Heute eines Staates, der nur durch die Heirat Don Ramiros und der damit verbundenen Aufrechterhaltung des Familienbesitztums gerettet werden kann. Zwölf Herren in Business-Kleidung, zwei davon als Frauen verkleidet (ein völlig unnötiger Gag), berufen den jungen Mann zu einer Konferenz, um ihm seine Lage klar zu machen. Der ganz vorn an der Rampe stehende runde Tisch mit Chef-Bürosesseln wird später zur Drehscheibe für den geheimnisvollen Auftritt Angelinas auf dem Ball, zum Roulette-Tisch, wo die Herren auf die umschwärmte Dame setzen, zuvor aber noch ausgiebig mit dem weiblichen Hauspersonal teilweise ihre Hosen herunter lassend, Gruppensex-Spaß betreiben. Solche überflüssigen Aktionen ersticken das hier ohnehin auf die Spitze der Verwirrung getriebene Stück nicht nur, sie gehen auch zu Lasten der musikalischen Präzision, wenn der ansonsten sehr sattelfeste und auch in Kammer-Besetzung füllige Staatsopernchor (Einstudierung: Christoph Heil) vor lauter szenischer Konzentration immer wieder Mühe hat im Takt zu bleiben.

In die Reihe solch plumper Handlungsmanöver gehört auch der scheinbare Zwang der Regisseurin, möglichst alle über Gebühr abgenutzten Requisiten wie Koffer und Fernseher oder die Alltags-Einsicht ins Badezimmer. Letzteres gehört zur auf einer drehbaren kleineren Bühne herein geschobenen, herunter gekommenen Behausung des Don Magnifico mit wahllos zusammen gewürfelten Möbelstücken, die fast auf Puppenhausgröße geschrumpft wirkt. Hier fristet Angelina das Schicksal einer Hausmaus in Jeans und Kapuzenjacke, ehe sie später eine pompöse dunkelrote Robe bekommt, die nach Aufdröselung der Rüschen durch die vielen Anwärter schließlich die ganze Drehscheibe bedeckt. Das bei der glücklichen Zusammenfindung des Paares bereit gehaltene Hochzeitskleid lehnt sie jedoch ab – in ihrer Bescheidenheit zählt für sie nur das gewonnene Herz Ramiros, mit dem sie eiligst das Weite sucht. Auch Magnificos heuchlerische Umklammerung der Urne bei der Befragung nach der dritten Tochter gehört zu den stimmigen Zeichen, die die Regie setzt und im intimeren Zusammenspiel, feinen Beobachtungen und Reaktionen in den Ensembles auch durchaus das nötige Feingefühl und Verständnis, ja vor allem Konzentration statt störenden Aktionismus weckt.

Bei all der geforderten spielerischen Herausforderung erscheint es als noch erhöhter Verdienst, wenn die Akteure Rossinis flinker und virtuoser Feder dennoch auf hohem Niveau gerecht werden.


Diana Haller (die geheimnisvolle Dame) und der meisterhafte Adam Palka (Alidoro). Copyright: A.T.Schaefer

Schwer zu sagen, wem die Krone zu reichen ist. Symbolisch gesehen natürlich der Titelrollen-Heldin, aber eben nicht nur ihr. Der Reihe nach: Diana Haller, die 25jährige, aus dem Opernstudio hervor gegangene Kroatin, erfüllte die spannenden Erwartungen an ihr Debut als Angelina in überwiegendem Maße, gestaltete mit jugendlich natürlichem Liebreiz und steigerte sich nicht nur aus der kompositorisch bestimmten Zögerlichkeit und Vorantastung des Beginns zuletzt zu königlich strahlender Attitude, auch die zunehmende Sauberkeit des Vortrags mündete zuletzt in ein blendend leicht hingetupftes Finalrondo aus geschmeidig weichen Bögen und blitzenden Koloraturen. Mittellage und Höhe sind bereits sicher ausgebaut, nur die Tiefe bedarf noch der Festigung.

Wenn jemand nichts von der Existenz des Juan Diego Florez weiß, könnte er/sie ohne weiteres glauben, in Bogdan Mihai den stilvollsten und mühelosesten Rossini-Tenor gehört zu haben. Der schlanke und attraktive Rumäne beherrscht die virtuosen Läufe des Ramiro mit der Leichtigkeit eines Spaziergangs, lässt sich die Fiorituren geradezu auf der Zunge zergehen, verleiht den lyrischen Akzenten eine bestechend klare, feine, aber nie maniriert wirkende Note und schwingt sich in die Spitzentöne, zumal das über mehrere Takte bis zum Verklingen des letzten Orchesterakkords gehaltene hohe C seiner Arie mit organischer Verbindung und unvermindert angenehmem Timbre auf. Ergänzt durch seine Wendigkeit und Lust am bösen Spiel mit den Stiefschwestern eroberte er sich das Publikum im Sturm.

Das tat aber auch noch ein anderer, der rollenbedingt meist eher im Schatten der Übrigen steht: der neu ins Ensemble gekommene 30jährige Pole Adam Palka weiß aus der Erzieher- bzw. hier Berater-Funktion Alidoros so viel tragik-komisches Gestaltungs-Kapital zu schlagen und dazu mit einer für dieses Alter bemerkenswert ausgereiften Bassstimme regelrecht einzuheizen. Die große, von Rossini für die zweite Aufführungsserie in Rom nachkomponierte Arie „Là del ciel“, an der schon viele Sänger gescheitert sind, erfüllt er mit unendlich breitem Atem, einer kontinuierlichen hochqualitativen Linie von vollmundiger Tiefe bis zu klaren Höhen mit agil eingebundenen Verzierungen, und beglaubigt mit diesem Juwel schon rein vokal die Zauber gleichen Glücksverheißungen, wie sie den Original-Textanweisungen entsprechen.

Charismatisch herrenhafte und väterliche Ausstrahlung bestimmt den persönlichkeitsstarken Don Magnifico von Enzo Capuano, der in den Arien bei aller Potenz seines warmen Basses nie die Zügel fahren lässt, sondern eine Linie zwischen fließendem Parlando und präziser Ausformung einhält. Und das Spielen mit der Sprache, auch in den Secco-Rezitativen, gewinnt bei einem Muttersprachler wie ihm an zusätzlichem Reiz.

Nicht ganz auf der Höhe dieser drei mustergültigen Männer liegt André Morsch, der als Dandini wohl die schon von ihm bekannte spielerische Auslotung eines Charakters, hier des hohlen Herren-Mimen und später angefressenen Dieners einbringt, indes mit der bravourös notierten Partie, vor allem in der Verbindung der Register, noch gewisse Grenzen aufzeigt und phasenweise im unteren Bereich flach und matt anspricht. Aber das dürfte sich mit weiterer Entwicklung und Lagenstabilisierung beheben lassen, die Anlagen sind bei seinem Bariton jedenfalls vorhanden.

Catriona Smith (Clorinda) und die ehemals zum Ensemble gehörende Maria Theresa Ullrich (Tisbe) wissen die Zickigkeit der eitlen Stiefschwestern nicht nur gebührend überspannt auszuspielen, mehr noch sie auch in ihre beherzt zulangenden Stimmen mit frech akzentuierten Spitzen zu übertragen.

Somit siegte in leichter Abwandlung des Untertitels („La trionfa della musica“) die Musik im Ganzen über alle Ablenkungs-Zutat und billigen, weil abgenutzten Klamauk. Auch wenn die Regie dem Stück zwischendurch und im eigentlichen Kern mit Liebe und Verständnis begegnet, dem Charme der nun 20 Jahre zurück liegenden, aber aufgrund ihrer geschlossen treffsicheren und musikalischen Komödiantik unvergessenen Giancarlo del Monaco-Inszenierung vermag sie nur wenig entgegen zu setzen.

Dennoch: aufgekratzt gelöste Stimmung und die musikalischen Qualitäten ließen das Publikum in dieser Repertoire-Vorstellung jubeln.

Udo Klebes

 

 

 

 

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